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Er hatte darauf bestanden, sie zu begleiten, stolz darauf, sie angeworben zu haben. Gemeinsam mit ihm hatte sie in der Halbkutsche des Bäckers aus dem Viertel Platz genommen, dessen Sohn Anastase ebenfalls zu den Freunden des jungen Berne gehör-te.

Tante Anna und Séverine, die mit dem Papierhändler, seiner Frau und seiner Tochter in einem anderen Gefährt eintrafen, fuhren erschrocken zusammen, als sie die »Papistin« gewahrten. Erregt sprachen sie auf Maître Gabriel ein, der sie zu Pferd eskortierte, ganz offensichtlich in der Absicht, ihm die in ihrer Anwesenheit liegenden Gefahren klarzumachen. Der Kaufmann zuckte nur mit den Schultern.

Eine Bewegung der Menge verbarg die kleine Gruppe. Man brachte eine mit weißer Leinwand bedeckte Zinnschüssel, in der man die Form eines Brotkuchens erriet, danach zwei Zinnkelche. Am Fuß des Tischs wurde ein gleichfalls durch ein Leintuch geschützter Steinkrug niedergesetzt.

Angélique hatte lange gezögert, bevor sie sich dazu entschlossen hatte, diese Versammlung zu besuchen. Sie riskierte schwere Strafen, wenn eine solche Sache ruchbar wurde. Aber hier riskierte alle Welt irgend etwas; die einen hohe Geldbußen oder Gefängnis, die anderen sogar den Tod wie etwa jene Konvertierten, die sich unglücklich und beschämt zwischen ihren einstigen Glaubensgenossen hindurchwanden, da sie den Gewissensbissen nicht hatten widerstehen können, die sie seit ihrer Abschwö-rung quälten.

Alle diese Verfolgten waren schwarz oder dunkel gekleidet. Nur Monsieur Manigault, einer der bedeutendsten Reeder La Rochelles, erschien sehr würdig in einem Rock aus pflaumenfarbenem Samt, schwarzen Strümpfen und Schuhen mit Silberschnallen, gefolgt von seinem Neger Siriki. Jedermann fand ihn außerordentlich stattlich. Er hielt seinen Sohn Jérémie an der Hand, auf den er sehr stolz war, einen bezaubernden Jungen mit langen blonden Locken, den seine vier Schwestern und seine Mutter wie einen kleinen König umschmeichelten.

Die Familie des Advokaten Carrère war gleichfalls vollzählig zur Stelle. Die Fülle Madame Carrères kündigte eine elfte Mutterschaft an.

Einige echte Edelleute waren an ihren Degen zu erkennen. Sie hielten sich unter sich und plauderten miteinander.

»Platz, Platz für Madame de Rohan!«

Diener schleppten einen mit Gobelinstoff bespannten Sessel in die erste Reihe, in dem eine gebieterische alte Dame Platz nahm, eine der Klaue einer alten Eule ähnelnde Hand auf dem Silberknauf ihres Stockes.

Der Zustrom hatte nun seinen Höhepunkt erreicht, doch alles vollzog sich in größter Ordnung, Junge Leute gingen umher und präsentierten eine Leinwandtasche, in die man den zum Unterhalt der Prediger geforderten Beitrag warf. Der größte Teil der Gläubigen saß zwischen klebrigen Rückständen des Meersalzes auf der Erde. Die reicheren oder mit größerer Voraussicht begabten hatten Kissen, Säcke, einige sogar Holzkohlenwärmer für die Füße mitgebracht, denn es war recht kühl und windig.

Auf der Heide standen, an dürftigen Tamarisken festgebunden oder von dienstwilligen Burschen bewacht, die Pferde, Esel und Maultiere der Anwesenden. Die Burschen dienten auch als Wachtposten für den Fall einer Annäherung der Dragoner des Königs. Die Karren und Kutschen erwarteten mit zum Himmel gerichteten Deichseln das Ende der Zeremonie. Eine Hymne wurde angestimmt und von der Menge in dumpfem, machtvollem Chor aufgenommen.

Drei schwarzgekleidete Gestalten mit großen, runden, gleichfalls schwarzen Hüten traten zu den beiden Tischen in der Mitte der Versammlung.

Eine von ihnen war der Pastor Beaucaire. Doch Angélique musterte gierig den Größten und Ältesten der Gruppe. Trotz des weißen Haars, das das gebräunte, faltige Gesicht umrahmte, erkannte sie den »schwarzen Mann«, den sagenhaften Reisenden ihrer Kindheit. Sein vagabundierendes Leben, die Gefahren, die ihm auf seinen zahlreichen Pilgerfahrten begegnet waren, schienen seinen sehnigen, mageren Körper ungebeugt und kraftvoll erhalten zu haben.

Der dritte war ein stämmiger, untersetzter Geistlicher mit lebhaft gefärbtem Gesicht und lebendigem, gebieterischem Blick. Er war es, der mit kräftiger, weittragender Stimme das Wort nahm:

»Meine Brüder, dem Herrn hat es gefallen, mich aus meinen Ketten zu befreien, und es erfüllt mich mit tiefem Glück, von neuem unter euch meine Stimme erheben zu können. Meine Person hat keinerlei Bedeutung. Ich bin nur ein Diener Gottes, bedrückt von der Sorge um meine kleine Herde, das heißt, um euch alle, euch Reformierte von La Rochelle, die ihr trotz der täglich unnachsichtigeren Nachstellungen die Stimme des Heils zu vernehmen sucht .«

Angélique entnahm seiner Predigt, daß es sich um den Pastor Tavenay handelte, den Verantwortlichen für das Colloquium von La Rochelle, die Gesamtheit der protestantischen Kirchen der Stadt. Auch er war erst kürzlich aus dem Gefängnis entlassen worden, wo man ihn sechs Monate zurückgehalten hatte.

»Manche unter euch sind zu mir gekommen, um mich zu fragen: >Sollen wir zu den Waffen greifen, wie es unsere Väter einstmals taten?<, eine Frage, die sich vielleicht viele von euch insgeheim stellen, der gefährlichen Versuchung des Hasses erliegend, der selten ein so guter Ratgeber ist wie die Klugheit. Ich werde euch also zunächst meine eigene Meinung darüber sagen: Ich bin gegen die Gewalt. Fern sei es von mir, den Heroismus unserer Väter zu verkleinern, die den Schrecken der Belagerung von 1628 standzuhalten wußten, aber ist unsere Konfession aus dieser machtvollen, stolzen Revolte etwa gestärkt hervorgegangen? Nein! Es hätte nicht viel gefehlt, und kein einziger Hugenotte wäre mehr in La Rochelle gewesen, aus dessen Mauern unser Glaube für immer getilgt geblieben wäre.«

Pastor Tavenay sprach noch lange in dieser Weise. Er erinnerte an die nationale Synode, die im folgenden Jahr in Montelimar zusammentreten sollte und in deren Verlauf ein Memorandum über behördliche und sonstige Schikanen, deren Opfer die französischen Hugenotten waren, verfaßt werden würde, ein Memorandum, das man dem König zu eigenen Händen überreichen wollte. Er schloß mit einer letzten Mahnung, Vertrauen zu haben und Ruhe zu bewahren, indem er seinen eigenen Fall und den des Pastors Beaucaire als Beispiel anführte.

Die alte Herzogin de Rohan hatte während der langen Rede mehrfach ihre Ungeduld erkennen lassen. Sie schüttelte mißbilligend den Kopf und stieß ihren Stock auf den Boden. Die bürgerlichen Ermahnungen des Pastors schienen ihr nicht recht zu passen. Doch hielt sie sich wohl für zu alt, um noch die Rebellin zu spielen, und beschränkte sich schließlich darauf, ihr Mißfallen durch einen tiefen Seufzer zu äußern.

Beifälliges Gemurmel stieg von der Zuhörerschaft auf. Nur ein Mann erhob sich, ein Bauer mit breiten Schultern, der seinen Hut in beiden Händen drehte.

»Ich«, sagte er, »ich bin aus der Gegend von Jarans in der Gâtine. Die Dragoner des Königs sind in unseren Ort gekommen. Sie haben Feuer an unseren Tempel gelegt. Und dann haben sie mir meine Schinken, meine Brote, meine beiden Kühe, meinen Esel und meine Frau genommen. Deshalb denke ich manchmal, wenn ich eine Hacke nehmen und sie alle umbringen könnte, würde es mich erleichtern .«

Die Reihenfolge, in der der arme Mann seine verlorenen Güter aufzählte, hatte hier und dort schnell ersticktes Gelächter hervorgerufen.

Der Bauer sah sich um. Sein Blick suchte zu verstehen.

»Sie haben meine Frau an den Haaren den Weg entlang geschleift ... Was sie mit ihr gemacht haben; werd’ ich so bald nicht vergessen können ... Hinterher haben sie sie in den Brunnen geworfen .«

Die Stimme verlor sich im ersten Aufbranden eines Psalms, in den die Tausende einfielen.

Danach begann Pastor Rochefort zu sprechen. Er rief den Getreuen den Bericht über den Auszug der Juden aus Ägypten ins Gedächtnis zurück und wie die Juden, als sie sich von den Ägyptern verfolgt sahen, Moses angefleht hatten: »Laß uns den Ägyptern dienen. Denn es wäre uns besser, den Ägyptern zu dienen als in der Wüste zu sterben ...« Aber der Ewige hatte seine Macht dadurch erwiesen, daß er die Heere Pharaos ertränkte, und die Juden hatten schließlich den Boden Kanaans erreicht. Vielmehr: sie hätten ihn erreicht, doch sie zweifelten an der Güte des Ewigen, der sie nur in die Wüste schickte, um sie einer schimpflichen Sklaverei zu entreißen, in der sie fürchten mußten, den Glauben ihrer Väter zu vergessen.