4.
»Was ... « schrie Tamara.
Legrelle winkte uninteressiert ab.
»Nichts«, sagte sie und lächelte kurz. »Es kracht nur.«
»Wenn die Strahlungsstärke das Vielfache beträgt«, fragte Tamara unschlüssig, »warum benötigt die ORION nicht auch das Vielfache an Abschirmung?«
Helga Legrelle deutete auf die Außenwand.
»Der Schutzschirm, dann die Wandung, schließlich die Dämpfungsschicht. Dann kommen die Zellen für Sauerstoff, Wasser, Ladung, der Werferstand, schließlich noch eine Isolierung, dann die Wandung der inneren Hülle ... «
Gereizt sagte Atan Shubashi: »Das ist für mich hochinteressant! Könntest du deinen Anfängerunterricht nicht woanders abhalten, Helga? Nach Möglichkeit außerhalb des Schiffes!«
Eine zweite Explosion und ein folgender, harter Schlag erschütterten das Schiff. Wieder beruhigte Helga den Leutnant.
»Was ist dir über die Leber gelaufen, Atan?« fragte sie weiter.
Atan breitete in einer bedauernden Bewegung beide Arme aus.
»Zweihundertvierundsechzig hat Würmer«, erklärte er düster. »Und ich bin nicht bei ihm!«
»Das ist aber tatsächlich mehr als ärgerlich!« sagte Helga mit Nachdruck. »Ich kann deinen Ärger verstehen, Atan.«
»Wenn mir jemand erklären würde, was >Zweihundertvierundsechzig< bedeuten soll!« sagte Tamara.
Helga erklärte es ihr.
»Es ist sein schwarzer Pudel, ein süßes Tier. Einer der dreihundertsechsundsiebzig Pudel, die es noch gibt.«
Ärgerlich sagte Leutnant Jagellovsk: »Sie haben Sorgen! Wir kämpfen uns eben unter Lebensgefahr an einem Sonnensturm vorbei, und Sie jammern wegen eines Hundes ...«
Die dritte Explosion und das häßliche Knirschen, das ihr folgte, waren heftiger. Diesmal ging ein Ruck durch die Kommandozentrale. Irgendwo zerschellte Glas.
»Was ist das?« fragte Tamara und klammerte sich an dem Pult Shubashis fest.
»Was meinen Sie?« fragte Atan gespielt harmlos.
Eine Reihe knatternder Geräusche und ein Schaukeln warfen die Besatzungsmitglieder fast aus den Sesseln.
»Das ist ja ...!« rief Tamara. »Wir explodieren!«
Helga und Atan wechselten ein bedeutungsvolles Lächeln. Von seinem Platz aus sagte Mario de Monti: »Natürlich explodieren wir.«
Tamara blickte ihn entsetzt an. Man sah deutlich, daß sie sich fürchtete.
»Das ist etwas«, belehrte sie de Monti mit erhobenem Zeigefinger, »womit wir Raumfahrer ständig rechnen müssen. Damit und mit einer Serie noch schlimmerer Dinge.«
Tamara ging langsam rückwärts, an die Strebe gelehnt, die McLanes Pult gegen die Decke abstützte und mit Helga Legrelles Funktisch verband. Der weibliche Sicherheitsleutnant klammerte sich dort an.
»Aber - Major McLane! Da muß doch etwas geschehen!« sagte sie in panischem Erschrecken. Eine erneute Detonation erschütterte die ORION VII.
McLane drehte einen schweren gläsernen Schalter herum und stand auf. Er blieb neben seinem Sessel stehen, der leicht nachfederte.
»Es wird auch etwas geschehen«, versprach er nik-kend.
»Was werden Sie tun, Major?« fragte Tamara.
»Ich gehe etwas essen«, sagte McLane seelenruhig und wandte sich an Mario de Monti, der ebenfalls aufstand.
»Glänzende Idee«, sagte der Erste Offizier und streichelte seinen Magen. »Werde ich eingeladen?«
McLane nickte ruhig und blinzelte Mario blitzschnell zu.
»Selbstverständlich. Steak oder Wildpastete?«
Nebeneinander verließen sie die Steuerkanzel, stellten sich in die kleine Liftkabine und warteten, bis der Boden der Kabine aufstieß. Tamara Jagellovsk starrte ihnen sprachlos nach. Während das Schiff eine weitere Schlingerbewegung machte, wußte Tamara, daß McLane und seine Crew wirklich harte Brocken waren - sogar für einen Offizier des Sicherheitsdienstes. Sie dachte an die kommenden sechsunddreißig Monate, und plötzlich hatte sie nicht einmal mehr Lust auf de Montis verbotenen Whisky.
Der flache Diskus der ORION war ein vollständig integrierter Mechanismus, dessen einzelne Teile in Vollendung zusammengefügt waren; sämtliche Einrichtungen waren aufeinander abgestimmt. Das Schiff ritt wie ein Schoner die Sturmausläufer ab, berührte mit zunehmender Geschwindigkeit nacheinander die Energiefinger, die sich in den solaren Raum hinausreckten. Die Automatik versetzte dem Schiff jedesmal einen Stoß, ohne es dabei aus der Richtung zu bringen - der Kurs blieb konstant. Die Explosionen waren nichts anderes als die Arbeitsgeräusche der Prallfeldmaschinen, die sich blitzartig entluden. Das war es, was Tamara nicht wußte.
Während die letzten Erschütterungen durch das Schiff gingen, erreichte die Geschwindigkeit den kritischen Wert. Die Maschinen des Hyperraumantriebs packten zu und warfen die ORION aus dem dreidimensionalen Raum.
Nach zwei Tagen Transitionsflug in einer sternen-losen Umgebung würde die ORION VII in einer Entfernung von 448 Parsek wieder rematerialisieren. Dort befand sich das Zielgebiet. Die Rüttelbewegungen hörten schlagartig auf.
Das milde Licht in McLanes Kabine nahm die beiden Männer auf. McLane ging langsam an die Aufbereitungsanlage heran. Er stellte auf der Wahlschaltung die Gerichte zusammen, die binnen Sekunden aus dem Vorrat des Schiffes geholt und erhitzt wurden. De Monti holte aus einem zweiten Fach viereckige Teller aus schwerem Plastik und schob sie nebeneinander in die Ausgabeschlitze des weißlackierten Schrankes.
Die Stille des Hyperraumflugs herrschte in der Kabine. De Monti ließ eine Kassette einrasten. Musik war zu hören, und der Erste drosselte die Lautstärke.
»Sag mal, Cliff«, begann de Monti und lehnte sich gegen die Tischkante, »ein bißchen knapp bist du ja an dem Strahlungszentrum schon vorbeigeflogen. Es hat die ORION ganz nett durchgerüttelt. Mußte das sein?«
McLane sagte unschuldig: »Die Dame vom GSD sah es nicht gern, daß wir die Koordinaten ändern wollten. Also änderte ich sie so knapp wie möglich. Jetzt kracht es eben entsprechend - die ORION hat schon ganz andere Dinge ausgehalten.«
»Ich verstehe«, sagte de Monti.
»Hoffentlich versteht es Leutnant Jagellovsk auch«, erwiderte McLane.
»Glaubst du, sie auf diese Art und Weise loswerden zu können?«
McLane sah ihn zweifelnd an und deutete auf das Kontrollicht, das rot aufleuchtete.
»Ich versuche alles«, gab er zur Antwort.
Das Fach war mit einer automatischen Auslösevorrichtung versehen. Langsam glitten zwei Teller aus dem Schlitz und blieben auf der Platte davor stehen.
»Hübsch ist sie eigentlich schon«, sagte de Monti und überlegte, ob er einen zweiten, geschickteren Vorstoß unternehmen sollte.
»Eine Kobra ist auch hübsch«, antwortete McLane und balancierte die Teller auf die Tischplatte. Die Männer setzten sich und begannen, mit großem Genuß zu essen.
»Eines ist jedenfalls sicher«, sagte de Monti plötzlich, blickte auf und deutete mit der Gabel auf Cliff. An den Zinken war ein riesiger Happen des Steaks aufgespießt. »Tamara Jagellovsk tut keine drei Jahre Sicherheitsdienst bei uns. Entweder ist sie nach den ersten drei Einsätzen irrenhausreif ... «
»Oder?« fragte McLane kauend.
»Sie ist Kommandant der ORION!« schloß de Monti mit Nachdruck. Das Essen verlief schweigend.
*
Zehn Minuten, nachdem die ORION VII wieder in das normale Raumgefüge zurückgekehrt war, befanden sich die sechs Menschen wieder in der Kommandozentrale. Der Grund war ein Annäherungsalarm gewesen, der McLane aus dem Schlaf und seine Crew an die Geräte gescheucht hatte. Auf dem runden Schirm war ein rätselhafter Gegenstand abgebildet, der in zwei Lichtsekunden Abstand vor der ORION im Raum schwebte. Der Kreuzer besaß im Augenblick fast keine Eigengeschwindigkeit mehr.
»Was ist das?« fragte Tamara.
Er sah aus wie ein abgestorbenes versilbertes Insekt mit übergroßen viereckigen Flügeln. Das Objekt drehte sich langsam und träge um eine Achse, um die es sich nicht hätte drehen dürfen.