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Dank ihm und seinem beherrschten Gesicht war wieder so etwas wie Friede ins Haus gekommen. Angéliques Nerven beruhigten sich. Die moralische Kraft des Kaufmanns strahlte auf sie über und ließ sie ihre Angst ertragen. Doch zuweilen breitete sich auch zwischen ihnen lastendes Schweigen.

»Wie werden wir fortgehen?« fragte sie.

Die Züge des Kaufmanns hellten sich auf.

»Stellt Euch vor, es grenzt an ein Wunder, wie ihr Papisten sagt. Der Reeder Jean Manigault, bisher ein Feind aller Pläne, La Rochelle zu verlassen, hat sich plötzlich dazu entschlossen, zu uns zu stoßen. Ein kürzliches Mißgeschick hat ihn seine Meinung an-dern lassen: sein Sohn Jérémie wurde ihm entführt, als er die Unvorsichtigkeit beging, einer vorbeiziehenden Prozession zuzusehen. >Man< hat darin den Wunsch nach Bekehrung gesehen, und da der Kleine das siebente Jahr schon überschritten hat, brachte man ihn ins Haus der Pauliner. Es hat Manigault ein Vermögen gekostet, ihn dort wieder herauszuholen. Doch diese Befreiung ist nur vorübergehend. So reich er ist, zittert Manigault dennoch um sein Kind. Also will er fort. Sein Entschluß wird unser Unternehmen erleichtern. In Santo Domingo besitzt er schon zahlreiche Faktoreien, und wir werden deshalb mit einem seiner eigenen Schiffe reisen können. Sein Plan, der mir gut scheint, läuft darauf hinaus, eins seiner Handelsschiffe abzuwarten, das bald aus Afrika eintreffen wird. Vor Antritt ihrer neuen Fahrt zu den Inseln werden die Sklaven, die es mit sich führt, vorübergehend in den Lagerhäusern am Kai untergebracht. Manigault wird sie auf der für die Behörden bestimmten Passagierliste eintragen lassen. Aber im letzten Moment werden wir den Platz der Sklaven einnehmen. Wenn zwischen dem Augenblick, in dem wir vom Kai ablegen, und der Überquerung der äußeren Hafenlinie kein weiterer Besuch an Bord kommt, werden wir uns als gerettet betrachten können.«

»Aber die Sklaven!«

»Sie werden in den verschlossenen Lagerhäusern zurückbleiben, und man wird dafür Sorge tragen, sie mit Medikamenten zu betäuben, um zu verhüten, daß ihre Anwesenheit allzu früh ruchbar wird.«

»Der große Mut Monsieur Manigaults besteht also darin, auf den Gewinn einer kostbaren Ladung zu verzichten«, meinte Angélique, die zu praktischen Gedankengängen zurückfand.

»Wir werden noch auf allerlei andere Dinge verzichten müssen«, antwortete Berne nachdenklich. »Aber Manigault ist durchaus nicht derjenige, der am meisten zu bemitleiden wäre. Er rechnet, seine Geschäfte durch seinen Nachfolger hier fortführen zu können. Er wird eben nur in Santo Domingo und nicht mehr in La Rochelle sein. Das Geschäft bleibt dasselbe. Er hat sich schon seiner Rückendeckung versichert. Ich selbst habe ein wenig Geld in Holland und England plaziert. Darüber hinaus werden wir die Tage, die uns bleiben, dazu nützen, den größten Teil unserer Güter in Talersäcke zu verwandeln. Sie brauchen wenig Platz auf einem Schiff.«

»Werden diese Geschäfte nicht Verdacht erregen?«

»Wir werden vorsichtig vorgehen. Die Katholiken, mit denen wir es zu tun haben, wissen, daß die Protestanten zum Verkauf ihrer Güter gezwungen sind, um der doppelten Besteuerung nachkommen zu können.«

Angélique stellte die Frage, die ihr auf den Lippen brannte.

»Wann werden wir uns einschiffen?«

»In zwei oder drei Wochen.«

»Drei Wochen!« rief sie aus. »O Gott, wie lange das noch ist!«

Der Kaufmann erbebte und schien von einem jähen Groll gegen sie erfaßt.

»Es scheint mir sehr kurz, wenn es sich darum handelt, die eigenen Wurzeln aus dem Land seiner Väter zu reißen«, sagte er dumpf.

Er schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Verflucht seien die, die uns dazu zwingen!«

Sie hätte ihn gern um Verzeihung gebeten, aber aus Furcht, ihn noch mehr zu reizen, sagte sie nichts.

Sie selbst, die schon alles verloren hatte, begriff nur schwer, was die Protestanten an ihr klägliches, durch Verbote und Ungerechtigkeiten ersticktes Leben hier fesselte.

Aber wie der Bauer selbst dem undankbaren Boden verbunden ist, um dessen Früchte er ringt, und ohne Neid das ihm fremde fruchtbare Tal betrachtet, klammerten sich die Protestanten noch immer an ihr gefährdetes Geschick. Der bloße Gedanke an jene amerikanischen Inseln, jene Sonne, jene Freiheit, die man ihnen versprach, machte sie traurig.

Die Gewohnheit, sich inmitten eines aufgewühlten Meers zu behaupten, ein Hindernis nach dem andern zu bezwingen, sich abzuschirmen, hatte aus ihnen eine allen Stürmen widerstehende, hartnäckig an ihren Besitz sich klammernde Rasse gemacht. Seit zwei Jahrhunderten schon war die Verfolgung ihre Lebenssphäre. Ihre Stadt und deren Umgebung zu verlassen, schien ihnen nun viel unerträglicher als der geheime, unerbittliche Kampf, an den sie gewöhnt waren.

Nicht mehr unter dem immergrünen Himmel La Rochelles zu leben!

Zu denken, daß ihre Kinder die vertraute, von den Gerüchen des Meers erfüllte Luft nicht mehr atmen, ihre Füße nicht mehr in die Spuren ihrer Väter setzen würden!

Generationen kleiner Rochelleser waren barfüßig über den Sand des Strandes gelaufen, hatten Muscheln mit ihren Taschenmessern aufspringen lassen, hatten Austern geöffnet und im Schatten des Laternenturms deren frisches, bitteres Wasser getrunken, während die Flut in den Hafen zurückströmte und hier und da die hohen weißen Segel der großen Kauffahrteischiffe tanzen ließ.

All das zu verlassen .

»Drei Wochen sind kurz«, seufzte der Kaufmann, »und dennoch weiß auch ich, daß die Gefahr drängt. Aber wir müssen versuchen, alle Chancen auf unsere Seite zu bringen, und deshalb sind diese drei Wochen des Wartens durchaus das Risiko, das wir eingehen, wert. Denn in längsten drei Wochen wird die holländische Handelsflotte La Rochelle anlaufen. Ihr wißt wie ich, daß diese Leute nicht gern einzeln segeln, wie die Franzosen es tun. Sie schließen sich zusammen, und zweimal jährlich verlassen unter dem Schutz von Kriegsgaleeren wahre Flotten von Handelsschiffen Amsterdam oder Antwerpen. Nun ist Manigault in Holland versichert, was ihm gewisse Vorteile verschafft, unter anderem den, sich diesen Konvois anschließen und von ihrem Schutz profitieren zu können. Wir müssen also die Ankunft der Flotte abwarten, zumal sie im Hafen Unruhe und Unordnung schaffen wird, die unser Vorhaben begünstigen. Wenn wir inmitten dieser Herde die Segel hissen, werden wir ganz zwangsläufig der Kontrolle der königlichen Marine entgehen, die wahrhaftig viel zu tun hätte, wenn sie alle Welt ausfragen wollte. Auf diese Weise werden wir um die Prüfungen des letzten Augenblicks herumkommen. Sobald wir einmal den Hafen hinter uns haben - und ich wette, daß sich die Zivildeligierten der Admiralität an diesem Tage nicht kleinlich zeigen werden -, sind wir vor ihren Nachstellungen sicher.«

Angélique nickte zustimmend. Der Plan schien ihr vernünftig und geschickt. Dennoch ließ sie die Furcht nicht los. Die Wochen des Aufschubs schienen sich ihr endlos hinzuziehen. Was mochte inzwischen der Sire Baumier im Schatten anzetteln? Er war nicht der Mann, der seine Beute fahren ließ. Würde er nicht von der Abwesenheit Nicolas de Bardagnes profitieren, um Entscheidungen zu treffen, von denen er wußte, daß sie sein Vorgesetzter nicht guthieß? ...

Ein Schraubstock umklammerte Angéliques Herz, doch sie hob mutig den Kopf.

»Möge Gott Euch hören, Maître Gabriel.«

Der Küstenweg schlängelte sich durch trockenes, salzverkrustetes Gras. Er folgte der vielfach gekrümmten Uferlinie und führte von La Rochelle an steilen Einschnitten, Buchten und zackigen Felsvorsprüngen vorbei zu dem kleinen Weiler La Palice unmittelbar gegenüber der Ile de Ré. Grauer Sand machte das Vorankommen schwierig. Angélique kam nur langsam vorwärts.