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War es denn überhaupt ein Handelsschiff? Angéliques Augen hatten sich im Mittelmeer darin geübt, gewisse Maskierungen zu erkennen. Sie war sich jetzt sicher, daß das Schiff ein untergezogenes doppeltes Deck mit einer Batterie Kanonen besaß und daß die verkleideten, selbst auf nahe Entfernung fast unsichtbaren Stückpforten, wenn es nötig war, beim Öffnen die schwarzen Mündungen eines guten Dutzends Geschütze enthüllen würden.

Die scheinbar harmlosen Säcke, die an Deck dicht an der besonders breiten und hohen Bordwand aufgetürmt waren, schienen Feldschlangen zu verbergen. Die Anwesenheit eines Wachtpostens in ihrer Nähe war verräterisch genug.

Andere mit Planen bedeckte Haufen bestanden offensichtlich aus jenen langen Holzstangen, jenen Bootshaken und Strickleitern, deren man sich auf See bedient, um den Angriff eines andern Schiffes abzuwehren - oder selbst einen Angriff zu führen.

Eine Barke löste sich vom Schiff und steuerte dem Ufer zu. Angélique verlor sie aus dem Blick, als sie anlegte.

Vorsichtig schob sie sich weiter vor und hob vorsichtig den Kopf.

Die Stimmen klangen jetzt lauter zu ihr herauf; trotzdem vermochte sie nicht zu unterscheiden, in welcher Sprache sie sich unterhielten. Unter sich bemerkte sie über einem im Geröll brennenden Feuer einen großen Kessel, in dem schwedisches Pech, auch Teer genannt, das zum Ausbessern der Schiffe diente, leise vor sich hin brodelte. Kleine Tonnen waren dicht daneben aufgereiht. Matrosen, von denen sie nur die Schultern und die struppigen oder mit leinenen Mützen bedeckten Kopfe sah, tauchten Wergsträhnen in den Teer und legten sie nebeneinander in Körbe, die offenbar darauf warteten, in die Barke verladen zu werden.

Deren Besatzung war zumindest seltsam. Jeder der vier Männer, die sie bildeten, entstammte einer anderen Rasse, und sie schienen sich zusammengetan zu haben, um im Verlaufe eines nautischen Festes ein Ballett der vier Weltteile aufzuführen. Einer von ihnen, mager und flink, hatte den gebräunten Teint und die großen Augen der mittelmeerischen Rassen: ein Sizilianer oder Grieche, vielleicht auch Malteser. Ein anderer, stämmig wie ein Bär unter seiner Pelzmütze, schien sich in seinem steifen Kasack und seinen Stiefeln aus Seehundsfell nicht rühren zu können. Der dritte war braun wie ein Pfefferkuchen und hatte leicht schräge Augen. Die Muskeln seiner mächtigen, nackten Arme traten hervor, während er ohne sichtbare Anstrengung eine Tonne von respektabler Größe, die Teerstücke enthielt, auf seinen Kopf hob

- zweifellos ein Türke. Der letzte, ein hochmütiger, gigantischer Maure, dachte nicht daran, an den groben Verrichtungen der anderen teilzunehmen, und begnügte sich damit, mit der Muskete im Arm die Umgebung zu überwachen.

»DiePiraten! ...«

Der Vorwand, den der Polizeipräfekt zum Anlaß genommen hatte, die Stadttore zu schließen, traf also zu. Die angeblich beobachteten Piraten existierten also wirklich. Ihre Kühnheit übertraf alle Vorstellungen: nur ein paar Kabellängen trennten sie vom Fort Saint-Louis in La Rochelle, und nicht viel weiter war es nach Saint-Martin de Ré, dem Liegeplatz des königlichen Geschwaders.

Die Segel waren so gegeit, daß sie sehr schnell gesetzt werden konnten: ein Zeichen dafür, daß es sich um ein auf der Lauer liegendes, beim geringsten Alarm segelfertiges Schiff handelte. Es mutete merkwürdig an, daß es sich unter solchen Bedingungen zum Kalfatern anschickte. Zweifellos sollte es oberflächliche Beobachter irreführen, die von der Küste oder von Bord eines kreuzenden Schiffes aus das Treiben des Dreimasters verfolgen mochten.

Das aus geringer Entfernung kommende Geräusch die Klippe hinabpolternden Gerölls ließ sie sich dichter an den Boden schmiegen. Einigermaßen überraschendes und unerwartetes Grunzen wurde hörbar, gefolgt von durchdringenden, schrillen Schreien, die unheilvoll hätten anmuten können, wenn sie nicht von zwei stämmigen Schweinen ausgestoßen worden wären, die von ihren Besitzern, Bauern aus dem Weiler Saint-Maurice, mit einiger Mühe zum Strand hinunter getrieben wurden. Der Matrose mit der Pelzmütze ging ihnen entgegen und begann die Preise auszuhandeln. Offenbar vertrugen sich die Bauern mit dem in ihrer Nachbarschaft ankernden Piratenschiff recht gut. Nichtsdestoweniger handelte es sich um eine Schiffsladung zu allem bereiter Abenteurer. Diese Piraten waren durchaus wirklich. Sie sah sie, hörte sie, berührte sie fast. Nur der Mann im schwarzen Mantel schien nicht wirklich, konnte es einfach nicht sein. Es war unmöglich, daß er leibhaftig gekommen sein sollte, um vor La Rochelle Anker zu werfen. Gerade er! ... Warum er? ... Sie hatte geträumt. Übrigens war er nicht mehr zu sehen. Abgesehen von dem reglos stehenden Wachtposten schien das Schiff verlassen. Sanft wiegte es die Dünung, und das Licht glänzte auf dem vergoldeten Schnitzwerk des Heckaufbaus, der durch seine Ansehnlichkeit und seinen Prunk frappierte. Seine Verzierungen wären auch durch eine königliche Galeere nicht in den Schatten gestellt worden, und Angélique glückte es, zwischen ihnen einen in goldenen Lettern geschriebenen seltsamen Namen zu entziffern: Gouldsboro.

Der leichte Druck einer kleinen Hand auf ihrem Arm brachte sie zu sich.

Honorine, der die Zeit offenbar lang geworden war, hatte sich mit der Vorsicht eines Kätzchens zu ihr geschlichen.

Ihr Anblick machte Angélique begreiflich, daß sie nicht hierbleiben konnten.

Was würde mit ihnen geschehen, wenn die Piraten sie überraschten? Die Freibeuter der Meere standen nicht gerade in dem Ruf, zarte Seelen zu sein. Der Gefahr, in der sie schwebten, entsprechend, würden sie sich unerbittlich zeigen. Und wenn ihr Anführer wirklich jener Rescator war, den sie vorhin erkannt zu haben glaubte, hatte sie durch ihre Gefangennahme schon gar nichts zu gewinnen ...

Sich unter unendlichen Vorsichtsmaßnahmen von Düne zu Düne schleichend, gelang es ihnen, sich von der Küste zu entfernen. Als sie endlich den Karrenweg erreichte, nahm sie Honorine wieder auf den Rücken und hastete La Palice zu. Atemlos betrat sie das Gasthaus, in dem die Fischer ihr Glas Wein zu trinken pflegten, nachdem sie ihre Netze zum Trocknen ausgespannt hatten.

»Man möchte meinen, Ihr hättet den Teufel gesehen«, sagte die Wirtin, indem sie einen Krug Wein von der Ile de Ré vor sie hinstellte.

»Ja doch, wir haben ihn gesehen!« stimmte Honorine eifrig zu.

»Munter, die Kleine«, meinte die Frau lachend.

Angélique bat um Milch und eine Schnitte für ihre Tochter und um eine warme Brühe für sich. Den Wein lehnte sie trotz des Drängens ihrer freundlichen Gastgeberin ab, da er sie allzu müde gemacht hätte. Sie durfte nicht vergessen, daß sie hierhergekommen war, um Martial und Séverine abzuholen.

Zwei Stunden später betrat sie den Boden der kleinen Inselstadt Saint-Martin, in der es von den goldverbrämten blauen und roten Uniformröcken der königlichen Offiziere nur so wimmelte.

Sie fragte nach dem Weg und fand schließlich ohne Schwierigkeiten das Haus Madame Demuris’, der Schwester Maître Bernes. Noch bleich und ein wenig abwesend, war Angélique für die ihr zugefallene Rolle gut gerüstet. Maître Gabriel Berne sei plötzlich schwer erkrankt, fühle sein Ende nahe und wolle seine Kinder vorher noch einmal sehen.

Seine Schwester hatte nicht das Herz, sie zurückzuhalten. Übrigens zeigte sie sich durch die Nachricht tief erschüttert. Sie war keine böse Frau. Sie hatte sich bekehren lassen, weil sie Ehrgeiz und genug Intelligenz besaß, um zu begreifen, daß sie als Angehörige der reformierten Religion in diesen Zeiten nur Schimpf und Verdruß erfahren würde. Jünger als Maître Gabriel, hatte sie unter dem Bruch mit dem von ihr bewunderten Bruder sehr gelitten. In Gedanken ausschließlich mit seinem bevorstehenden Ton beschäftigt, schluchzte sie und ließ die beiden Ältesten, mit deren Erziehung sie durch den Statthalter des Königs beauftragt worden war, gehen, völlig vergessend, daß sie ohne besondere Erlaubnis ihre Behausung nicht verlassen durften.