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»Ich will ihn tot machen«, wiederholte sie energisch.

Angélique versuchte, sie festzuhalten, während sie ihr Augenmerk auf die Tatsache richtete, daß ihre Tochter bis zu den Haaren mit Marmelade beschmiert war. In diesem Moment begann der kleine Laurier sich zu übergeben. Es war die Aufregung. Er hatte um seinen Vater gezittert, ohne recht zu wissen, wer oder was ihn eigentlich bedrohte. Die Angst ließ ihn wieder so elend aussehen wie in den ersten Tagen. Angélique füllte den eisernen Kessel mit sauberem Wasser und hängte ihn über die Glut. Dann fachte sie das Feuer an. Sie würde die beiden waschen müssen.

Séverine trat in Begleitung Madame Annas in die Küche. Sie wiederholte aufgeregt:

»Und dann, Tante Anna? . Hätte man ihn durch die Straßen geschleift?«

»Ja, meine Tochter. Der Pöbel hätte das Recht gehabt, ihn zu beschimpfen, ihn anzuspucken und mit Unrat zu bewerfen.«

»Findet Ihr es richtig, dieses Schauspiel zu beschreiben, obwohl es nicht stattgefunden hat?« fragte Angélique unvermittelt.

Plötzlich wurde Séverine noch weißer und glitt von ihrem Stuhl. Angélique hatte eben noch Zeit, das Mädchen in ihren Armen aufzufangen und in ihr Zimmer zu tragen.

Nachdem sie ihr die Schuhe ausgezogen hatte, legte sie sie aufs Bett. Séverines Hände waren eisig.

Angélique kehrte in die Küche zurück, ergriff einen Behälter, in den sie etwas von dem Wasser goß, das eben zu kochen begann. Gleichzeitig bereitete sie einen Bettwärmer vor.

Tante Anna bemerkte in verkniffenem Ton, sie sei verwundert, Séverine so wenig tapfer zu sehen, da sie sich sonst doch so energisch widerstandsfähig und ohne falsche Empfindlichkeit zeige.

»Und ich bin verwundert, daß Ihr Euch wundert«, erwiderte Angélique. »Denn Ihr seid doch eine Frau, wie mir scheint, und es kann Euch nicht entgangen sein, daß Séverine zwölf Jahre alt ist und daß ein Mädchen in diesem Alter der Schonung bedarf.«

Madame Anna schien durch die Anspielung höchst unangenehm berührt; da sah man es wieder: den papistischen Frauen fehlte es von Grund auf an Schamgefühl.

Angélique richtete Séverine mit Hilfe eines zweiten Kopfkissens ein wenig auf und riet ihr, die Hände so lange in das warme Wasser zu tauchen, bis sie sich wieder besser fühle.

Sie verließ sie, um den Bettwärmer, ein Fläschchen Parfüm und die kirschroten Samtbänder zu holen, die sie in der Rue des Merciers gekauft hatte.

Auf dem Bettrand sitzend, flocht sie mit geschickten Fingern das lange Haar des Kindes, das sie zuvor geteilt hatte, in zwei braune, mit den roten Bändern durchwirkte Zöpfe.

»So, jetzt wirst du dich besser ausruhen können.«

Sie tat ein paar Tropfen Parfüm in das Wasser des Behälters und rieb Séverines Stirn und Schläfen mit der flachen Hand. Das Mädchen ließ alles mit sich geschehen, hin und her gerissen zwischen den Gewissensbissen über ihre Schwäche und dem Wohlsein, das sie nach ihrem peinlichen Unbehagen empfand.

»Tante Anna wird unzufrieden mit mir sein«, murmelte sie.

»Warum?«

»Sie ist niemals krank. Sie sagt, daß man seinen Körper abtöten müsse.«

»Bah! Unser Körper übernimmt es schon selbst, uns abzutöten, ohne daß wir ihn dazu erziehen müßten«, bemerkte Angélique lachend.

Das Gesicht Séverines auf dem Kopfkissen schien ihr plötzlich verändert. Die bläulichen Lider machten ihren Blick weich, und unter ihren unhübschen, noch kindlichen Zügen zeichnete sich das Gesicht einer Frau ab. In ihren Augen würden nächtliche Tiefen schlummern, und schon jetzt ließ sich erkennen, daß ihr zu großer Mund einen Ausdruck unbewußter Sinnlichkeit bekommen würde.

Séverine war hart, viel härter als ihre Brüder, aber auch sie würde dem Erbe der Frauen nicht entgehen. Auch sie würde eines Tages mit diesem Ausdruck der Unterwerfung in den Armen eines Mannes liegen. Auch sie würde sich vor der Liebe beugen.

Angélique sprach sanft zu ihr, um sie zu beruhigen, wie es einstmals ihre Mutter getan hatte. Doch Séverine gewann nach und nach ihre Farben wieder, und ihre Augen begannen zu blitzen. Sie hatte immer darunter gelitten, ein Mädchen zwischen ihren beiden Brüdern zu sein, Martial, den sie bewunderte, und Laurier, den sie beneidete, weil er ein Junge war.

»Ich will keine Frau sein«, erklärte sie heftig. »Es ist ein schrecklicher, demütigender Zustand.«

»Was für eine Idee! Ich bin auch eine Frau! Sehe ich unglücklich aus?«

»Oh, Ihr . das ist nicht dasselbe«, erklärte Séverine. »Erstens lacht Ihr immer . und dann seid Ihr schön.«

»Auch du wirst einmal sehr hübsch sein.«

»Ach, ich lege keinen Wert darauf. Tante Anna sagt, die Schönheit der Frauen führe die Männer in Versuchung und verleite sie zu Sünden, die dem Herrn ein Greuel sind.«

Auch diesmal konnte Angélique ihr Lachen nicht unterdrücken.

»Die Männer begehen ohnehin alle Sünden, die sie begehen wollen, glaube mir. Warum sollte die Schönheit der Frauen eine Falle sein statt einer Huldigung für den Schöpfer?«

»Eure Worte sind gefährlich«, bemerkte Séverine im Tonfall Madame Annas.

Aber sie gähnte schon, und ihre Lider schlossen sich.

Angélique deckte sie zu und verließ sie, zufrieden über das glückliche Kinderlächeln, das, wie einstmals bei Laurier, im Schlaf um ihre Lippen spielte.

Ein paar Tage später schlich sich Martial bei Nacht auf ein holländisches Schiff. Doch das Schiff wurde auf der Höhe der Ile de Ré von Fahrzeugen der königlichen Marine angehalten. Der junge Passagier wurde verhaftet, zum Land zurückgeschafft und im Fort Louis eingesperrt.

Die Neuigkeit schlug in La Rochelle wie ein Blitz ein.

Der Sohn Maître Bernes im Gefängnis! Eine der ehrenwertesten Familien der Stadt in unvorstellbarer Weise erniedrigt!

Maître Berne erbat sofort eine Audienz bei Monsieur de Bardagne, der ihn während des Vormittags nicht empfangen konnte. Doch gelang es ihm immerhin, den spottenden, unnachgiebigen Baumier zu sehen, von dem er sich zu Manigault begab, um den Fall mit ihm durchzusprechen. Der Tag verstrich mit allerlei Vorstößen, von denen man sich jedesmal eine günstige Entscheidung erhoffte. Abends kehrte Gabriel Berne bleich und so erschöpft zurück, daß Angélique es nicht wagte, ihn von einem Besuch des Unterdelegierten des königlichen Finanzpacht-Amts für das Gebiet der Charente zu unterrichten, der am Nachmittag gekommen war, um die zweite, dem Kaufmann in seiner Eigenschaft als Reformierter auferlegte Steuerrate einzutreiben. Ein Unglück kommt selten allein.

Maître Berne berichtete, daß er schließlich doch bei Nicolas de Bardagne gewesen sei, der sich jedoch zu seiner Enttäuschung sehr zurückhaltend gezeigt habe. Er versicherte, daß das Delikt der Flucht drakonisch bestraft werde. Hatte man nicht auf der Straße nach Genf verhaftete protestantische Reisende kurzerhand aufgeknüpft? Die Richtung nach Holland war nicht viel weniger verdächtig, Monsieur de Bardagne hatte in Anbetracht der besonderen gesellschaftlichen Stellung des Jungen um Zeit zum Überlegen gebeten. Er habe mehrfach wiederholt, daß er sehr, sehr ärgerlich sei.