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Das Unheil warf seinen kalten Schatten über den Abend der Protestanten.

Der Empörung, der Scham folgte die Furcht. Der Advokat Carrère sprach mit Trauermiene davon, daß unter ähnlichen Umständen arretierte protestantische Kinder mit unbekanntem Ziel verschleppt worden seien und daß es heiße, man verwende sie auf den Galeeren des Königs. Selbst die Kräftigsten hielten es höchstens ein Jahr aus .

Während zweier Tage vernachlässigte Maître Gabriel völlig sein Geschäft, um von einer Stelle zur anderen zu laufen und zu versuchen, seinen Sohn freizubekommen oder wenigstens sehen zu können.

Am dritten Tage kehrte Séverine, die zu einem alten Fräulein des Viertels gegangen war, bei der sie Lautenunterricht nahm, nicht zum Mittagessen zurück. Sie erhielten die Nachricht, daß die Tochter Maître Bernes wegen »profanierender Handlungen« festgenommen und ins Kloster der Ursulinerinnen gebracht worden sei.

Im Haus verbreitete sich eine Alptraum-Atmosphäre.

Angélique konnte während der Nacht nicht schlafen.

Als der Morgen anbrach, überließ sie Laurier und Honorine der Aufsicht der alten Rebecca und begab sich zum Justizpalast, wo sie in festem Ton den Statthalter des Königs, den Grafen de Bardagne, zu sehen verlangte.

Das Gesicht des Statthalters hellte sich auf, als er sie eintreten sah. Er hatte bereits heimlich auf ihren Besuch gehofft. Er sagte es ihr.

»Hat Euch Euer Herr geschickt? Dann müßt Ihr wissen, daß der Fall sehr ernst ist und daß überhaupt keine Möglichkeit besteht, etwas zu ändern.«

»Keineswegs, ich bin aus eigenem Antrieb gekommen.«

»Ich bin entzückt darüber. Ich habe von Eurer Intelligenz nichts anderes erwartet. Da sich die Ereignisse überstürzen, ist es unumgänglich, daß Ihr mir Eure Beobachtungen berichtet. Glaubt Ihr, daß Maître Berne nachgeben wird?«

»Nachgeben?«

»Ich meine, sich bekehren wird. Ich gestehe, daß es mich bei diesem Gedanken nicht mehr an meinem Platz halt. Ich habe hier einige Namen aufgeschrieben, die ich im Laufe eines ganzen Jahres geduldiger Beobachtung ausgewählt habe. Nicht mehr als zehn, aber ich weiß, daß die Pfeiler des Hugenotten-tums in La Rochelle von selbst einstürzen werden, wenn ich mit diesen zu einer Übereinkunft im Guten gelange .«

Es war sehr warm im Zimmer. In dem von heraldischen Greifen und verzierten Bogenrippen eingerahmten Kamin bullerte ein vom stürmischen Wind angefachtes Feuer. Angéliques Wangen nahmen rasch die Tönung reifender Pfirsiche an und lenkten die Gedanken Monsieur de Bardagnes in eine galantere Bahn.

»Zieht doch Euren Mantel aus ... Wir sind hier vor den Unbilden des Wetters geschützt.«

Er selbst nahm den schweren Tuchmantel von Angéliques Schultern. Sie ließ es mechanisch geschehen, ganz und gar vom Umformulieren der Verteidigungsrede in Anspruch genommen, die sie in Gedanken vorbereitet hatte. Sie war als Bittstellerin hierhergekommen, entschlossen, wenn es nötig sein sollte, sich dem Statthalter des Königs zu Füßen zu werfen. Nun merkte sie, daß es ein schrecklicher Irrtum gewesen wäre. Denn er empfing sie als Mitarbeiterin, als Komplizin, als Helferin der Zwangsbekehrung.

»Bitte, setzt Euch«, sagte der Vertreter des Königs.

Sie gehorchte, setzte sich mit der Zwanglosigkeit, die von langer gesellschaftlicher Übung herrührte. Sie war noch immer in ihre Gedanken verloren und bemerkte nicht, daß Bardagne sie mit den Augen ver-schlang.

»Sie ist entschieden sehr schön«, sagte er sich. Wenn sie eintrat, wenn man sie in ihrer weißen Haube und strengen Kleidung erscheinen sah, hielt man sie zuerst für das, was sie war: eine Magd. Doch schon nach einigen Augenblicken konnte man nicht anders als sie als Dame behandeln. Eine ruhige Sicherheit strahlte von ihr aus, eine Freiheit der Bewegungen und Worte, eine gediegene Zurückhaltung verbunden mit einer sympathischen Einfachheit, die ihre Gesprächspartner aus ihrer Reserve lockten. Sie besaß wirklich faszinierenden Charme. Zweifellos hatte es etwas mit ihrer außerordentlichen Schönheit zu tun, oder .

War diese Frau nicht von einem Mysterium umgeben? . Der Graf blieb vor ihr stehen. Er konnte auf diese Weise im Ausschnitt des weißleinenen Busentuchs den Ansatz einer marmornen Brust betrachten, deren Rundungen die grobe Barchentkorsage nicht völlig zu verbergen vermochte.

Diese Brust und der runde, feste, wie mit einem Goldschimmer bestäubte Hals verliehen ihr strahlende Gesundheit, eine Art bäuerlicher Robustheit, die mit dem feinen Schnitt ihrer Züge, ihrer noblen und, wenn sie nachsann, zuweilen ein wenig von Tragik überschatteten Modellierung kontrastierte.

Monsieur de Bardagne fühlte sich von diesem geschmeidigen Hals, von der sanften Kurve zur Schulter, deren weiche Glätte er ahnte, unwiderstehlich angezogen. Er brannte darauf, seine Lippen dort ruhen zu lassen. Seine Kehle war wie ausgetrocknet, und seine Hände fühlten sich feucht an.

Des lastenden Schweigens bewußt werdend, hob Angélique die Augen zu ihm, wandte sie aber vor dem unverhüllten Geständnis des auf ihr ruhenden männlichen Blicks schnell wieder ab.

»Nein«, flehte er, »ich bitte Euch, senkt nicht die Lider. Welch seltene Farbe, dies lichte Grün, das man nur mit dem Smaragd vergleichen kann! Es zu verschleiern, ist eine Sünde!«

»Ich würde es gern gegen eine andere Farbe tauschen«, meinte Angélique gut gelaunt. »Es schafft mir zuviel Verdruß.«

»Mögt Ihr keine Komplimente? Man möchte meinen, daß Ihr Huldigungen fürchtet. Dabei sind sie von allen Frauen begehrt.«

»Von mir nicht, muß ich gestehen. Und ich bin Euch dankbar, Monsieur de Bardagne, daß Ihr es erraten habt.«

Der Statthalter des Königs nahm die Lektion mit zusammengepreßten Lippen hin. Er würde nichts erreichen, wenn er die Dinge überstürzte. Von neuem nahm er hinter seinem Schreibtisch Platz und bemühte sich um einen scherzhaften Ton.

»Hat Euch die tägliche Berührung mit der Reform in solchem Maße angesteckt, daß Ihr die aufrichtige Bewunderung, die Eure Schönheit mir abnötigt, nur mit Kummer entgegennehmt? Ist es nicht ganz natürlich, entzückt vor einer Blume, diesem Meisterwerk der Natur, anzuhalten, dessen leuchtende Farben zur Freude unserer Augen geschaffen sind?«

»Wir wissen nicht, was die Blumen darüber denken«, erwiderte Angélique mit blassem Lächeln, »und ob unsere Bewunderung sie nicht zuweilen belästigt. Was habt Ihr mit den Kindern Maître Bernes vor, Herr Graf?«

»Ah, richtig! Wo waren wir stehengeblieben?« murmelte Bardagne, indem er sich über die Stirn strich.

Der Fall der Kinder Berne, der ihn seit drei Tagen am Schlafen hinderte, schien sich plötzlich aus seinem Gedächtnis verflüchtigt zu haben. Es war ein seltsames Phänomen. Niemals, nein, niemals noch hatte eine Frau die Macht besessen, durch ihren bloßen Anblick so jäh sinnliche Schwingungen bei ihm auszulösen, deren Heftigkeit ihn genierte. Als er sie damals in der Kutsche nach Hause begleitet hatte, war es ihm ganz ähnlich ergangen. Dann hatte sich die Erinnerung daran verwischt. Er hatte weiter mit einer Art träge-glücklicher Nachsicht an sie gedacht. Eines Tages, sehr bald, sagte er sich, sobald die Fülle der Geschäfte ihm ein wenig mehr Zeit ließe, würde er sich mit dieser schönen Dienstmagd befassen müssen. Aber nun, da sie kaum wieder aufgetaucht war, spürte er von neuem das Fieber und fühlte sich unpassenden Begierden ausgesetzt, ein Umstand, der ihn verwirrte, beunruhigte, ja fast demütigte . In jedem Fall war es sehr aufregend. Diesmal würde Monsieur de Bardagne seinen Vorteil zu nützen wissen! Er hatte begriffen, daß man nicht zweimal in seinem Leben das Glück hatte, einer so anziehenden Frau zu begegnen. Unglücklicherweise war er gerade jetzt mit allerlei dringlichen Angelegenheiten überhäuft, waren diese zähen Reformierten zu bändigen, gab es eifersüchtige Kollegen, die mit Wonne jede Gelegenheit ergriffen, ihn der Schwäche zu beschuldigen, hohe Kirchenbeamte, denen die Listen der Bekehrten niemals lang genug waren . Wie sollte man inmitten solcher Unannehmlichkeiten auch noch Zeit finden, der Venus zu opfern? Ah, niemand verstand es heute mehr zu leben! ... Als gewissenhafter und ehrgeiziger Mann bemühte er sich, wieder Fuß zu fassen.