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Mit fiebrigen Händen versuchte Angélique, Brust und Schultern mit den Fetzen ihrer Korsage zu bedecken. Durch ihre Verwirrung behindert, gelang es ihr nicht. Er war es, der ihr helfen mußte und den herabgeglittenen Träger, das abgerissene Bändchen fand. Sie errötete noch mehr.

»Regt Euch nicht auf. Diese Tiere haben Euch schrecklich zugerichtet«, sagte er. »Mit diesen Fetzen werden wir zu keinem befriedigenden Ergebnis kommen. Es wird das beste sein, dieses Mieder in die Brennesseln zu werfen . Aber jetzt müssen wir uns beeilen .«

Seine Stimme wurde förmlich, und Angélique, die der Richtung seines Blicks folgte, entdeckte den Soldaten Anselme, den Wächter vom Laternenturm, der sie von der Höhe des Walls aus beobachtete.

Während nicht endender Minuten dehnte sich die stumme Spannung an beiden Enden des Gäßchens. Dann schien sich der Soldat entschlossen zu haben. Er setzte sich in Bewegung und stieg mit schweren Schritten die steinernen Stufen hinunter.

Seinen Wildschweinskopf unter dem stählernen Helm wiegend, kam er auf sie zu. Das Hämmern seiner Stiefel und seiner Hellebarde auf den Pflastersteinen hallte laut durch die Gasse. Der Kaufmann betrachtete seine bloßen Hände, als frage er sich, ob sie noch Kraft genug hätten, diesen neuen, bewaffneten Feind niederzuzwingen.

»Gute Arbeit, Freund«, brummelte der Soldat mit seiner rauhen Stimme. »Ich hab’ von da oben aus das Ende mit angesehen. Ohne Euch zu schmeicheln, Maître Berne, Ihr habt tüchtige Fäuste ...«

Mit dem Ende seiner Pike berührte er eine der beiden Leichen.

»Die beiden da kenn’ ich ... Dreckskerle sind’s. Baumier bezahlt sie dafür, daß sie die Frauen und Töchter der Protestanten belästigen. Die Ehemänner oder Väter kommen dazwischen, es gibt Streit, und schon hat er die schönste Gelegenheit, ein paar Hugenotten mehr ins Gefängnis zu sperren ... Mir schmeckt das nicht.«

Auf seine Waffe gestützt, in der Haltung, in der er gewöhnlich seine Gespräche zu führen pflegte, fuhr er fort:

»Was soll man anderes tun als abschwören, wenn man wie ich den Wippgalgen und die Ruten hinter sich hat? Ich bin ein armer Soldat, und man muß leben. Aber das ist noch lange kein Grund, meine Brüder von früher zu verraten. Macht schnell, laßt das Aas da verschwinden . Ich habe nichts gesehen.«

Er wandte ihnen den Rücken und kehrte mit schwerfälligen Schritten zu seinem Posten auf dem Wall zurück.

»Schaut in den Hof«, befahl Maître Berne Angélique. »Ich möchte nicht, daß meine Gehilfen etwas davon erfahren. Wenn Ihr niemand seht, öffnet das Magazin zur Linken.«

Der Hof war glücklicherweise verlassen. Angélique riß die Tür des Schuppens auf, den er ihr angegeben hatte. Der scharfe Geruch der Salzlake benahm ihr den Atem.

Wieder bei Maître Berne angelangt, sah sie, daß er dem Erwürgten das Wams abgestreift und es dem anderen um den Kopf geschlungen hatte, um Blutspuren zu verhindern. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahme bemerkten sie beim Transport des Leichnams mit Schrecken, daß ihre bespritzten Schuhe rote Flecke auf dem Pflaster des Hofs hinterließen. Sie legten die Leiche in den Schuppen und hasteten zurück, um die andere zu holen.

»Wir werden sie im Salz vergraben«, murmelte der Kaufmann. »Es ist nicht das erstemal. Es ist ein gutes Versteck. Das Salz konserviert sie, und wir können in Ruhe auf die beste Gelegenheit warten, sie verschwinden zu lassen.«

Er zog seinen schwarzen Tuchrock aus, ergriff eine Schaufel und wandte sich dem hohen, schneeigen Gebirge zu, das im Halbdunkel leuchtete.

Angélique half ihm, mit ihren Händen grabend. Ihre Eile, die beiden verzerrten, in einem scheußlichen Ausdruck erstarrten Gesichter verschwinden zu sehen, war so groß, daß sie die Kratzer der Salzkristalle auf ihrer zerschundenen Haut nicht spürte.

Die beiden Leichen wurden in die ausgeworfene Höhlung geschoben, die sie sorgfältig wieder zuschütteten. Angélique und der Kaufmann arbeiteten schweigend. Während er sich daran machte, die letzten Spuren zu beseitigen, die auf etwas Ungewöhnliches hätten hindeuten können, nahm Angélique einen Eimer, mit dem sie sich zum Brunnen begab. Mit einer Bürste bewaffnet, unternahm sie es, das Pflaster zu reinigen. Zwei Gehilfen, die mit einer Ladung Fässer vom Hafen zurückkehrten, betraten den Hof durch die andere Pforte. Sie bemerkten sie aus der Ferne, ohne daß ihnen an der Tatsache, die Magd Maître Bernes den Hof aufwaschen zu sehen, irgend etwas auffiel. Sie erschien häufig in den Lagerhäusern, und obgleich sie sich im allgemeinen nur mit den Rechnungsbüchern beschäftigte, kam es doch vor, daß sie sich auch gröberen Arbeiten widmete. Zum Glück näherten sich die beiden Jungen nicht, da sie ihren Herrn in der Nähe wußten. Sie wären mit Recht erstaunt gewesen, sie gleichsam in Lumpen und mit aufgelöstem Haar vorzufinden.

Sie verschwanden in dem Schuppen, der dem Wein und Branntwein vorbehalten war.

Angélique kehrte noch einmal zur Gasse zurück. Fliegen begannen um die Blutlache zu summen. Der Rinnstein war bis zu dem zum Meer sich öffnenden Abflußkanal rot.

Glücklicherweise war noch niemand vorbeigekommen. Auf Knien, das Haar wirr in die Augen hängend, rieb sie immer von neuem die Steine ab und ruhte nicht eher, bis der letzte Schwung Wasser nur noch eine unbestimmte, rötliche Färbung aufwies, die keinen Verdacht erregen konnte.

Dann schloß sie aufatmend die Pforte, die Maître Gabriel eine Stunde zuvor fast aus den Angeln gerissen hatte, um ihr zu Hilfe zu eilen.

»Kommt in mein Büro«, sagte der Kaufmann. »Alles ist in Ordnung. Ihr müßt Euch stärken.«

Angélique taumelte. Er legte einen Arm um ihre Taille und stützte sie, während er sie zu dem dämmerigen Raum führte, in dem er außer seinen Rechnungsbüchern und Waagschalen jeder Art und Größe kostbare Pelze aus Kanada, Stahlwaren aus England und Proben von Branntweinen der Charentes verwahrte.

Zur Vorsicht verriegelte er die Tür.

Angélique hatte sich auf eine Bank vor dem Tisch gleiten und den Kopf auf ihre Arme sinken lassen.

Maître Gabriel schob ihr ein Glas mit Branntwein zu.

»Trinkt, Dame Angélique . Ihr habt es nötig.«

Und da sie sich nicht rührte, setzte er sich neben sie, zwang sie, den Kopf zu heben und näherte das Glas ihren Lippen. Sie trank widerwillig ein paar Schlucke, hustete. Die Farbe kehrte in ihre Wangen zurück.

»Warum mußte das alles geschehen?« fragte sie, mit verstörter Miene um sich blickend. »Ich ging nach Hause ... sie folgten mir, holten mich schließlich ein ... Ich hoffte, bis hierher zu kommen, um Euch um Hilfe bitten zu können ... Sie wurden immer unverschämter . und dann, plötzlich .«

»Laßt das«, sagte er. »Ihr habt nichts mehr zu fürchten. Sie sind tot.«

Ein heftiger Schauder überlief sie.

»Tot? Ist es nicht furchtbar? ... Überall Tote auf meinem Weg.«

»Es muß Tote geben«, sagte Berne, dessen Augen ihren seltsamen Glanz behielten, barsch. »Der Tod ruft den Tod, das Verbrechen ruft das Verbrechen. In der Bibel steht geschrieben: >Du wirst Leben für Leben geben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß .. .<«

Angélique schob sich aus der Bank. Sie erhob sich und wich vor ihm zurück, als habe sie einen Feind an Ihrer Seite entdeckt.

»Ich hasse die Männer«, sagte sie mit dumpfer Stimme, »ich hasse sie alle, und ich hasse mich selbst. Oh, ich möchte verschwinden. Ihr seht mich an, als ob ich närrisch sei. Ihr möchtet vielleicht, daß ich ruhig bin, aber ich habe genug davon, und ich werde nicht ruhig bleiben.«

»Wie jung und kindlich Ihr plötzlich ausseht! Ihr sprecht ganz und gar nicht mehr wie jene erfahrene Frau, die um mich zu sehen ich gewöhnt bin.«

»Ihr versteht mich nicht, Maître Berne ... Die Dämonen sind in mein Schloß eingedrungen, sie haben es in Brand gesteckt, haben meine Diener niedergemacht, meinen jüngsten Sohn ermordet, und mich, mich haben sie . dieser Nacht wegen ist Honorine geboren worden . versteht Ihr? . Das Kind des Verbrechens und der Notzüchtigung . Und Ihr wundert Euch, daß ich es nicht lieben kann!«