Als wir eine Weile gefahren waren, bog der Wagen plötzlich links ab und holperte über eine unebene Straße. Nach einiger Zeit wurde er langsamer, bog wieder ab und hielt.
Kemp-Lore stieg aus, klappte die Lehne des Vordersitzes herunter und zerrte mich hinaus. Ich kam wegen der Fußfesseln nicht auf die Beine und stürzte auf die Schulter. Der Boden war hart und kiesig. Mein Hemd zerriß, und die harten Steine zerkratzten mir die Haut. Er zerrte mich hoch, und ich stand schwankend da, blind und unfähig, davonzulaufen, selbst wenn ich mich aus seinem Griff hätte befreien können. Er befestigte eine Art Leine an meinen Handfesseln und zog mich daran fort. Der Boden war uneben und die Schnur um meine Knöchel sehr kurz. Ich stolperte immer wieder und fiel zweimal hin.
Es war sehr unangenehm zu stürzen, ohne etwas sehen zu können, aber irgendwie gelang es mir, mich beiseite zu drehen, bevor ich aufprallte, so daß ich mit dem Körpergewicht auf den Schultern landete. Er zog mir die Hände immer so weit vor den Körper, daß ich das Heftpflaster nicht erreichen konnte. Beim zweiten Sturz habe ich mir alle Mühe gegeben, es abzuziehen, aber er riß mir die
Arme brutal über den Kopf und zerrte mich ein ganzes Stück auf dem Boden dahin. Wieder mußte ich eine ganze Menge Haut lassen.
Endlich ließ er mich aufstehen. Er sagte nichts. Kein Wort. Und ich konnte nicht reden. Man hörte nur unsere Schritte auf dem kiesigen Boden und das Wispern des scharfen Nordostwindes in den Bäumen. Mein zerfetztes Hemd war kein Schutz gegen diesen Wind, und ich begann zu zittern.
Er blieb stehen, ich hörte, daß eine Tür geöffnet wurde, dann zerrte er mich weiter. Diesmal hatte ich eine Stufe vor mir, wie ich zu spät erkannte, bevor ich wieder hinfiel. Ich hatte auch nicht mehr die Zeit, mich zur Seite zu drehen. Ich fiel auf Magen, Ellenbogen und Brustkasten. Der Sturz benahm mir den Atem, ich fühlte mich schwindelig. Ein Holzboden, dachte ich, während ich so dalag. Es roch nach Staub und undeutlich nach Pferden. Er zerrte mich wieder hoch, und ich spürte, wie meine Handgelenke hochgehoben und irgendwo über meinem Kopf festgemacht wurden. Als er fertig war und zurücktrat, tastete ich mit den Fingern umher, weil ich feststellen wollte, was es war. Sobald ich die glatten Metallhaken fühlte, wußte ich genau, in welcher Art von Raum ich mich befand.
Es war eine Sattelkammer. Es gibt sie in jedem Rennstall. Dort werden die Sättel und Zaumzeuge aufbewahrt, gemeinsam mit all den Gürteln, Riemen, Bandagen und Decken, die die Pferde brauchen. Von der Decke jeder Sattelkammer hängt ein Geschirrhaken, ein Gerät, das einem dreizackigen Anker gleicht und auf das man Zaumzeug zum Putzen hängt. An diesem Haken hing kein Zaumzeug, nur ich. Ich war fest dort angebunden, wo sich die metallenen Arme teilten.
Die meisten Sattelkammern waren warm, geheizt von einem Ofen, der feuchte Decken trocknet und verhindert, daß Leder Schimmel ansetzt. In dieser Sattelkammer war es sehr kalt, und der Geruch nach Leder und Sattelseife war sehr schwach. Die Kammer war unbenutzt und leer. Die Stille nahm eine neue Bedeutung an. In den Boxen bewegten sich keine Pferde. Die Stallung war unbenutzt. Ich schauderte, nicht nur vor der Kälte. Ich hörte ihn in den mit Kies beworfenen Hof hinaustreten, dann klapperte ein Riegel und eine Stalltür wurde geöffnet. Nach ein paar Sekunden fiel sie zu, und eine zweite Tür wurde geöffnet und klappte zu. Eine dritte ging auf. Er öffnete der Reihe nach sechs Türen. Ich nahm an, daß er etwas suchte, und fragte mich bedrückt, was es wohl sein konnte.
Nachdem die sechste Tür zugefallen war, blieb er einige Zeit aus. Ich konnte nicht hören, was er tat. Aber der Motor des Wagens war nicht zu hören gewesen, er mußte also noch da sein. Gegen meine Handfesseln konnte ich nichts ausrichten. Sie waren schmal und glatt, fühlten sich wie Nylon an, und es gab nicht einmal einen Knoten, geschweige denn, daß ich ihn lösen konnte. Nach einer Weile kam er zurück und stellte etwas auf den Boden. Einen Eimer.
Er betrat die Kammer und ging leise auf mich zu. Vor mir blieb er stehen. Überall war es ganz still. Ich hörte ein neues Geräusch, das hohe, asthmatische Pfeifen seiner Atmung. Schon eine leere Stallung schien also zu genügen.
Eine Weile geschah gar nichts. Er ging langsam um mich herum und blieb wieder stehen. Ging und blieb stehen. Was will er tun? dachte ich.
Er berührte mich einmal, fuhr mit dem Handschuh, der eiskalt war, über meine abgeschürften Schultern. Ich zuckte zusammen, und er atmete heftig ein. Er begann zu husten, trocken und asthmatisch. Hoffentlich erstickst du, dachte ich.
Er ging hustend hinaus, hob den Eimer auf und ging über den Hof davon. Ich hörte, wie der Eimer klirrend abgestellt und ein Wasserhahn aufgedreht wurde. Das Wasser rauschte in den Eimer, unnatürlich laut in der Stille.
Ein Riese und ein Zwerg gingen auf den Berg, sagte eine alberne Stimme in mir, und holten einen Kübel Wasser. Der Riese steckt den Zwerg hinein, der wurde immer nasser.
Nein, dachte ich, o nein, mir ist doch schon so kalt. In irgendeinem Winkel meines Verstandes sagte ich mir, daß mir ganz egal war, was er mir antat, wenn ich Template nur rechtzeitig reiten konnte, und eine andere Stimme sagte, sei kein Narr, darauf kommt es ihm ja an, er läßt dich nie reiten, und selbst wenn du fliehen kannst, wirst du so durchfroren und steif sein, daß du nicht einmal einen Esel reiten könntest.
Er drehte den Hahn zu und ging wieder über den Hof; ich hörte das Wasser im Eimer hin- und herschwappen. Er trug ihn in die Kammer und blieb hinter mir stehen. Der Henkel klirrte. Ich biß die Zähne zusammen, atmete tief ein und wartete. Er kippte den Eimer.
Der Guß traf mich zwischen den Schulterblättern und durchnäßte mich von Kopf bis Fuß. Das Wasser war eiskalt und brannte in meinen Schürfwunden. Nach einer kurzen Pause ging er wieder durch den Hof und füllte den Eimer wieder auf. Ich dachte mir, das macht jetzt schon fast nichts mehr aus. Nässer kannst du nicht werden, ärger frieren kannst du auch nicht. Meine Arme, die er über dem Kopf festgebunden hatte, begannen bereits schwer zu werden und zu schmerzen. Ich machte mir jetzt nicht mehr solche Sorgen um die unmittelbare Zukunft, ich dachte vielmehr daran, wie lange er mich hier festhalten würde.
Er kam mit dem Eimer zurück und schüttete mir diesmal den Guß ins Gesicht. Ich hatte mich geirrt, als ich annahm, daß mir das nichts mehr ausmachen würde. Es war mindestens so schlimm wie beim erstenmal, vor allem, weil ich sehr viel Wasser in die Nase bekam. Sah er denn nicht, daß er mich ertränkte, dachte ich verzweifelt. Meine Brust schmerzte. Ich konnte kaum atmen. Jetzt wird er dir sicher das Heftpflaster vom Mund reißen, sicher . sicher .
Er tat es nicht.
Bis ich wieder einigermaßen Luft in meine gequälten Lungen bekam, ließ er draußen im Hof schon wieder den Eimer vollaufen. Der Wasserhahn wurde abgedreht und die knirschenden Schritte kamen das dritte Mal auf mich zu. Die Stufe hinauf und auf den Holzboden. Ich konnte nichts tun, um ihn aufzuhalten. Meine Gedanken in diesem Augenblick lassen sich nicht wiedergeben.
Er blieb wieder vor mir stehen. Ich drehte den Kopf zur Seite und preßte die Nase an den Oberarm. Er schüttete mir das Eiswasser über den Kopf. Von jetzt an, dachte ich, tun mir die Clowns im Zirkus leid. Hoffentlich verwenden sie wenigstens warmes Wasser. Es hatte den Anschein, als wäre ich ihm jetzt naß genug. Jedenfalls stellte er den Eimer draußen vor der Tür ab, kam zurück und blieb neben mir stehen. Sein Asthma war schlimmer geworden.
Er packte mich bei den Haaren, riß meinen Kopf hoch und begann zum erstenmal zu sprechen.
Leise und mit offensichtlicher Zufriedenheit sagte er: »Du pfuschst mir nicht mehr dazwischen.«