»Ich zahl’s Ihnen zurück«, sagte er beinahe feindselig.
»Schon gut. Später mal. Eilt nicht«, meinte ich.
»Sie hätten meiner Frau nicht hinter meinem Rücken das Geld und die Lebensmittel geben dürfen. Ich wollte das alles sofort zurückschicken, aber sie ließ mich nicht. Wir sind nicht auf Wohltätigkeit angewiesen. Ich mag das nicht.«
»Sie sind ein Trottel, Peter«, sagte ich. »Ihre Frau hat recht gehabt, die Sachen zu behalten, und ich hätte mich schön geärgert, wenn sie abgelehnt hätte. Finden Sie sich ruhig damit ab: Jede Woche wird eine Kiste Lebensmittel in Ihr Haus geliefert, bis Sie wieder anständig verdienen.«
»Nein«, schrie er. »Das laß ich nicht zu.«
»Ich seh’ nicht ein, warum Ihre Frau und Ihr Kind leiden sollen, nur weil Sie zu stolz sind«, rief ich. »Aber wenn es Ihr Gewissen beruhigt, sag’ ich Ihnen, warum ich das mache. Sie werden nie ordentliche Arbeit kriegen, solange Sie mit einem solchen Gesicht herumlaufen. Sie müssen sich zusammennehmen und beweisen, daß es sich lohnt, Sie zu engagieren. Ich tue nichts anderes, als eine Ihrer Sorgen aus dem Weg zu räumen, damit Sie ein bißchen mehr an den Rennsport und ein bißchen weniger an Ihr kaltes Haus und die leere Speisekammer denken können. Und kommen Sie um Gottes willen nicht wieder zu spät.«
Ich ging weg, während mir Peter mit offenem Mund und hochgezogenen Brauen nachstarrte. Was Kemp-Lore eingerissen hatte, konnte ich versuchen wieder aufzubauen, dachte ich. Ich hatte ihn bei meiner Ankunft von ferne gesehen; er unterhielt sich angeregt mit einem Herrn der Rennleitung, der über das ganze Gesicht lachte.
Nach dem vierten Rennen brachte man mir ein Telegramm in den Umkleideraum. Es lautete: >Hol mich in Uxbridge beim White Bear um halb sieben ab. Wichtig. Ingersoll. < Ich verfluchte Tick-Tock innerlich, weil Uxbridge in entgegengesetzter Richtung von meinem Heimweg war. Aber schließlich gehörte der Wagen zur Hälfte ihm, und in der letzten Woche hatte ich ihn für mich allein gehabt.
Der Nachmittag zog sich hin. Es war mir unangenehm, zusehen zu müssen, vor allem nach dem großartigen Rennen auf Turniptop, aber ich bemühte mich, meinen Rat auch hier zu befolgen und ein fröhliches Gesicht zu machen. Nach einer Weile schienen die anderen tatsächlich ein bißchen aufzutauen. Das Leben war viel einfacher, seit man wieder mit mir sprach, aber ich zweifelte nicht, daß die meisten noch abwarten wollten, bis ich Template gerit-ten hatte. Das machte mir nichts aus. Ich war überzeugt davon, daß er einer der Schnellsten war, und ich hatte mir von James versprechen lassen, daß man ihn unablässig bewachen würde.
Nach der Rennveranstaltung lungerte ich herum, weil ich zwei Stunden Zeit hatte, bevor ich Tick-Tock abholen mußte. Ich sah den Leuten von der Universal Television zu, die alles für die Übertragung des morgigen Rennens aufbauten, und erkannte einen der Männer: Gordon Kildare, immer noch im blauen Nadelstreifenanzug. Er ging mit geübtem Lächeln an mir vorüber, was bei einem Mann wie ihm immer heißt, daß er nicht weiß, wen er anlächelt, es aber trotzdem tut, weil sich der Betreffende später als wichtig herausstellen könnte. Er war jedoch noch keine zwei Schritte an mir vorbei, als er sich umdrehte und zurückkehrte.
»Sie sind doch in der Sendung aufgetreten«, sagte er freundlich.
»Nein, warten Sie mal ...« Er runzelte die Stirn, dann schnalzte er mit den Fingern. »Finn, richtig, Finn.« Aber sein Lächeln verschwand schnell, und ich wußte, daß er auch daran dachte, was vor einer Woche in der Sendung über mich gesagt worden war.
»Ja, Finn«, sagte ich. »Alles fertig für morgen?«
»Oh, ja. Es wird ziemlich anstrengend werden. Tut mir leid, daß ich gleich weg muß, aber Sie wissen, wie es ist ... Wir müssen heute noch die Sendung machen, und ich muß ins Studio. Maurice ist längst fort.«
Er sah auf die Uhr, lächelte verbindlich, zog sich zurück.
Ich sah ihn in einem nagelneuen Ford davonfahren und stellte mir das Studio vor, zu dem er zurückkehrte: die Kameras, die grellen Scheinwerfer, die Platte mit Sandwiches; immer dasselbe, und wer würde heute abend Kemp-Lores Opfer sein?
Ich konnte ja so wenig gegen ihn unternehmen. Mühsame Wühlarbeit, Gegengerüchte ausstreuen. Versuchen, seinen Einfluß zu untergraben? All das, ja, aber ich besaß weder sein Prestige noch seine Rücksichtslosigkeit. Ich steckte die Hände in die Taschen, ging zum Mini-Cooper hinaus, um Tick-Tock abzuholen. Auf dem dunklen Parkplatz neben dem >White Bear< stand außer meinem Wagen nur noch ein Auto. Im Lokal saß ein einzelner alter Mann vor einem Bierglas. Ich kehrte an die Theke zurück und bestellte einen Whisky. Kein Tick-Tock. Ich sah auf die Uhr. Zwanzig vor sieben.
»Warten Sie zufällig auf jemand, Sir?« fragte der Schenkkellner.
»Ja, allerdings«, sagte ich.
»Sie sind nicht zufällig ein Mr. Finn?«
»Doch.«
»Dann hab’ ich eine Nachricht für Sie, Sir. Ein Mr. Ingersoll hat eben angerufen, daß er Sie hier nicht treffen kann, Sir, es tue ihm sehr leid, aber Sie möchten ihn doch um 6.55 Uhr am Bahnhof abholen. Sie brauchen nur geradeaus zu fahren und bei der ersten Straße links abzubiegen, dann ist es noch ein Kilometer.«
Ich leerte mein Glas, bedankte mich und ging zu meinem Wagen hinaus. Ich setzte mich ans Steuer und wollte das Licht und die Zündung einschalten. Ich streckte die Hand aus ... aber ich kam nicht an den Knopf.
Von hinten packte mich jemand am Hals. Ich hörte ein Geräusch hinter mir, als eine Schuhsohle über die dünne Matte kratzte. Ich warf die Hände hoch und versuchte mich festzukrallen, erreichte aber das Gesicht des Angreifers nicht, und gegen die Handschuhe blieben meine Fingernägel erfolglos. Es waren dicke Lederhandschuhe. Die Finger hatten viel Kraft und, was schlimmer war, sie wußten genau, wo sie zupacken mußten, über dem Schlüsselbein, an den Halsschlagadern. Aber, erinnerte ich mich dunkel, der Druck auf eine Ader unterbindet die Arterienblutung aus dem Kopf ... der Druck auf beide zugleich verhindert die Blutzufuhr zum Gehirn.
Ich hatte keine Chance. Meine Abwehrbewegung war durch das Lenkrad behindert und brachte mir nichts ein. In den letzten Sekunden, bevor eine dröhnende Dunkelheit mich aufnahm, hatte ich nur noch einen kurzen Augenblick für zwei Gedanken Zeit. Erstens, daß ich Tick-Tock nie in einem so miesen Lokal erwartet hätte, und zweitens, und das zornig, daß ich tot war.
Ich kann nicht lange bewußtlos gewesen sein, aber es genügte. Als ich langsam zu mir kam, stellte ich fest, daß ich weder die Augen noch den Mund zu öffnen vermochte. Beide waren mit Heftpflaster verklebt. Meine Handgelenke waren gefesselt, und meine Füße konnte ich nur ein kleines Stück bewegen, sie waren zusammengebunden wie bei einem Zigeunerpony.
Ich lag auf der Seite hinter den Vordersitzen meines Mini-Cooper, wie ich an der Größe und dem Geruch erkannte; es war eiskalt, und nach einer Weile begriff ich auch, warum. Ich hatte weder einen Mantel noch ein Jakkett an. Meine Arme waren zwischen die beiden Vordersitze geklemmt, so daß ich das Heftpflaster nicht abreißen konnte. Alles tat mir weh. Ich versuchte mit aller Kraft, meine Arme zu befreien, aber es gelang mir nicht - und eine Faust, so nahm ich an - sauste so brutal auf sie hernieder, daß ich es nicht mehr versuchte. Ich konnte nicht sehen, wer den Mini-Cooper steuerte, aber das war auch nicht nötig. Es gab nur einen Menschen auf der Welt, der mir eine solche Falle gestellt haben konnte; kompliziert, aber wirksam, wie der Jaguar mitten auf der Straße. Nur einen Menschen, der Grund dazu hatte, mich zu entführen, so irrsinnig auch dieser Grund sein mochte. Ich machte mir keine Illusionen. Maurice Kemp-Lore wünschte nicht, daß ich den Winter-Cup gewann, und unternahm Schritte, das zu verhindern.
Ich fragte mich bloß, ob er wußte, daß es kein Zufall war, daß Turniptop den präparierten Zucker nicht gefressen hatte? Hatte er erraten, daß ich genau über ihn Bescheid wußte? Hatte er erfahren, daß ich mich bei allen Rennställen erkundigt und auch dem Jaguar nachgespürt hatte? Wenn er das wußte, was würde er mit mir tun? Ich hatte es gar nicht eilig, auf diese Frage eine Antwort zu erhalten.