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Jahre alter brauner Wallach, der auf den ersten Blick nicht viel herzugeben schien, jedoch intelligent, schnell und kampflustig war. Er besaß alle Vorzüge, die man sich von einem Rennpferd wünschen konnte, und seine besten Jahre lagen noch vor ihm. Im Augenblick galt er noch als >viel-versprechendc.

Er hieß Template.

Hoffnungen unterdrücken zu wollen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Als ich den Wiegeraum betrat, sah ich James Axminster mit Pips bestem Freund, einem Ranglistenjockei, sprechen. Der Jockei schüttelte den Kopf, und von weitem sah ich seine Lippen die Worte formen: »Nein, ich kann nicht.«

Axminster drehte sich langsam um und sah die Gesichter der anderen Jockeis der Reihe nach an. Ich blieb stehen und wartete. Schließlich blieb sein Blick auf mir ruhen. Dann ging er vorbei und blieb auf jemandem links von mir haften. Axminster traf seine Entscheidung und ging hinaus.

Na ja, was hatte ich erwartet? Ich war erst vier Wochen bei ihm. Drei Siege, ein dutzendmal Fernerliefen. In den letzten vierzehn Tagen hatte ich mir in dem Ort bei seinem Stall ein Zimmer genommen und jeden Morgen seine Pferde spazierengeritten, aber ich war immer noch der Neue, der unbekannte, erfolglose Jockei aus der Fernsehsendung. Bedrückt ging ich in Richtung Umkleideraum.

»Rob«, sagte er mir ins Ohr. »Lord Tirrold ist einverstanden, daß Sie sein Pferd reiten. Sagen Sie Pips Burschen Bescheid, er hat die Sachen.«

Ich drehte mich halb herum. Sie standen beieinander, die beiden großen Männer, betrachteten mich abschätzend, weil sie wußten, daß sie mir die Chance eines Lebens gaben, obwohl sie sicher sein konnten, daß ich sie nutzen würde.

»Jawohl, Sir«, antwortete ich und betrat den Umkleideraum, auf eigenartige Weise durch den Glauben, übergangen worden zu sein, gekräftigt.

Ich ritt besser als je zuvor, aber das lag wohl daran, daß Template das beste Pferd war, das ich je geritten hatte. Er ging fehlerlos und schnell, und sein Raketenstart über das erste Hindernis benahm mir den Atem, aber beim zweiten war ich schon darauf vorbereitet, beim dritten begeistert, und als ich das vierte Hindernis hinter mir hatte, wußte ich, daß ich einer ganz neuen Dimension des Rennsports teilhaftig geworden war.

Weder Axminster noch Lord Tirrold hatten mir auf dem Sattelplatz Anweisungen gegeben. Sie waren zu sehr in Sorge um Pip, den sie gerade kurz besucht hatten. Der Anblick seines gebrochenen Beins hatte sie sehr mitgenommen.

Axminster sagte nur: »Tun Sie, was Sie können, Rob«, und Lord Tirrold, ungewöhnlich taktlos für einen sonst so diplomatischen Mann, sagte: »Ich hab’ heute früh hundert auf Template gesetzt. Na ja, es ist wohl schon zu spät, einen Rückzieher zu machen.« Als er mein verlegenes Lächeln sah, fügte er hinzu: »Verzeihung, Rob. Ich bin überzeugt davon, daß Sie sich großartig halten.« Aber er schien nicht allzuviel von mir zu halten.

Während der Rennverlauf ständig wechselte, konzentrierte ich mich einzig darauf, Template im Feld der zwölf Starter an vierter Position zu halten. Weiter zurückzuhängen hätte bedeutet, daß er am Schluß des Rennens zuviel hätte leisten müssen, und stärker anzuziehen, daß man nicht sehen konnte, wie gut oder schlecht sich die anderen hielten. Template sprang aus eigenem Antrieb am vorletzten Hindernis auf den dritten Platz und zeigte noch keinerlei Ermüdungserscheinungen. Vor dem letzten Hindernis trieb ich ihn nach außen, damit er gute Sicht hatte und trieb ihn an. Er beschleunigte sofort und drückte so weit vor dem Hindernis ab, daß ich einen herzlähmenden Augenblick lang dachte, er müsse mitten auf den Stangen landen, aber ich hatte seine Kraft unterschätzt. Er landete weit hinter dem Hindernis, sammelte sich ohne Zögern und raste auf das Ziel zu.

Eines der beiden noch vor uns befindlichen Pferde war mitten in der Luft überholt worden. Nur noch ein dunkler Fuchs mußte geschlagen werden. Nur. Nur der Favorit, der Tip der Kritiker, Öffentlichkeit und Presse. Keine Schande, dachte ich, nur von ihm geschlagen zu werden. Ich preßte Template die Knie in die Seite und tippte ihn mit der Peitsche an. Ich stellte fest, daß er nicht mehr brauchte, um alles in die Waagschale zu werfen. Er streckte den Hals, griff weit aus, und ich kniete auf seinem Widerrist, preßte die Schenkel zusammen, paßte mich seinem Rhythmus an und hielt die Peitsche still, aus Angst, ihn zu stören.

Fünf Längen vor dem Ziel schob er den Kopf vor den Fuchs und ließ sich nicht mehr einholen.

Ich war fast zu erschöpft, um den Sattel abzuschnallen. Als wir den Siegerplatz betraten, applaudierten die Leute, ich sah nur strahlende Gesichter und hörte nur Lobpreisungen. Aber ich fühlte mich zu schwach und atemlos, um sie genießen zu können. Noch kein Rennen hatte mir soviel abverlangt oder auch soviel gegeben.

Zu meiner Überraschung waren Lord Tirrold und Axminster fast unnatürlich ruhig. »Hat also doch geklappt«, sagte Axminster mit schwachem Lächeln.

»Ein phantastisches Pferd«, sagte ich begeistert.

»Ja«, gab Lord Tirrold zu, »das ist wahr.« Er tätschelte Template den Hals.

»Na, dann machen Sie sich auf die Socken, Rob«, sagte Axminster. »Gehen Sie ‘rein zum Wiegen. Sie dürfen keine Zeit verlieren. Sie reiten im nächsten und übernächsten Rennen.«

Ich starrte ihn an. »Was haben Sie denn gedacht?« meinte er.

»Pip fällt für Monate aus, ich habe Sie als Ersatzmann für ihn hereingenommen, und Sie reiten für ihn, bis er wieder da ist.«

»Manche Leute riechen noch nach Lavendel, wenn sie aus der Kanalisation steigen«, sagte Tick-Tock.

Er wartete nach dem Abschluß der Rennen, bis ich mich umgezogen hatte.

»Vor sechs Wochen hast du um ein paar Ritte gebettelt. Dann trittst du als Versager im Fernsehen auf und machst allen Leuten klar, daß du keiner bist. In den Sonntagszeitungen stehen ganze Seiten über dich, und sogar die >Ti-mes< befaßt sich mir dir. Jetzt schaffst du den Sprung vom Ersatzmann zum Star, aber schon tüchtig. Drei Siege an einem Nachmittag! Du hast vielleicht Nerven.«

Ich grinste ihn an. »Einmal rauf, einmal runter. Du kannst mich dann später wieder einmal trösten.« Ich fand meine Krawatte, bürstete mir das Haar und starrte im Spiegel das eingebildete Lächeln an, das ich von meinem Gesicht nicht wegbrachte. So ein Tag kommt nicht gleich wieder, dachte ich mir.

»Los, wir besuchen Pip«, sagte ich abrupt und drehte mich um.

»Okay.« Wir erkundigten uns bei den Sanitätern, wohin man Pip gebracht hatte, und da sie auf dem Rennplatz sowieso nichts mehr zu tun hatten, nahmen sie uns in der Ambulanz ins Krankenhaus mit. Erst durch sie erfuhren wir, wie ernst die Verletzung war.

Wir sahen Pip nur für einen Augenblick. Er lag in einem Kämmerchen in der Unfallstation, bis zum Hals zugedeckt. Eine Krankenschwester erklärte uns, daß er gleich in den Operationssaal gefahren werde. Wir dürften den Patienten nicht stören, weil er schon eine Spritze bekommen habe.

»Aber Sie können ihm schnell guten Tag sagen«, meinte sie, »weil Sie schon hier sind.«

Zu mehr reichte es tatsächlich nicht. Pip sah furchtbar blaß aus, und seine Augen wirkten schlaftrunken, aber er sagte: »Wer hat das Große Rennen gewonnen?«

»Template«, erwiderte ich beinahe reumütig.

»Sie?«

Ich nickte. Er lächelte schwach. »Sie reiten also jetzt den ganzen Haufen.«

»Ich halt’ nur den Platz warm für Sie«, meinte ich. »Es wird nicht lang dauern.«

»Drei Monate.« Er schloß die Augen. »Verfluchte drei Monate.«

Die Krankenschwester kam mit einem fahrbaren Bett und zwei Pflegern zurück und bat uns, jetzt zu gehen. Wir warteten in der Halle und sahen, wie Pip in den Aufzug gefahren wurde.

»Bei einem offenen Bruch dauert es mindestens vier Monate«, sagte Tick-Tock. »Er kann gerade für das Chel-tenham-Rennen im März wieder auf den Beinen sein. Noch rechtzeitig, um dir alle Pferde wegzunehmen und dir die Chance im Championat und dem Gold Cup zu nehmen.«