Выбрать главу

»Warum habt Ihr es getan?« fragte sie plötzlich. »Ich meine, wie konntet Ihr so viel Vertrauen in mich setzen, daß Ihr mir Euer Haus auf tatet?«

Er war ohne Mühe ihrem unausgesprochenen Gedankengang gefolgt und verstand den Sinn ihrer Frage.

»Ich glaube an den Wert gewisser Zeichen«, antwortete er. »Als jenes Gesicht, das eines Winterabends gleichsam als bezauberndes und herzzerreißendes Symbol der großen, grausamen Stadt vor mir auftauchte, mich auch weiterhin durch die Jahre verfolgte, sagte ich mir schließlich, daß es einen anderen Sinn als den einer bloßen Erinnerung haben müsse, daß jene Begegnung so etwas wie eine Ankündigung, eine Warnung gewesen sei . wie der Glockenschlag des Totengeläuts, der in der Ewigkeit des Schicksals erklingt und dessen Echo sich verliert . Doch dann geschieht etwas und man erinnert sich, gewarnt worden zu sein . Als ich Euch im Verlaufe jenes Überfalls wiedererkannte, war ich deshalb nicht allzu erstaunt. Es stand geschrieben. Ich konnte nicht anders, als mich Eurer und Eures Kindes anzunehmen. Ich spürte, daß es meine Pflicht war, alles zu tun, um Euch aus dem Gefängnis herauszuholen, bevor es zu spät war. Ich nutzte die Abwesenheit des katholischen Richters.«

Grübelnd fügte er hinzu:

»Warum habe ich diese Worte gesagt: bevor es zu spät war? . Es ist richtig, ich war überzeugt, daß die Zeit drängte, daß es sich für Euch um Stunden handelte. Mich verfolgte jenes Wort der Bibeclass="underline" >Befreie die, die man zum Tode führt, rette die, die man morden will.< Ich spüre, daß Eure Gegenwart unter uns von unendlicher Bedeutung ist, aber welcher?«

»Ich glaube es zu wissen«, sagte Angélique, auch sie bewegt und getrieben durch das ungewöhnliche Vertrauen, die kahle, vom Wind gepeitschte und nun verlassene Heide. »Sie bedeutet, daß ich Euch und die Euren eines Tages retten werde, wie Ihr mich gerettet habt .«

Jemand ging an ihr vorbei und sagte: »Die Französin!«

Angélique drehte sich um. Ein Mann war stehengeblieben und starrte sie verblüfft an. Er trug einen Rock mit ausgeblaßten Goldstickereien, Schuhe mit roten Absätzen, deren Leder reichlich rissig schien, einen Hut mit trübselig hängender Feder. Er zwinkerte wie ein Käuzchen in der Sonne.

»Die Französin«, wiederholte er, »die Französin mit den grünen Augen.«

Angélique verspürte gleichzeitig den Wunsch, zu fliehen und doch auch Näheres zu erfahren.

Mechanisch trat sie auf ihn zu. Er machte einen Sprung wie ein Eichhörnchen.

»Es gibt keinen Zweifel! Ihr seid es ... Dieser Blick! Aber ...«

Er musterte ihre bescheidene Kleidung samt der Haube, die ihr Haar verbarg.

»Aber ... seid Ihr denn keine Marquise? Man hat es mir doch in Kandia versichert ... und ich habe es geglaubt ... Zum Teufel, ich habe sogar Eure Papiere gesehen! Was treibt Ihr denn hier in dieser seltsamen Ausstaffierung?«

Endlich erkannte sie ihn, vor allem an seinem schlecht rasierten Kinn.

»Monsieur Rochat ... Ihr? ... Ist es möglich? Es ist Euch also gelungen, die Kolonien der Levante zu ver-lassen, wie Ihr es Euch wünschtet?«

»Und Euch ist es also geglückt, Moulay Ismaël zu entwischen! Das Gerücht ging um, daß er Euch zu Tode gefoltert hätte.«

»Wie Ihr seht, trifft es nicht zu.«

»Ich bin sehr glücklich darüber.«

»Ich auch! . Ah, lieber Monsieur Rochat, welche Freude, Euch wiederzusehen!«

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Madame.«

Sie drückten sich wärmstens die Hände. Niemals hätte Angélique geglaubt, daß die Wiederbegegnung mit dem albernen Kolonialbeamten sie in solchem Maße beglücken könnte. Es war, als ob sich die beiden einzigen Überlebenden eines versunkenen magischen Landes plötzlich an einer öden, armseligen Küste gegenüberständen.

Rochat brachte ihre beiderseitigen Gefühle ans Licht, indem er ausrief:

»Ah, endlich jemand von dort unten, mit dem man sprechen kann . in diesem nördlichen Hafen ohne Geist, ohne Farben! Welcher Trost! Ich könnte jauchzen!«

Von neuem drückte er ihr die Hand, als wolle er sie zerbrechen. Dann verdüsterte sich sein Gesicht.

»Ihr seid also keine Marquise?«

»Pst!« machte sie und sah sich um. »Suchen wir uns einen ruhigen Ort, wo wir uns unterhalten können. Ich werde Euch alles erklären.«

Mit verächtlicher Grimasse bemerkte Rochat, daß er unglücklicherweise keinen Ort in La Rochelle kenne, wo man echten türkischen Kaffee trinken könne. Es gebe zwar die »Taverne de la Nouvelle France«, wo man ein Gebräu dieses Namens serviere, aber das sei nur »ihr« Kaffee von den Inseln. Er habe nichts mit den Bohnen der Ebenen Äthiopiens gemein, die man nach unumstößlichen Regeln röste und deren göttlichen Extrakt man im Orient trinke.

Nichtsdestoweniger begaben sie sich zu der fraglichen, recht erbärmlichen Taverne, die um diese Stunde glücklicherweise leer war, und setzten sich in eine Fensternische. Rochat lehnte den vorgeschlagenen Kaffee ab.

»Offen gesagt, ich kann ihn Euch nicht empfehlen. Lakritzensaft mit einem Absud von Eicheln vermischt, das ist es, was sie hier Kaffee nennen .«

Sie einigten sich schließlich auf einen kleinen Charentewein, wie er hier überall in bester Qualität ausgeschenkt wurde, zu dem der Wirt eine reichhaltige Schale mit Meeresfrüchten und Muscheln lieferte.

»Das einzig Annehmbarein diesem trübseligen Land«, meinte Rochat. »Schalentiere, Seeigel, Austern ... ich stopfe mich voll damit.«

Er warf einen enttäuschten Blick auf das Gewirr der Rahen und Taue, das den leuchtenden Himmel verdunkelte.

»Wie traurig das ist! Wo sind die Galeeren Maltas und ihre Banner, die Fahnen der christlichen Piraten, die kleinen Esel und ihre Orangenkörbe ... wo ist Simon Dausat und sein roter Bart!«

Angélique war versucht, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß der Hafen weder so nördlich gelegen noch so farblos sei, wie er zu glauben schien.

»Habt Ihr Euch früher nicht darüber beklagt, im Orient festgehalten zu werden? Ihr träumtet nur von der Rückkehr in die Hauptstadt.«

»Ihr habt recht. Ich habe alles nur mögliche angestellt, um nach Frankreich zurückkehren zu können. Jetzt stelle ich alles nur mögliche an, um wieder nach dort unten zu kommen . In Paris habe ich mich nur gelangweilt. Immerhin gab es in der Nähe des Vieux Temple eine kleine Kneipe, in der man anständigen Kaffee bekam und gelegentlich ein paar Malteserritter, ein paar Türken treffen konnte . Man hat mich hierhergeschickt, um den Protestanten das Versicherungsmonopol zu entziehen. Ich habe die Gelegenheit genützt, um mit gewissen Kaufleuten in Kontakt zu kommen . Diese Rochelleser haben überall ihre Beziehungen. Einer von ihnen schickt mich jetzt nach Kandia. Dienstag reise ich ab«, schloß er strahlend.

»Und die königliche Verwaltung?«

Rochat zuckte die Schultern. Er war Fatalist.

»Was wollt Ihr? Im Dasein jedes intelligenten Menschen kommt ein Augenblick, in dem er zu begreifen beginnt, daß man sich zum Narren macht, wenn man anderen dient, in diesem Fall dem Staat. Ich habe immer Begabung für Geschäfte gehabt. Die Stunde ist gekommen, mich ihrer zu bedienen. Wenn ich reich geworden bin, werde ich meine Familie nachkom-men lassen.«

Ihn kurz vor der Abreise zu wissen, beruhigte die junge Frau sehr. Sie konnte offener sprechen.

»Versprecht mir, Monsieur, das, was ich Euch anvertrauen werde, geheimzuhalten.«

Sie bestätigte ihm, daß sie wirklich die Marquise du Plessis-Bellière sei. Bei ihrer Rückkehr nach Frankreich habe sie beim König Anstoß erregt, der ihr grolle, weil sie trotz seines Verbots abgereist sei. In Ungnade gefallen, habe sie sich dem Ruin gegenübergesehen und sei nun gezwungen, ein sehr bescheidenes Leben zu führen.