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Anfangs schien er zu glauben, sie deliriere, doch jäh begriff er, daß sie auf vergangene Ereignisse anspielte.

»Laßt Eure Erinnerungen ruhen. Ihr habt sie vergessen.«

Auch er erhob sich nun, über die Bank hinwegsteigend. Angstvoll sah sie ihn sich nähern. Und zugleich wünschte sie, ihn bei sich zu haben, ganz dicht bei sich, um sich auf ihn stützen zu können und einmal mehr zu spüren, ob es wahr sei, daß das Wunder stattgefunden habe, ob es ihr von neuem gewährt sei, sich in den Armen eines Mannes glücklich zu fühlen.

»Eben hattet Ihr alles vergessen«, murmelte er sanft, »vor kurzem noch . als Ihr Euch an mich lehntet .«

Er berührte sie. Seine Hände legten sich um ihre Taille, und da sie ihn nicht abwehrte, zog er sie an sich.

Die Spannung, die sie in Bann hielt, ließ beide erzittern, und Angélique leistete keinen Widerstand.

Sie war kalt und gefühllos wie eine Jungfrau, der Gewalt angetan wird, aber die Neugier auf sich selbst blieb stärker. »Eben hatte ich keine Angst«, sagte sie bei sich. »Es ist wahr ... Doch was geschieht, wenn er mich jetzt küssen will?«

Das erregte Gesicht, das sich nun über sie beugte, stieß sie nicht ab. Es mißfiel ihr nicht, die Berührung dieses großen, kräftigen, von Verlangen besessenen Körpers zu spüren. Die Persönlichkeit dessen, der sie so an sich drückte, verschwamm. Sie vergaß seinen Namen und wer er war. Irgendein Mann hielt sie in seinen Armen, dessen ungestüme Forderung sie ohne Erschrecken erkannte.

Unaussprechliche Erleichterung überkam sie und ließ sie, an die breite Brust gepreßt, die Luft in langen, ruhigen Zügen einsaugen wie eine Ertrinkende, die wieder Atem schöpft. Also lebte sie noch!

Ihr Kopf sank weich zurück.

Durstige Lippen, die es noch nicht wagten, die ihren zu berühren, verloren sich in ihrem Haar. Sie begann die Zärtlichkeit der Hand zu spüren, die auf ihrer nackten Haut zitterte. Die Aufmerksamkeit, mit der sie sich von neuem entdeckte, absorbierte alle anderen Regungen.

Ein Wort genügte, dessen gefährliche Bedeutung nur sie verstehen konnten, um sie wieder zu sich kommen zu lassen.

»Salz ... Salz!« schrie draußen die Stimme eines Gehilfen, der an die verschlossene Tür trommelte.

Angélique erstarrte, jäh ihrer Versunkenheit entrissen.

»Hört«, flüsterte sie, »sie sprechen von Salz ... Sie haben irgend etwas entdeckt.«

Sie lauschten reglos in die Stille. »Sollen wir Salz aufladen, Patron?« fragte die Stimme des Gehilfen hinter der Tür.

»Welches Salz?« brüllte Maître Gabriel und ließ sie los.

Er faßte sich rasch, warf einen schnellen Blick auf seine Kleidung und seinen Kragen, um sich ihres korrekten Sitzes zu vergewissern.

Der Kommis erklärte:

»Es ist wegen der Steuer. Sie wollen Salz und Wein mitnehmen.«

»Ich wette, es handelt sich um einen Streich Bau-miers«, knurrte der Kaufmann.

Er öffnete die Tür. Ein von zwei Schreibern und vier bewaffneten Gendarmen begleiteter Beamter der Steuerbehörde hielt sich hinter dem bestürzten Kommis, Im Hintergrund waren zwei leere Karren zu sehen, die sie mitgebracht zu haben schienen, um die ausstehende Steuersumme in Naturalien aufzuladen.

»Ich habe meine Steuern schon bezahlt«, erklärte Maître Gabriel. »Ich kann Euch die Quittung zeigen.«

»Gehört Ihr zur reformierten Religion?«

»In der Tat.«

»Dann habt Ihr nach dem neuen Dekret noch einmal den Gesamtbetrag der bereits gezahlten Steuern zu erlegen. Hier steht es geschrieben, wenn Ihr Euch überzeugen wollt«, fügte er hinzu, ein Pergament vorweisend.

»Eine weitere Ungerechtigkeit, für die es nicht den geringsten Grund gibt.«

»Was wollt Ihr, Maître Berne! Eure bekehrten Glaubensgenossen sind für einJahr von der Kopfsteuer und für drei Jahre von der Gemeindesteuer befreit. Wir müssen den Verlust wohl oder übel woanders wieder ausgleichen. Den Halsstarrigen wie Euch kommt es zu, für die andern zu zahlen. Übrigens beläuft es sich für Euch nur auf zwölf Stückfässer Wein, hundertfünfzig Pfund gesalzenen Speck und zwölf Scheffel Salz. Für einen reichen Kaufmann wie Euch ist das nicht viel.«

Jedesmal, wenn sie das Wort »Salz« vernahm, wurde Angélique bleich.

Der königliche Beamte musterte sie frech.

»Eure Gattin?« erkundigte er sich bei Maître Gabriel.

Der Kaufmann, der dabei war, das Pergament zu studieren, erwiderte nichts.

»Kommt, Messieurs«, sagte er schließlich, indem er auf den Hof hinaustrat und die Richtung zu den Schuppen einschlug.

Angélique hörte, wie der Steuereinnehmer sich höhnisch lächelnd zu seinen Schreibern wandte: »Diese Hugenotten möchten uns Lehren in guten Sitten beibringen ... Das hindert sie nicht, es wie alle Welt mit Konkubinen zu treiben.«

Es folgten schreckliche Stunden, in deren Verlaufe Angélique jeden Augenblick die Katastrophe erwartete.

Sie lauschte angstvoll auf die Geräusche im Hof. Schreie drangen zu ihr herüber.

Dann sah sie Maître Gabriel von zwei Gendarmen flankiert vorbeigehen. Unvermittelt beschloß sie, sich so zerzaust, wie sie war, davonzumachen, Honorine zu holen und irgendwohin zu fliehen, weit fort, immer weiter, bis sie erschöpft zusammenbräche.

Der Abmarsch des Steuereinnehmers und seiner Begleiter bewahrte sie vor diesem unüberlegten Entschluß. Die mit dem fiskalischen Proviant beladenen Karren holperten schwerfällig über das Pflaster. Die Torflügel schlossen sich hinter ihnen.

Staub tanzte in der safranfarbenen Luft der Dämmerung. Maître Berne kam über den Hof auf Angélique zu. Der Ausdruck seines Gesichts verriet seine Sorgen, aber er schien ruhig. Er schenkte sich dennoch ein Glas Branntwein ein. Es war nicht einfach für ihn gewesen, das neugierige Herumschnüffeln der Schreiber zu überwachen, seine Gehilfen zu veranlassen, das geforderte Salz von einer Seite des Haufens zu nehmen und nicht von der anderen und sich zugleich der argwöhnischen Aufmerksamkeit des Steuerbeamten zu entziehen.

»Ich habe Euch nicht helfen können«, sagte Angé-lique. »Ich hätte mich verraten.«

Der Kaufmann machte eine müde Bewegung.

»Das geht auf das Konto Baumiers«, wiederholte er. »Ich bin jetzt sicher, daß er es war, der Euch die beiden Strolche auf die Spur setzte . Der Besuch des Steuerbeamten sollte der Konstatierung des Streits und des Widerstands gegen die königliche Gewalt unmittelbar folgen. In ein paar Stunden werden sie sich zu fragen beginnen, was wir mit diesen beiden Halunken angefangen haben. Deshalb habe ich meine Gehilfen und die Packer fortgeschickt und das Lager für heute geschlossen. Wir können nicht länger damit warten, uns der Leichname zu entledigen.«

Er warf einen Blick zu dem vom Abendlicht erfüllten Ausschnitt der Tür.

»Es wird bald Nacht werden. Dann können wir handeln.«

Sie warteten in der Dämmerung, schweigend und ohne den Versuch zu machen, sich einander zu nähern.

Die unmittelbar drohende Gefahr hielt sie in Spannung und beschäftigte ihre Gedanken. Sie verharrten reglos wie bedrohte Tiere, die mit klopfenden Herzen auf dem Grund ihres Baus, ihrer letzten Zuflucht lauern.

Das kleine Stück Himmel im Türausschnitt färbte sich in den irisierenden Tönungen der Muscheln, und vom Hafen her vernahmen sie fernes Geräusch, den rhythmischen Atem des Meers.

Die Nacht brach kühl, blau und sanft herein.

»Es ist soweit«, sagte der Kaufmann.

Sie betraten den Salzschuppen. Aus einem Nebengelaß zog Maître Berne einen hölzernen Schlitten.

Erneut gruben sie gemeinsam in dem bitteren Salzschnee, der ihre Hände aufriß. Die Leichen wurden herausgehoben, auf den Schlitten gelegt und mit Kornsäcken und Pelzballen bedeckt.

Der Kaufmann ergriff die Deichsel. Sobald sie den Schuppen auf der Rückseite verlassen hatten, drehte er mehrmals den Schlüssel im Schloß.