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»Die Kinder könnten doch ihr anvertraut werden. Man hat mir versichert, daß derlei üblich ist. Wenn sich die Notwendigkeit ergibt, ein reformiertes Kind seinen Eltern zu entziehen, sucht man nach der nächsten katholischen Verwandtschaft, um ihr die Erziehung zu übertragen. Es ist zugleich ein Akt der Menschlichkeit und der Vernunft.«

»Warum habe ich nur nicht schon selbst daran gedacht!« rief der Statthalter des Königs begeistert. »Das ist wirklich die vollkommene Lösung. Selbst Baumier wird nichts dagegen haben können, und Maître Berne wird mir, denke ich, dankbar sein. Ihr seid wundervoll. Eure Intelligenz kommt Eurer Schönheit gleich.«

»Dennoch, scheint mir, habt Ihr an ihr gezweifelt.«

»Was muß ich tun, um Eure Verzeihung zu erlangen?«

Vor Freude außer sich, erleichtert, entzückt über die Schätze, die er unaufhörlich in diesem erstaunlichen Geschöpf entdeckte, konnte Bardagne seinem Elan nicht widerstehen. Er nahm Angélique um die Taille und drückte seine Lippen auf ihren glatten Hals, dessen zarte Linien und graziöse Bewegungen ihn während der ganzen Unterhaltung immer von neuem berauscht hatten.

Angélique zuckte zusammen, als habe man sie verbrannt. Sie entzog sich so jäh seiner Umarmung, daß der arme Mann sie verdutzt anstarrte.

»Ist es möglich«, stammelte er, »daß ich Euch in solchem Maße zuwider bin?«

Seine Augen drückten Bestürzung aus, seine Lippen zitterten. Obwohl nur kurz, hatte die Berührung genügt, um alle seine Hoffnungen zu bestätigen. Diese Frau war erregender als alle, die er jemals kennengelernt hatte. »Tod und Teufel!« dachte er. »Sollte sie ebenso prüde wie die übrigen calvinistischen Jungfern sein? Das wäre mein Pech!«

Angélique stützte sich auf den mit Mosaiken eingelegten Tisch und wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte.

Er mißfiel ihr durchaus nicht. Er war galant. Er hatte schöne Augen, schöne Hände, erfahrene Lippen. Wer mochte wissen, ob sie nicht früher - in jenem »Früher«, von dem sie, wie es ihr schien, nun durch ein schwarzes, unüberwindliches Gitter getrennt war - in Versuchung geraten wäre? Sie konnte nicht vergessen, daß sie nur eine einfache Dienstmagd und er der Vertreter des Königs in La Rochelle war, in der hierarchischen Ordnung also der mächtigste Mann der Stadt.

Glücklicherweise war er nicht dünkelhaft. Im Augenblick empfand er Angéliques Zurückweichen weniger als Beleidigung denn als schmerzlichen Schlag. Sie spürte, daß sie ihn trösten müsse.

»Ihr seid mir nicht zuwider«, sagte sie. »Im Gegenteil. Ich gebe zu, daß ich Euch sehr liebenswert finde. Aber . wie soll ich’s Euch erklären . ich habe meiner hochgestellten Beschützerin . jener Person, die ich nicht nennen kann . versprochen, ein sittsames Leben zu führen, um meine vergangenen Irrtümer zu büßen.«

»Die Pest soll diese Betschwestern holen!« schrie Nicolas de Bardagne. »Ich wette, sie ist häßlicher als die sieben Todsünden zusammen. Sie begreift nicht, daß eine so schöne Frau wie Ihr nicht das Leben einer Nonne führen kann.«

»Und wenn ich selbst den Wunsch hätte, tugendhaft zu bleiben, Herr Graf? ... Gehört es zu Euren Aufgaben, mich in Versuchung zu führen?«

Monsieur de Bardagne seufzte tief auf. Das Abenteuer ließ sich viel schwieriger an, als er zunächst geglaubt hatte. Er beschloß, mit offenen Karten zu spielen.

»Meiner Ansicht nach ist dies die Aufgabe jedes normalen Mannes, wenn er sich in Eurer Gegenwart befindet«, sagte er heiter. »Ich bin sicher, Ihr verfügt über genug Geist und ... Erfahrung, um mich zu verstehen und mir zu verzeihen.«

Er streckte ihr beide Hände entgegen.

»Vergessen wir all das, Dame Angélique, und schließen wir Frieden.«

Es hätte ihr schlecht angestanden, die Versöhnung nicht anzunehmen.

Er küßte leicht ihre Fingerspitzen, und sie verspürte eine recht weibliche Aufwallung von Widerstand und Scham bei dem Gedanken, daß die Hausarbeit ihre Hände verdorben und aufgerauht hatte.

Sie gestattete, daß er ihr den Mantel um die Schultern legte und sie zur Tür geleitete. Er neigte sich mit respektvoller Zärtlichkeit zu ihr.

»Erinnert Euch immer, Dame Angélique, daß Ihr einen Freund in mir habt, der bereit ist, Euch in allen Umständen zu helfen .«

Er umhüllte sie mit seinem Charme, und so lange hatte sich kein Mann ihr gegenüber so verhalten, daß sie sich in einen Aufruhr von Erinnerungen hineingezogen fühlte. So viele Männer hatten sich mit jenem glühenden Blick vor ihr geneigt. Sie erkannte ihr Verlangen, das immer dasselbe war, demütigend und gebieterisch zugleich.

Jenes anrührende Bitten der verschleierten Augen, der gebrochenen Stimme, jene zuvorkommende Sanftheit, hinter der sich wie in einem samtenen Handschuh die grausame Waffe der Besitzergreifung verbarg, die, wenn die Stunde gekommen war, den Bittenden zum Herrn, die unerreichbare Göttin zur Besiegten machte.

Angélique hätte nicht geglaubt, daß sie noch für die Feinheiten des ewigen Spiels empfänglich sein könnte. Es quälte sie und zog sie wiederum auch an wie ein durch besondere Umstände heraufbeschworenes vertrautes Klima.

Die Wangen brannten ihr, und ihre Stimme zitterte fast vor innerer Unruhe, während sie, durch sein Verhalten gleichzeitig aus der Fassung gebracht und bezaubert, sich von ihm verabschiedete.

Sie entfloh verwirrt, gleichgültig gegen die mörderischen Blicke der auf später vertrösteten anderen Besucher. Die Bänke im Vorzimmer hatten sich geleert. Manche waren, des Wartens müde, zum Mittagessen gegangen. Zwölf Uhr war längst vorüber. Von Windstößen geschüttelt, hatte Angélique auf der Straße alle Mühe, ihren Mantel zusammenzuhalten, und kam kaum voran. Der Himmel war erstaunlich blau. Der Sturm zerfetzte das winterliche Licht zu feinen Flämmchen, die knisternd aus der Tiefe der engen Gassen aufzuflackern schienen.

Angélique suchte sich ihren Weg, ohne des Kampfes gegen den entfesselten Sturm recht gewahr zu werden, so sehr war ihr Geist mit der hinter ihr liegenden Begegnung beschäftigt. Ein brodelndes Gefühl der Verwirrung überkam sie bei dem Gedanken an ihre Ungeschicklichkeit, an ihr linkisches Benehmen.

Ach, die Zeit war fern, in der sie den persischen Gesandten Bachtiari Bey meisterlich umstrickt hatte, um ihn gefesselt, wie einen Bären, Ludwig XIV zu Füßen zu legen. Das war damals hohe weibliche Strategie gewesen. Noch dazu, ohne im geringsten ihre Tugend antasten zu lassen! . Während sie sich heute jämmerlich benommen hatte. Es gab kein anderes Wort dafür. Anstatt sich zu freuen, diesen Mann, von dem sie vieles erlangen konnte, vom Fieber ergriffen und in fünf Minuten blökend wie einen Ziegenbock zu sehen, hatte sie sich verkrampft . Indem sie seine ein wenig zu dreisten Erklärungen mit der prüden Widerborstigkeit einer eben erst dem Kloster entsprungenen Jungfer aufnahm, hätte sie sich ihn für immer entfremden können. In ihrem Alter war das beinahe lächerlich! Damals hätte sie ihn durch ein Lächeln, ein pikantes Wortspiel zurechtgewiesen ...

Angélique, namenlose Dienstmagd, in Leinen und Barchent gekleidet, verloren in den Straßen La Ro-chelles, widmete der glanzvollen Frau, die sie noch vor einigen Jahren gewesen war und die so geschickt die Waffen ihres Geschlechts zu führen gewußt hatte, einen Augenblick achtungsvollen Gedenkens. Zwischen jenen Zeiten und der Gegenwart hatte es die Nacht von Plessis gegeben. Nach und nach hatte sie wieder Boden unter die Füße bekommen, war sie wieder aufgelebt. Das Dasein hatte sie von neuem vorangestoßen. Doch von der schwersten Verletzung würde sie, dessen war sie gewiß, niemals genesen. Es gab keinen Mann, der dieses Wunder in ihr zuwege bringen würde: die einstige Heiterkeit des Liebens neu zu beleben, das heiße Drängen ihres Körpers zu einem anderen Körper, das mysteriöse Aufblühen der Lust, die Verzückung des Erliegens.

»Er müßte schon ein Magier sein«, dachte sie. Und mechanisch wandte sich ihr Blick dem schwarzen, aufgewühlten Meer zu, auf dem kein Segel zu erblik-ken war.