»So dumm bin ich auch nicht. Theoretisch aber ...«
McLane schnitt ihr das Wort ab.
»Was Hasso eben durchgesagt hat, klang nicht im entferntesten theoretisch!« Er rief: »ORION VII ruft Sigbjörnson auf MZ 4! Hasso - wo seid ihr? Könnt ihr starten?«
Die Stimme des Ingenieurs kam sofort über die Bordlautsprecher zurück.
»Hier Hasso. Wir sind auf dem Weg zum Landeschacht.«
»Gut. Haltet ihr noch einen Kontakt mit den Fremden?«
»Nein. Sie lassen uns in Ruhe. Ich weiß nicht, aus welchem Grund. Wir rennen weiter auf den Landeschacht zu.«
»Wenn die Fremden ohne jeden ersichtlichen Grund Clarence und seine Mannschaft umgebracht haben, warum greifen sie dann Hasso und Atan nicht an?« fragte Tamara. Sie spielte in höchster Nervosität mit ihrer schmalen Identifikationsplakette.
Hintereinander fuhr McLane sämtliche Maschinen der ORION hoch.
»Ich kann keine Gedanken lesen, Gnädigste«, sagte er sarkastisch. »Die von Nonhumanoiden auf gar keinen Fall!«
Ein Schrei zerfetzte die angespannte Atmosphäre der Kommandokanzel. Er kam vom Funktisch.
»Cliff! Unbekannte Objekte!«
McLane wirbelte mit dem Sessel zum Schirm herum.
»Was? Wo?«
Helga Legrelle legte die Impulse, die ihre Geräte empfingen, auf den Schirm des Commanders um.
»Radar zeichnet, Cliff. Wir haben Kontakt mit vier
- fünf, mit sieben fremden Schiffen.«
Die klirrenden Geräusche des Astrosonar zirpten aus den Lautsprechern. Auf McLanes Schirm wurden Punkte sichtbar. Sie vergrößerten sich schnell, mußten also in einer unfaßbaren Geschwindigkeit näher kommen. McLane konzentrierte seinen Blick auf das erste der sieben Objekte: Es war eine Kugel mit zwei schlanken, flügelartigen Ausläufern.
»Entfernung?«
Es war nahezu unmöglich, ohne technische Hilfsmittel die Entfernung eines Objekts im Raum abzuschätzen, wenn man nicht genau wußte, wie groß es war. Der Raum verzerrte zudem die Schätzungen durch das Fehlen von Merkmalen, die man zu Vergleichszwecken heranziehen konnte.
»Vierzig Lichtsekunden, neununddreißig - siebenunddreißig ... Cliff! Sie haben eine irrsinnige Geschwindigkeit!«
Die Gefahr war jetzt wesentlich. Sie ging von den sieben Schiffen aus, die sich rasend schnell dem Asteroiden näherten, auf dem noch zwei Besatzungsmitglieder waren.
»Wir müssen hier sofort weg«, sagte McLane laut. »Wir schweben unbeweglich wie eine Zielscheibe. Wir müssen augenblicklich Geschwindigkeit gewinnen, um manövrierfähig zu werden. Fertig zum Alarmstart!«
»Und Hasso und Atan?« schrie de Monti.
Cliff riß das Mikrophon der Funkanlage zu sich heran.
»Wo bleibt ihr denn? Hasso! Atan! Was ist los? Seid ihr im Startschacht? Warum startet ihr nicht?«
Hasso bemühte sich, seine Panik zu unterdrücken.
»Wir sind in der LANCET, Cliff. Wir kommen nicht weg. Sie haben unsere Elektronik zerstört!«
McLane überlegte nicht länger als eine Sekunde. Dann sagte er drängend: »Wir werden vermutlich angegriffen, Hasso. Sieben fremde Schiffe nähern sich uns. Ich kann keine Sekunde länger auf euch warten.«
»Bringst du ohne mich einen Schnellstart fertig, Cliff?« fragte Hasso, immer noch ruhig. »Ich muß es versuchen. Ich werde starten und abwarten, was die Fremden tun. Greifen sie an, schlagen wir zurück. Versteckt euch im Asteroiden, so gut es geht - wir holen euch nachher ab. Ende.«
McLane legte sämtliche Leitungen aus dem Schaltpult Hassos auf seinen Tisch um und drehte den Hebel der Startschaltung bis an den Anschlag durch. Das Schiff löste die Verankerung aus der Masse des Asteroiden und raste hinaus in die Schwärze des Alls.
Die Formation der fremden Flugkörper war die eines stumpfwinkligen Dreiecks. Jetzt zog sie sich auseinander. Die seitlich fliegenden Schiffe holten auf.
»Zwölf Lichtsekunden!« meldete Helga.
Neben McLane saß Tamara am Commanderpult. Die Insassen hörten die hämmernden Arbeitsgeräusche des Digitalrechners. Aus dem Ausgabeschlitz schob sich langsam ein breiter Lochstreifen. Helga drehte ihren Sessel herum, stand auf und blieb neben dem Streifen stehen. Sie las halblaut mit.
»Kurs ist programmiert. Die Korrektur wird an die Maschinen durchgegeben.«
McLane nickte. Er blickte zuerst auf den Sichtschirm, dann auf den Monitor über seinem Kopf. Mario de Montis Gesicht blickte auf McLane herunter.
»Wir müssen in wenigen Sekunden auf Fluchtdistanz sein, Mario!« Mario nickte. »Und für Sie habe ich auch eine Arbeit, Leutnant!« sagte McLane. »Gehen Sie hinüber zu Helga und setzen Sie einen Lichtspruch ab, der über den nächstgelegenen Verstärker geht und dort in einen Hyperimpuls verwandelt wird. Helga kennt die Schaltzeichen. Text: An Oberste Raumbehörde und an die Raumaufklärungsverbände. Extraterrestrier auf MZ 4 im Kubus Zehn/Nord 219. Die Besatzung wurde getötet. Sieben fremde Schiffe im Anflug. Kampfhandlungen stehen bevor.«
Tamara stand auf und fragte erstaunt: »Aber ...«
McLane brüllte sie an: »Worauf warten Sie noch, Leutnant?«
»Ich denke, der gesamte Funkverkehr in diesem Kubus ist gestört?«
»Wie kommen Sie auf diese Idee?« fragte McLane aufgebracht.
»Dieser Funksatellit!«
»Es gibt noch mehr Relaisstationen, junge Frau«, sagte McLane. »Tun Sie bitte, was ich Ihnen sage. Für Erklärungen haben wir später Zeit, falls wir überleben!«
Tamara zuckte die Schultern und setzte sich neben Helga, die eine Leitung frei machte und das Mikrophon einschaltete.
Mario de Monti saß angeschnallt vor dem Zielgerät im Kampfstand. Er konzentrierte sich auf die Zieleinrichtung.
Die drei fluoreszierenden Kreise näherten sich einander.
Ein zweiter Schirm hatte die fremden Schiffe in einer einzigen Linie. Die Ortung lief bereits. Mario sagte ruhig: »Die Ortung läuft. Die Objekte zeichnen klar. Abstand: Fünfzehn Lichtsekunden.«
»Wir haben Geschwindigkeit aufgenommen und einen Abstand herbeigeführt, der uns einige Handlungsfreiheit läßt. Würdest du treffen können?«
Mario blickte in die Linse des Videophons und sagte: »Das ist sinnlos, Cliff. Sie sind noch zu weit entfernt!«
Ein schrilles Heulen überlagerte sämtliche andere Laute.
Die Lichtzeilen, die den Arbeitsgang des Digitalrechners kennzeichneten, erloschen hintereinander, von oben nach unten. Das Rattern des Schreibgeräts, angeschlossen an den Computer, wurde langsamer. Durch den Lärm hörte Mario den grellen Schrei Helga Legrelles.
»McLane - der Computer fällt aus!«
Helga wollte aufspringen, aber eine ungeheure Kraft drückte sie vornüber auf das Schaltbrett. Die ORION wurde von einem Strahl gepackt und beschleunigt. Die Werte mußten derart ungeheuerlich sein, daß die Retarder nicht mehr ausreichten: Ein Schwerefeld baute sich in der Schiffshülle auf. McLane brach über dem großen Schirm zusammen.
Es gelang ihm, bevor er mit Kinn und Brust aufprallte, die Arme auszubreiten und den Andruck abzufangen - teilweise. Krampfhaft versuchte der Commander, sich hochzustemmen. Es gelang nicht. McLane drehte langsam, wie in Zeitlupe, den Kopf herum und sah mit tränenden Augen, daß auch Tamara in ihrem Sitz zusammengepreßt wurde.
»Was - ist - mit - der ORION - los, Major?« stammelte sie mühsam.
»Wir werden entweder beschleunigt«, keuchte McLane, »oder die fremden Schiffe bauen ein Feld erhöhter Massenanziehung auf. Ich weiß es nicht.«
Helgas Augen waren dicht vor einigen Instrumenten. Sie sah undeutlich, daß sich Zeiger bewegten.
»Cliff!« ächzte sie. »Die Fremden haben unsere Stromkreise kurzgeschlossen. Sämtliche Geräte sind ausgefallen!«
McLane bemühte sich erneut hochzukommen. Die Kraft preßte ihn zurück auf die Sichtscheibe. Er hoffte, daß das mißhandelte Material sein Gewicht aushielt, auch wenn die Beschleunigung es heraufsetzen würde.