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»Ich erinnere mich.«

Die eintönige Stimme des jungen Mannes ließ von neuem ein vergessenes Dekor vor ihr erstehen: die Reinheit der Steinblöcke, die unter den mächtigen Sägen knirschten, die Wirrnis der um die beiden zur Erweiterung vorgesehenen Schloßflügel errichteten Gerüste, jenes summende Geräusch der Baustellen, das niemals aufhörte und bis zu den galanten Spaziergängern in den Tiefen des Parks drang - Schreie, Hammerschläge, das Kreischen der Karrenräder, das Schürfen der Spaten ... eine wimmelnde Armee von Arbeitern.

»Man hat zu viele von ihnen mit Gewalt rekrutiert, wie für die Armee. Sie wurden an Ort und Stelle zusammengepfercht. Ihre Familien durften sie nicht besuchen, aus Furcht, daß sie nicht wiederkämen, wenn man sie gehen ließe. Viele waren deshalb unzufrieden, und es wurde schlimmer, als der König während des Sommers in der Nähe des Waldes ein Wasserbecken ausgraben ließ, genau gegenüber der großen Treppe, die die Orangerie beherrscht. Die Hitze war schrecklich ... dazu die Stechmücken der Sümpfe, das Fieber. Die Leute krepierten wie die Fliegen. Wir mußten sie einscharren. Und eines Tages ...«

Denis beschrieb das jähe Aufbegehren, das die Sklaven gegen ihre Wächter getrieben hatte. Vorarbeiter waren von den Gerüsten geworfen worden. Horden in groben Leinwandkitteln, Meißel und Hämmer in den Fäusten, überschwemmten die Rasenflächen, Schweizer wurden brutal gemordet. Zum Glück exerzierte ein Regiment auf dem Paradeplatz. Man hatte die Soldaten sofort Schlachtordnung einnehmen und zum Schloß marschieren lassen. Die Unterdrückung des Aufruhrs hatte zwei Stunden gedauert. Zwei Stunden im Gedröhn der Musketen, in der Hitze, unter den Haß- und Todesschreien. Zurückgeworfen, hatten sich die Elenden von neuem in ihren Gerüsten verbarrikadiert, von denen sie Steinblöcke herunterschleuderten, und Soldaten starben, zerquetscht wie Wanzen. Doch die Musketiere zielten gut. Leichen bedeckten den weißen Sand.

Von den nach Süden blickenden Balkons hatten Madame de Montespan und ihre Damen dem Schauspiel beigewohnt .

Schließlich hatten sich die Arbeiter ergeben. Im Morgengrauen des folgenden Tages wurden die Rädelsführer zum Waldrand eskortiert, genau gegenüber dem Schloß nahe dem Wasserbecken, wo sie gehängt werden sollten. Und dort, im selben Augenblick, in dem man ihm die Schlinge um den Hals gelegt, hatte Denis einen von ihnen erkannt: Gontran! Gontran, ihren Bruder! Mit blutiger Stirn, wilden Augen, die armselige, mit Farbe beschmierte Kleidung zerfetzt, die schwieligen Hände von Säuren gebeizt - Gontran de Sancé de Monteloup, ihr Bruder, der Handwerker!

Der junge Offizier hatte aufgeschrien: »Nicht er!« Er hatte sich vor den Älteren geworfen und ihn mit seinem Körper gedeckt. Diese Ruchlosigkeit durfte man nicht begehen: einen Sancé de Monteloup hängen!

Die Soldaten hielten ihn für verrückt.

Um die Lippen Gontrans spielte ein seltsames, spöttisch-müdes Lächeln.

Man hatte den Oberst herbeigeholt. Atemlos und unter Schwierigkeiten hatte Denis ihm zu erklären versucht, daß dieser Rebell mit den auf dem Rücken gebundenen Händen seinen Namen trage, sein Bruder sei, Bruder auch der Marquise du Plessis-Bellière. Dem berühmten Namen, verbunden mit der unübersehbaren Ähnlichkeit der beiden Brüder, vielleicht auch der arroganten, hochmütigen Haltung des Verurteilten - der Haltung eines Noblen - war es gelungen, den Oberst zu überzeugen und einen Aufschub der Exekution zu bewirken. Allerdings konnte man nicht allzu lange den Befehlen zuwiderhandeln, die besagten, daß vor Sonnenuntergang alle Aufrührer ihre unsinnige Tat gebüßt haben müßten. Denis hatte bis zum Abend Zeit, die Gnade des Königs zu erlangen.

Wie sollte er, der unbekannte Offizier, bis zum König vordringen? Er kannte niemand.

»Wenn du nur dagewesen wärst, Angélique! Zwei Monate vorher warst du noch bei Hof, der König sah nur durch deine Augen, du hättest nur ein Wort zu sagen brauchen. Warum hattest du dich davongemacht, mitten in deinem Aufstieg, mitten aus deinem Ruhm? Ah, wenn du dagewesen wärst!«

Wieder hatte Denis an Albert gedacht, dessen Glück zur Stunde am gesichertsten schien. Den Jesuiten Raymond aufzusuchen, hätte zuviel Zeit gekostet, und außerdem liebten es die Jesuiten nicht, improvisiert zu handeln, wenn ihre Macht auch groß war. Der Oberst hatte jedoch gesagt: bis Sonnenuntergang. Also war Denis mit verhängten Zügeln nach Saint-Cloud galoppiert. Monsieur befand sich auf der Jagd, natürlich von seinem Favoriten begleitet ... Denis war der Jagdgesellschaft gefolgt. Als er Albert erreichte, war es Mittag. Zudem hatte er noch einige Zeit darauf verwenden müssen, Monsieur von der Notwendigkeit zu überzeugen, ein paar Stunden ohne seinen Begleiter auszukommen.

»Er hat es gern, wenn Albert lächelt und schäkert, schlimmer als eine Frau. Ich sah sie Blicke wechseln und mit ihren Spitzenmanschetten spielen, und ich dachte an Gontran unter seinem Baum. Albert widert mich an, aber man muß ihm zugestehen, daß er nicht feige gewesen ist. Alles, was man machen konnte, hat er getan. In Versailles, wo wir am späten Nachmittag ankamen, hat er an alle Türen geklopft. Alle Welt hat er mit unserer Sache behelligt. Es war ihm gleich, ob er ungelegen kam, ob er bitten und schmeicheln mußte oder barsch abgewiesen wurde. Aber wir mußten überall antichambrieren, warten und immer wieder warten. Ich sah vor den Fenstern die Sonne sinken ... Endlich empfing uns Monsieur de Brienne. Er entfernte sich für einen Moment, kehrte zurück und sagte uns, daß wir vielleicht die Möglichkeit hatten, den König beim Verlassen seines Kabinetts anzusprechen, wo er heute die Vorsteher der Schöffen von Paris empfange. Wir warteten mit den Hofschranzen im Salon des Krieges, ganz am Ende der großen Galerie ... du kennst ihn?«

»Ich kenne ihn.«

Der König war ernst und majestätisch erschienen, während bei seinem Anblick die Gespräche verstummten, die Köpfe sich neigten, die Damen seidenknisternd in tiefem Hofknicks versanken.

Albert hatte sich bleich und dramatisch vor ihm auf die Knie geworfen: »Erbarmen, Sire! Erbarmen für meinen Bruder Gontran de Sancé!« Der Blick des Königs ruhte schwer auf ihm. Er weiß schon, wer die beiden jungen Männer sind und warum sie als Bittsteller erscheinen. Dennoch fragt er:

»Was hat er getan?«

Sie senken die Köpfe.

»Sire, er befand sich unter den Männern, die gestern rebellierten und während einiger Stunden Euer Palais mit Unruhe erfüllten.«

Der König lächelt ironisch.

»Ein Sancé de Monteloup, ein Edelmann aus alter Familie unter Maurern? Was erzählt Ihr mir da?«

»Es ist wahr, Sire! Unser Bruder ist immer seltsamen Ideen nachgegangen. Um malen zu können, ist er trotz des Zorns unseres Vaters, der ihn enterbte, Handwerker geworden.«

»Eine seltsame Idee, in der Tat.«

»Wir hatten ihn aus den Augen verloren. Erst als man ihn hängen wollte, hat mein Bruder ihn wiedererkannt.«