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»Mama«, fragte sie, als Angélique zurückkehrte, »wo ist der schöne Herr, der mir das goldene Spielzeug geschenkt hat?«

»Welcher schöne Herr?« forschte Maître Gabriel.

»Welches goldene Spielzeug?« erkundigte sich Tante Anna argwöhnisch.

Angélique hätte es lächerlich gefunden zu heucheln. »Monsieur de Bardgane war so liebenswürdig, dem Kind ein Geschenk zu machen.«

Inmitten eines eisigen Schweigens beschäftigte sich Honorine damit, in ihren Brei mit dem Löffel Gräben zu ziehen. Sie war in tiefgründige Überlegungen versunken.

»Ich möchte so gern einen Vater haben wie ihn«, sagte sie endlich mit enthusiastischem Lächeln.

Seit einiger Zeit suchte sie verzweifelt nach einem Vater für sich. Zuerst hatte sie ihr Auge auf den Pastor Beaucaire geworfen, aber dieser hatte sie schnöde enttäuscht. »Mein liebes Kind, ich liebe dich wie eine Tochter, aber ohne zu lügen könnte ich dir nicht sagen, daß ich dein Vater bin.«

Der Wasserträger, für den sie eine zarte Neigung empfand, lehnte eine solche Verantwortung gleichfalls rundweg ab.

Nun tastete sie offensichtlich die Möglichkeiten für Monsieur de Bardagne ab, aber der Augenblick schien schlecht gewählt.

Angélique zog es vor, sie in die Küchennische zu schaffen und zu Bett zu bringen.

Doch Honorine verfolgte ihren Gedankengang weiter:

»Ist er nicht mein Vater?«

»Nein, mein Liebstes.«

»Wo ist mein Vater dann?«

»Weit fort, sehr weit fort.«

»Auf dem Meer?«

»Ja, auf dem Meer.«

»Dann werde ich ein Schiff nehmen«, sagte Honorine.

Ihre Lider schlossen sich über der Vision einer wundersamen Reise, und sie schlief ein, von ihren Gefühlsaufwallungen erschöpft.

Angélique beschäftigte sich mit der Abendmahlzeit. Sie mußte dem Einerlei ihrer täglichen Pflichten nachgehen, um ihre Angst beherrschen zu können. Sie hatte Monsieur de Bardagne seit seinem Heiratsantrag nicht wiedergesehen und ihm nur einen Brief geschickt, der ihn zur Geduld mahnte.

Jedermann setzte sich zu Tisch und schickte sich an, die dampfende Miesmuschelsuppe zu löffeln, als die Glocke des Portals anschlug.

Sie sahen sich im Licht der Kerzen mit gespannten Gesichtern an. Die Glocke ertönte ungeduldig von neuem. Maître Gabriel erhob sich.

»Ich werde gehen«, sagte er. »Wenn wir nicht antworten, wird es verdächtig wirken.«

»Nein, ich gehe«, warf Angélique ein.

»Schicken wir Rebecca.«

Aber Rebecca fürchtete sich, ohne zu wissen, warum.

»Laßt mich gehen«, beharrte Angélique, indem sie ihre Hand auf den Arm des Kaufmanns legte. »Daß Eure Magd öffnet, ist durchaus üblich. Ich werde erst durch das Guckloch sehen und Euch dann benachrichtigen.«

Durch das Guckloch erkundigte sich eine Stimme:

»Seid Ihr es, Dame Angélique? Ich möchte Euch sprechen.«

»Wer seid Ihr?«

»Erkennt Ihr mich nicht? Ich bin Nicolas de Bardagne, der Statthalter des Königs.«

»Ihr?«

Angélique fühlte sich schwach werden.

»Wozu kommt Ihr? ... Um mich zu verhaften?«

»Euch verhaften?« wiederholte die Stimme erstickt. Der arme Mann brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu fassen.

»Glaubt Ihr etwa, daß ich nur zu so etwas tauge? Planlos irgendwelche Leute zu verhaften? ... Schönsten Dank für die Meinung, die Ihr von mir habt. Ich weiß, daß die Starrköpfe, mit denen Ihr umgeht, mich gern als eine Art Werwolf hinstellen, aber immerhin .«

»Ich habe Euch verletzt, Monsieur. Verzeiht mir. Seid Ihr allein?«

»Und ob ich allein bin! Gewiß, mein liebes Kind. Und maskiert noch dazu. Und in einen mauerfarbe-nen Mantel gehüllt. Ein Mann meines Ranges, der die Dummheit begeht, sich in galante Abenteuer einzulassen, zieht es vor, sich allein davonzuschleichen und möglichst wenig Aufsehen zu erregen. Wenn man mich entdeckt, habe ich mich für alle Zeiten der Lächerlichkeit preisgegeben. Aber ich muß Euch unbedingt sprechen. Es ist sehr ernst.«

»Was ist geschehen?«

»Wollt Ihr mich etwa reden lassen, ohne mir wenigstens den Schutz einer dunklen Hofecke anzubieten oder in dieses sehr wenig begangene und erfreulich finstere Gäßchen hinauszutreten? Fürwahr, Dame Angélique, Ihr seid aus hartem Holz gemacht! Der Statthalter des Königs, Gouverneur von La Rochelle, begibt sich insgeheim zu Euch, um Euch von Eurem Herd fortzulenken und seine Huldigungen zu Füßen zu legen, und Ihr empfangt ihn wie einen Bettler!«

»Ich bin untröstlich, aber ob Ihr nun Statthalter des Königs seid oder nicht, Euer heimlicher Besuch setzt mich der Gefahr aus, meinen Ruf zu verlieren.«

»Ihr werdet mich mit Eurer Unzugänglichkeit noch rasend machen. In Wirklichkeit legt Ihr nicht den leisesten Wert darauf, mich zu sehen.«

»Unter den gegenwärtigen Umständen fühle ich mich wirklich bedrückt. Ihr wißt doch, wie delikat meine Situation unter diesen Leuten ist, denen ich dienen muß. Wenn man Verdacht schöpfte .«

»Ich bin eben deshalb hierhergekommen, um Euch aus diesem Ketzernest herauszuholen, in dem Ihr ernsthaften Gefahren ausgesetzt seid.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Öffnet diese Tür, und Ihr werdet es erfahren.«

Angélique zögerte.

»Laßt mich zuerst Maître Berne benachrichtigen.«

»Das fehlte mir noch.«

»Ich werde Euch nicht nennen, aber ich muß eine Erklärung finden, um meine Abwesenheit, so kurz sie auch sein mag, zu rechtfertigen.«

»Gut. Aber beeilt Euch. Den Ton Eurer Stimme zu hören und den Duft Eures Atems zu verspüren, genügt schon, um mich vor Entzücken außer mich zu bringen.«

Angélique kehrte im gleichen Augenblick zum Haus zurück, in dem der unruhig gewordene Maître Berne die Stufen herabschritt.

»Wer hat geläutet?«

Sie erklärte ihn rasch über die Anwesenheit und das Anliegen des Statthalters auf. Die Augen des Kaufmanns bekamen den gleichen gefährlichen Ausdruck wie in der Sekunde, in der er sich entschlossen hatte, Baumiers Halunken zu erwürgen.

»Dieser Lump von einem Papisten! Ich werde ein deutliches Wörtchen mit ihm reden. Ich werde ihm beibringen, meine Mägde unter meinem eigenen Dach zu verführen.«

»Nein, mischt Euch nicht ein. Es scheint, daß er mir ernste Neuigkeiten mitteilen will.«

»Und welcher Art, glaubt Ihr, werden diese Neuigkeiten sein? Die Worte Eurer unschuldigen Tochter verraten mehr als genug. Jeder weiß, daß er ein Auge auf Euch geworfen hat und Euch in der Stadt als seine Mätresse installieren möchte. Man erzählt es sich in ganz La Rochelle.«

Mit all ihrer Kraft hielt Angélique Maître Gabriel zurück, der sie wie einen Strohhalm hätte beiseite wischen können.

»Haltet Euch dennoch ruhig«, beschwor sie ihn. »Monsieur de Bardagne hat nun einmal die Macht auf seiner Seite. Wir können es uns nicht erlauben, seine Unterstützung in einem Augenblick zu verschmähen, in dem unsere ohnehin prekäre Situation noch schwieriger geworden ist und ihr den Strang riskiert.«

Mehr als ihre Worte zähmte ihre schmale Hand, die sein Handgelenk umklammerte, Gabriel Bernes Zorn.

»Wer weiß, was Ihr ihm schon zugestanden habt«, grollte er trotzdem. »Bis jetzt habe ich Vertrauen zu Euch gehabt .«

Er unterbrach sich, weil er noch einmal den Augenblick durchlebte, in dem dieses Vertrauen erschüttert worden war. Verwirrt hatte er an die Monate häuslichen Friedens unter der Führung einer fleißigen, geschickten Dienstmagd gedacht, deren Gesten und Worte niemals den Verdacht der Koketterie in ihm hatten aufkommen lassen. Gott allein wußte, daß er sie streng auf ihre Pflichten verwiesen hätte. Aber sein anfangs höchst waches Mißtrauen war schließlich geschwunden.

Und dann war da jene getroffene Eva gewesen, die sich weinend in seine Arme geworfen hatte, jene leblose, in ihren Schmerz gebannte Frau, die er langsam an sich gezogen hatte. Wenn sie ihn damals zurückgestoßen hätte, wäre es ihm gelungen, sich rechtzeitig wieder in die Hand zu bekommen. Er war sich dessen sicher. Aber Angéliques Schwäche hatte in ihm den Dämon des Fleisches entfesselt, den er nicht ohne Mühe seit den qualvollen Tagen seiner Jugend in Schach hielt. Er hatte den Kopf verloren. Er hatte sein Gesicht in eine Flut seidigen Haars getaucht und seine Hand auf eine halbnackte Brust gelegt, deren wollüstige Wärme er noch jetzt auf der Haut zu spüren meinte.