»Nicht nötig«, sagte ich.
»Ich hätte Maurice beinahe Turniptop den verdammten Zucker geben lassen«, sagte er. »Ich hab’ ihm einfach etwas so Gemeines nicht zugetraut. Ich meine, das ist doch ... das ist einfach lächerlich.«
»Was ist in der Sattelbox passiert?«
Er trank einen Schluck. »Ich habe Sid angewiesen, daß niemand, grundsätzlich niemand, Turniptop vor dem Rennen etwas zu fressen oder zu trinken geben darf. Als ich mit Ihrem Sattel in die Box kam, stand Maurice in der Box nebenan, und ich sah, daß er dem Pferd Zucker gab. Sid behauptete, daß Turniptop nichts bekommen hätte.« Er machte eine Pause und trank wieder.
»Ich begann den Sattel anzuschnallen. Maurice kam herüber und begrüßte mich. Sein ansteckendes Lächeln ... ich lächelte auch und dachte, daß Sie verrückt sein müßten. Er hatte wieder sein Asthma, und er steckte die Hand in die Tasche und nahm zwei Stück Zucker heraus und hielt sie Turniptop hin. Ich hatte die Hände nicht frei und dachte sowieso, daß Sie sich irren müssen, aber ... ich weiß nicht recht ... etwas an der Art, wie er dastand, den Arm steif ausgestreckt und den Zucker flach auf der Hand ... es sah einfach nicht richtig aus. Leute, die Pferde mögen, streicheln die Nüstern, wenn sie ihnen Zucker geben, sie stellen sich nicht so weit weg, wie es nur geht, und wenn Maurice Pferde nicht mag, warum gibt er ihnen Zucker? Jedenfalls dachte ich mir plötzlich, daß es nichts schaden könne, wenn Turniptop den Zucker nicht bekäme, deshalb ließ ich die Sattelgurte fallen und tat so, als stolperte ich, und packte Maurice beim Arm, um mein Gleichgewicht zu halten. Der Zucker fiel auf das Stroh am Boden, und ich trat wie zufällig darauf, während ich mich aufrichtete.«
»Was hat er gesagt?« fragte ich fasziniert.
»Nichts«, sagte James. »Ich entschuldigte mich, aber er sagte nichts. Einen Augenblick lang schien er sich vor Wut kaum beherrschen zu können. Dann lächelte er wieder und ...« James’ Augen glitzerten ... »sagte, wie sehr er mich bewundere, daß ich dem armen Finn noch diese letzte Chance gebe.«
»Lieb von ihm«, murmelte ich.
»Ich sagte ihm, daß das nicht Ihre letzte Chance sei. Ich sagte, Sie werden auch am Samstag Template reiten. Er sagte nur: >So, wirklich?<, wünschte mir viel Glück und ging.«
»Der Zucker ist also zertreten und mit dem schmutzigen Stroh hinausgeschafft worden?« sagte ich.
»Nichts für die Analyse, kein Beweis. Unangenehm.«
»Wenn ich den Zucker nicht zertreten hätte, wäre Maurice vielleicht imstande gewesen, ihn wieder aufzuheben und Turniptop noch einmal anzubieten. Ich hatte keinen Zucker dabei ... ich glaubte einfach nicht, daß ich ihn brauchen würde.«
Er hatte nicht vorgehabt, mir zu helfen, es aber schließlich doch getan.
Wir tranken unseren Whisky. James sagte plötzlich: »Warum? Ich verstehe nicht, warum er sich so viel Mühe macht. Was hat er gegen Sie?«
»Ich bin Jockei, er nicht«, sagte ich. »Das ist alles.« Ich erzählte ihm von meinem Besuch bei Claudius Mellit und was ich dort erfahren hatte. »Es ist kein Zufall, daß Sie und die meisten anderen Trainer nur mit Mühe einen Jok-kei gefunden haben. Ihr habt euch alle von Kemp-Lore dirigieren lassen, entweder von ihm selbst, oder von seinen zwei Marionetten, Ballerton und Kellar, die sein Gift in sich aufnehmen und weiterreichen. Sie haben es mir selbst erzählt, vor nicht allzu langer Zeit. Peter Cloony kommt immer zu spät, Tick-Tock gibt sich keine Mühe, Danny wettet zuviel, Grant hat Tips gegeben, Finn den Mut verloren .«
Er starrte mich entgeistert an.
»Sie haben das alles geglaubt, James, nicht wahr?« fragte ich.
»Sogar Sie. Und alle anderen. Warum auch nicht, wo doch alles zu stimmen schien? Es gehört nicht viel dazu, einem Besitzer oder Trainer das Zutrauen zu einem Jockei zu nehmen. Man braucht nur gelegentlich einmal zu erwähnen, daß der Jockei zu spät kommt, unehrlich ist oder Angst hat, und schon wird er abgesägt ... Art. Art hat sich umgebracht, weil Corin ihn hinausgeworfen hat. Grant erlitt einen Nervenzusammenbruch. Cloony ist so pleite, daß seine Frau in einem eiskalten Haus halb verhungert. Tick-Tock macht Witze wie der arme Bajazzo ...«
»Und Sie?« fragte James.
»Ich? Na ja ... die letzten drei Wochen waren nicht gerade ein Vergnügen für mich.«
»Nein«, sagte er, als sähe er das zum erstenmal von meinem Standpunkt aus, »nein, das kann ich mir denken.«
»Das war alles so genau berechnet. Jede Woche in seiner Sendung wurde irgendein Jockei schlechtgemacht. Als er mich eingeladen hatte, stellte er mich als erfolglosen Reiter vor, und er wollte dafür sorgen, daß ich es auch blieb. Erinnern Sie sich an den schrecklichen Film, den er gezeigt hat? Sie hätten mich nie genommen, wenn Sie ihn gesehen hätten, bevor ich für Sie geritten bin, oder?«
Er schüttelte bedrückt den Kopf.
»Bei jeder Gelegenheit - als beispielsweise Template das Königsrennen gewann -, erinnerte er alle Fernsehzuschauer, daß ich nur der Ersatzmann für Pip bin und hinausgeworfen werde, sobald das Bein verheilt ist. Zugegeben, das ist Pips Platz und er soll ihn zurückhaben, aber der gönnerhafte Ton, mit dem Kemp-Lore das sagte, sollte allen Leuten klarmachen, daß ich es nicht verdiente, ein bißchen Ruhm zu ernten. Vielleicht stimmt das auch. Aber ich glaube, daß viele von den Besitzern eher bereit gewesen wären, Ihrem Urteil zu trauen, und weniger eifrig, mich beim ersten Versagen hinauszuwerfen, wenn KempLore nicht dauernd das Feuerchen in Betrieb gehalten hätte. Und letzten Freitag ...«, ich bemühte mich, ohne allzu großen Erfolg, um einen gleichmütigen Gesprächston.
»Letzten Freitag brachte er Corin und den Handikaper soweit, daß sie rundheraus sagten, ich sei erledigt. Haben Sie die Sendung gesehen?«
James nickte und füllte wieder die Gläser.
»Das ist ein Fall für das National Hunt Committee«, entschied er.
»Nein«, erwiderte ich. »Sein Vater ist Mitglied.«
James riß die Augen auf. »Das hatte ich vergessen .«
»Im Committee sind alle für Kemp-Lore. Keiner würde gegen ihn auftreten. Die meisten waren sogar auf derselben Schule wie er«, sagte ich lächelnd. »Ich wäre sehr froh, wenn Sie das alles vorerst noch für sich behielten. Sie wären weit weniger leicht zu überzeugen als Sie, und es gibt nichts, was Kemp-Lore nicht ableugnen könnte. Aber ich bleib’ ihm auf der Spur«, knurrte ich.
»Der Tag wird schon noch kommen.«
»Sie sind ja ganz fröhlich«, rief er erstaunt.
»Mein Gott, James.« Ich stand auf. »Letzte Woche wollte ich mich umbringen. Ich bin froh, daß ich es nicht getan habe. Warum soll ich da nicht fröhlich sein?«
Er sah so verblüfft aus, daß ich lachen mußte und mein Glas auf den Tisch zurückstellte.
»Warten Sie nur«, sagte ich. »Sie müssen verstehen, daß ich zum National Hunt Committee im Augenblick kein Vertrauen habe. Für den lieben Maurice lasse ich mir etwas anderes einfallen.« Aber ich hatte noch keinen brauchbaren Plan, und der liebe Maurice hatte noch seine Zähne. Sie waren scharf.
Kapitel 11
Obwohl weder Tick-Tock noch ich am nächsten Tag für ein Rennen engagiert waren, klaute ich ihm den Wagen, um nach Ascot zu fahren, und lief um die Bahn herum. Über die Heide wehte ein bitterkalter Nordostwind, und der Boden war steinhart. Der Winter war bisher recht mild gewesen, aber der klare Himmel versprach Schnee und Eis. Einen Tag noch, mehr verlangte ich nicht, nur noch einen Tag. Aber als ich mit dem Absatz gegen den Boden stieß, war ich enttäuscht.
Ich beendete meinen Rundgang und überlegte mir, wie ich das Rennen anpacken sollte. Wenn der Boden hart blieb, hatten wir ein schnelles Geläuf vor uns, aber das war Template nur angenehm, zumal er viel Gewicht zu schleppen hatte.
Vor dem Wiegeraum trat mir Peter Cloony in den Weg. Sein Gesicht war bleich, hager und bedrückt, und auf seiner Stirn zeigten sich Runen.