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»Der Rescator«, schloß er, »hat also das Mittelmeer verlassen. Obwohl er Euch nicht zurückbekommen hat, war er es sich schuldig, das Mezzo Morte gegebene Versprechen zu erfüllen, da dieser das seine gehalten hatte. Wölfe unter sich halten auf Anstand. Aber zuvor hat er noch Mezzo Morte zum Duell gefordert. Der Admiral von Algier ist bis in eine Oase der Sahara geflüchtet, um ihm zu entgehen und das Lichten seiner Anker abzuwarten. Und der Rescator passierte die Meerenge von Gibraltar. Er ist auf den Atlantik entschwunden, und niemand weiß, was aus ihm geworden ist«, endete Rochat mit Trauerstimme. »Was für eine düstere Geschichte! Es ist zum Verzweifeln!«

Angélique erhob sich.

»Ich muß gehen, Monsieur. Kann ich sicher sein, daß Ihr mich nicht verraten und zu niemand über unsere Begegnung sprechen werdet, wenigstens solange Ihr in Frankreich und in La Rochelle seid?«

»Ihr könnt dessen sicher sein«, versprach er. »Mit wem sollte ich hier auch schon sprechen? Die Ro-chelleser sind kalt wie Marmor .«

Auf der Schwelle küßte er ihr die Hand. Er war kein Beamter mehr. Er begann ein neues Leben. Und seine bisher in eine zu enge Hülle gezwängte, unsichere, doch auf noch unbestimmte Weise poetische, abenteuerliche Persönlichkeit begann sich sacht zu entfalten.

»Schöne Gefangene mit den grünen Augen, möge der Gott der Winde Euer Schifflein weit von einem so trübseligen Geschick wie dem, das Ihr gegenwärtig erduldet, fortführen. Obwohl Eure Reize, die einstmals ganz Kandia blendeten, heute im verborgenen blühen, läßt sich dennoch erkennen, daß sie solche Verdunkelung nicht verdienen. Wißt Ihr, was ich Euch wünsche? Daß der Rescator vor La Rochelle Anker wirft und Euch von neuem entführt.«

Sie hätte ihn für diese Worte umarmen mögen. Statt dessen protestierte sie schwach.

»Großer Gott, nein! Ich müßte fürchten, daß er mich den Verdruß allzu teuer bezahlen ließe, den ich ihm verursacht habe. Er muß mich verfluchen bis zum heutigen Tag .«

Um Zeit zu gewinnen, schlug sie den Weg über die Wälle ein. Man würde sich über ihre lange Abwesenheit bereits wundern. Die Abendsuppe würde nicht rechtzeitig fertig werden. Die Sonne war schon untergegangen, und der kalte Wind schnitt in ihre halbnackten Arme, denn sie war an diesem milden Herbstnachmittag ohne Mantel ausgegangen. Unter dem gelben, klaren Himmel hatte das Meer eine graue, stumpfe Tönung. Friedlich verliefen sich die Wogen auf dem mit Tang bedeckten Strand. Von Zeit zu Zeit brach sich eine stärkere Welle am Fuß der Mauern, und der Wind zerstäubte die Gischt.

Die Augen zum Horizont gerichtet, glaubte Angé-lique dort ein Schiff auftauchen zu sehen, wie schon so viele andere erschienen waren. »Er ist auf den Atlantik entschwunden .«

War es närrisch, wie ein junges Mädchen zu träumen, dessen Herz zu schlagen beginnt, weil ein mysteriöser Fürst der Meere sie erwählt hatte und bereit war, alles für sie zu opfern?

War sie denn keine um ihre Illusionen gebrachte Frau, hatte sie nicht schon genug gelebt? Hatte die Brutalität der Männer sie nicht für immer verwundet?

Wann wohl hörte die Phantasie der Frauen auf, in Herzensdingen sich ins Uferlose zu schwingen? Ihr Träumen vom Wunder, vom Unerreichbaren schien erst mit ihnen zu sterben.

»Es ist der Zauber dieser Geschichte, der mich fasziniert«, dachte sie.

Wie sollte sie die Sanftheit jenes schweren Mantels aus schwarzem Samt vergessen, der sie eingehüllt hatte, die tiefe, ein wenig geborstene Stimme?

». Bei mir gibt es Rosen ... Bei mir werdet Ihr schlafen .«

Sie war so in Gedanken versunken, daß sie gegen den Soldaten Anselme Camisot stieß, der ihr mit seiner Hellebarde den Weg versperrte.

»Da Ihr Euch auf meinem Territorium befindet, schöne Dame, schuldet Ihr mir einen Kuß.«

»Ich bitte Euch, Monsieur Camisot!« rief Angélique freundlich, doch entschieden.

»Ah, wie könnt’ ich mich nicht beugen, ich, ein armer Wachtposten, wenn die Königin mich darum bittet?«

Er trat beiseite, um sie passieren zu lassen. Auf seine Hellebarde gestützt, folgte er mit dem melancholischen Blick eines traurigen Hundes ihrer trotz des armseligen Kleides in fürstlicher Haltung sich entfernenden Erscheinung, aus tiefster Seele ihre runde Taille, die sanfte Linie der Schultern, den geraden Nacken und das dem Meer zugewandte weiße Profil bewundernd.

Eines Morgens fand man Onkel Lazare friedlich entschlafen in seinem Bett. Madame Anna und Abigaël kleideten ihn in ein Totenhemd und betteten ihn in weiße, prunkende Laken. Der Pastor Beaucaire war bereits mit seinem Neffen erschienen. Wenig später traf der Papierhändler ein, danach die Nachbarn in immer größerer Zahl. Um die Mitte des Vormittags wurde am Portal geläutet. Angélique lief hinunter, um zu Öffnen, und ließ einen Herrn den Hof betreten, dessen strenges Äußere - schwarzer Überrock, weißer Spitzenkragen - ihr zunächst keinerlei Mißtrauen einflößte und der sich als Sieur Baumier, Präsident der königlichen Kommission für religiöse Angelegenheiten und Beigeordneter des Monsieur Nicolas de Bardagne, vorstellte.

Angélique hatte bereits von dieser Persönlichkeit sprechen hören. Sie biß sich auf die Lippen und wunderte sich nicht, hinter dem Besucher vier Bewaffnete zu entdecken, die nun gleichfalls in der unbekümmerten, selbstbewußten Art von Leuten eintraten, die sich auf der Seite des Stärkeren wissen, gefolgt von einem Individuum mit wenig einnehmender Miene, dessen Kasacke mit dem Wappen der Stadt geschmückt war: dem Schiff, auf dessen Segeln die königlichen Lilien prangten.

In einer den Umständen angepaßten Trauerhaltung wandte sich Baumier der Treppe zu, von dem Kommis und den vier beunruhigenden Gestalten in respektvollem Abstand gefolgt.

Bei ihrem Anblick erhob sich die kniende Versammlung, und in der dumpfen Luft des Zimmers wurde jähe Spannung spürbar.

Der Sieur Baumier entrollte ein Pergament und verlas es mit mürrischer Stimme:

»In Ansehung, daß der Sieur Berne Lazare, am Tage des 16. Mai konvertiert, in seine schuldhaften Irrtümer zurückfiel, sein ewiges Heil vernachlässigte, ein gefährliches Beispiel gab .«, wurde er des Verbrechens der Rückfälligkeit beschuldigt und überführt, zu dessen Sühnung sein Leichnam vom Henker auf einer Leiter durch die Bezirke und Straßen der Stadt geschleift und auf den Schindanger geworfen würde. Überdies sei er dazu verurteilt, dreitausend Livres Buße an den König und hundert Livres Almosen zugunsten der armen Gefangenen des Gerichtsgefängnisses zu zahlen .

Maître Gabriel unterbrach ihn. Er war sehr bleich. Er hatte sich zwischen Baumier und das Bett gestellt, in dem als einziger der Versammlung der Tote einen heiteren, fast ein wenig ironischen Ausdruck bewahrte.

»Monsieur de Bardagne kann unmöglich eine solche Entscheidung getroffen haben. Er selbst ist Zeuge der Weigerung meines Onkels gewesen, und ich schlage vor, ihn zu holen.«

Baumier verzog sein Gesicht zu einer höhnischen Grimasse, während er das Pergament zusammenroll-te.

»Gut«, sagte er selbstsicher, »laßt ihn nur holen. Aber ich bleibe. Ich habe Zeit. Ich stehe im Dienst einer heiligen Sache, die es sich angelegen sein läßt, die Stadt von gefährlichen Verschwörern zu säubern. Denn es gibt eine Verschwörung der bösen Engel gegen die guten, wie es eine Verschwörung der schlechten Untertanen des Königs gegen seine Getreuen gibt, und in La Rochelle fällt manchmal beides zusammen.«

»Wollt Ihr uns etwa als Verräter am Königreich bezeichnen?« fragte der Schöffe Legoult, indem er sich mit verkniffenen Lippen und kampfeslustig hochgezogenen Augenbrauen näherte.

Maître Gabriel trat dazwischen.

»Wer wird Monsieur de Bardagne holen?« fragte er.

»Ich bleibe hier und meine Leute desgleichen«, rief Baumier mit sardonischem Lächeln.