»Und hoffen Sie, ihn da auch wieder reiten zu können?« fragte er. Seine Stimme hatte einen Unterton, der gerade noch nicht beleidigend wirkte. Es schien ihm so schwer wie mir zu fallen, Sympathie zu bezeigen.
»Das kommt darauf an«, sagte ich, »ob Pip rechtzeitig fit ist ... und ob Lord Tirrold und Mr. Axminster mich einsetzen wollen, falls es nicht klappt. Aber ich möchte natürlich gerne reiten, wenn es geht.«
»Sie haben bisher noch nie am Gold Cup teilnehmen können, glaube ich?« Er suchte den Eindruck zu erwecken, als versuche ich seit Jahren erfolglos, ein Pferd zu bekommen.
»Nein«, sagte ich. »Aber seit ich Jockei bin, ist er erst zweimal ausgetragen worden, und ich kann mich glücklich schätzen, wenn ich so früh in meiner Laufbahn einen Ritt bekomme.«
Seine Nasenflügel blähten sich. Ich dachte befriedigt, da hab’ ich dich schön erwischt, Freundchen, du hast vergessen, daß ich erst seit kurzer Zeit Jockei bin.
Er wandte das Gesicht der Kamera zu. Ich sah die Starrheit in seinem Genick, den Kiefermuskeln, den sichtbar schlagenden Puls an seiner Schläfe. Ich konnte mir vorstellen, daß er mich am liebsten tot gesehen hätte, aber er konnte sich soweit beherrschen, um zu begreifen, daß ich nicht mehr nur an Zufall glauben würde, wenn er meine Schulter noch stärker mißhandelte.
Wenn er in diesem Augenblick weniger beherrscht gewesen wäre, hätte ich ihn später vielleicht gnädiger behandelt. Wenn seine berufsgemäß freundliche Miene der Wut Ausdruck gegeben hätte, die ihn erfüllte, oder wenn er mir die Nägel ohne Bedenken in den Rücken gekrallt hätte, wäre es mir vielleicht möglich gewesen, ihn eher für zornentbrannt als für bösartig zu halten. Aber er wußte nur zu gut, wann er aufhören mußte, und da ich irrsinnige Wut nicht mit solcher Selbstdisziplin zu vereinbaren vermochte, war er nach meinen Grundsätzen geistig normal; geistig normal und beherrscht, und daher nicht in Gefahr, sich innerlich selbst zu zerstören. Ich warf Claudius Mellits Bitte um Benützung von Glacehandschuhen endgültig über Bord.
Kemp-Lore sprach gelassen in Richtung Kamera, seine Sendung zu Ende bringend. Er schüttelte mich ein letztes Mal freundschaftlich und nahm den Arm von meinen Schultern. Langsam und methodisch sagte ich mir stumm die zehn unanständigsten Worte vor, die ich kannte, und danach hörte der Ringplatz auf, sich um mich zu drehen.
Der Mann mit der Kamera hob die Hand, und das rote Auge erlosch.
Kemp-Lore wandte sich mir zu und sagte: »So, das wär’s. Die Sendung ist vorbei.«
»Danke, Maurice«, erwiderte ich, über das ganze Gesicht lachend. »Genau das hab’ ich gebraucht, um wieder ganz oben zu sein. Ein richtiger Sieg und ein Fernsehinterview mit Ihnen. Herzlichen Dank.« Ich konnte genausogut Salz in seine Wunde streuen.
Er warf mir einen Blick zu, in dem die angelernte Gewohnheit des Charmes mit der Bösartigkeit kämpfte und noch einmal gewann. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging davon, sein Mikrophonkabel hinter sich herziehend.
Wer von uns beiden den anderen mehr haßte, ließ sich nicht entscheiden.
Kapitel 15
Fast den ganzen nächsten Tag verbrachte ich in Joannas Bett. Sie gab mir eine Tasse Kaffee zum Frühstück, dazu ein liebes Lächeln und den Befehl, jetzt zu schlafen. Ich schlüpfte in den Schlafanzug, den sie mir gekauft hatte, träumte von ihr auf ihrem eigenen Kissen und unternahm nichts Anstrengenderes, als gelegentlich meinen Blutdruck zu steigern, indem ich an Kemp-Lore dachte.
Ich war am Abend zuvor in leicht demoliertem Zustand an ihrer Schwelle eingetroffen, nachdem ich Tick-Tock und seine Freundin mit dem Taxi zum >White Bear< in Uxbridge gebracht hatte, wo, wie ich richtig vermutete, der Mini-Cooper auf dem Parkplatz stand. Ich war überzeugt davon gewesen, daß Kemp-Lore in seinem eigenen Wagen zum >White Bear< gefahren war, den Mini-Cooper für seinen Ausflug zu der verlassenen Stallung benützt und nach der Rückkehr wieder in sein eigenes Auto umgestiegen war. Trotzdem erleichterte es mich, den kleinen Mini unbeschädigt wiederzufinden.
Tick-Tocks Bemerkungen über meine Nachlässigkeit mit Besitztümern, die ich mit anderen zu teilen hätte, verstummten, als er meine Armbanduhr, die Brieftasche und alle anderen Sachen aus meinen Taschen im Handschuhfach, meinen Sakko, den Mantel und ein weißes Nylonseil auf dem Rücksitz fand.
»Warum, zum Teufel, hast du deine Sachen hiergelassen?« sagte er langsam. »Ein Wunder, daß man sie nicht gestohlen hat, und den Wagen dazu.«
»Das liegt am Nordostwind«, antwortete ich ernsthaft.
»Wie beim Mond, verstehst du? Ich mach’ nur verrückte Sachen, wenn der Nordostwind weht.«
»Von wegen.« Er grinste, nahm Sakko und Mantel und trug sie in das wartende Taxi. Dann schob er zu meiner Überraschung die kleineren Sachen in meine Hosentaschen und gab mir die Uhr.
»Du magst ja alle anderen Leute hereingelegt haben«, sagte er leichthin, »aber für mich hast du den ganzen Tag ausgesehen wie ein Geist, und das hängt mit deinen Händen zusammen. Die Handschuhe sind neu . du trägst doch sonst keine. Was war los?«
»Zerbrich dir nur den Kopf«, sagte ich liebenswürdig und stieg ins Taxi, »wenn du nichts Besseres zu tun hast.« Ich sah zu seiner kleinen Freundin hinüber, er lachte, schnippte mit den Fingern und ging hinüber, um ihr in den Mini-Cooper zu helfen.
Der Taxi chauffeur, guter Stimmung, weil er auf drei Sieger gesetzt hatte, fuhr mich ohne die geringste Beschwerde über den Umweg zu Joanna. Als ich bezahlte und ihm ein dickes Trinkgeld gab, sagte er: »Haben Sie auch auf einen Sieger gesetzt?«
»Ja«, sagte ich. »Template.«
»Komisch«, sagte er. »Ich hab’ auch auf ihn gewettet, weil Sie gesagt haben, daß man nicht alles glauben soll, was man so hört. Sie hatten sogar recht, was? Dieser Finn ist noch lange nicht erledigt. Ein tolles Rennen. Ich glaub’, auf den setz’ ich wieder.« Er legte den Gang ein und fuhr davon.
Während ich seinen über die Pflastersteine dahinhoppelnden Heckleuchten nachsah, fühlte ich mich unsinnig glücklich und wieder ganz im Einklang mit mir selbst. Mein Sieg im Rennen war den Einsatz wert gewesen. Und der Taxichauffeur hatte mir, ohne zu wissen, wen er vor sich hatte, noch eine Prämie geschenkt, nämlich daß ich, was die Anhänger des Rennsports anging, wieder im Geschäft war. Restlos erschöpft, aber zufrieden, lehnte ich mich an Joannas Türpfosten und läutete.
Das war aber noch nicht ganz das Ende der anstrengendsten vierundzwanzig Stunden meines Lebens. Meine teilnahmsvolle Cousine, die zu Recht voraussah, daß ich mich weigern würde, noch einen Arzt aufzusuchen, hatte gleich einen mitgebracht. Er wartete schon auf mich, als ich die Wohnung betrat, ein barscher Schotte mit buschigen Brauen und drei Warzen am Kinn.
Mein aufgebrachter Protest, daß ich nicht in der Verfassung sei, seine Behandlungsmethoden über mich ergehen zu lassen, begegnete tauben Ohren. Sie setzten mich in einen Stuhl. Wieder mußte ich mich ausziehen, die Lederhandschuhe und die seidenen, die ich nach dem Rennen nicht abgelegt hatte, dann den Anorak, das Hemd meines Vaters, den Unterjersey und die Gazestücke, die mir Joanna am Morgen aufgeklebt hatte, und schließlich die blutdurchtränkten Verbände an den Handgelenken. Gegen Ende dieser recht unbarmherzigen Entkleidungsszene begann sich das Zimmer um mich zu drehen, und ich kippte bedauerlicherweise auf den Boden, einer Ohnmacht näher als je zuvor.
Der Schotte hob mich auf, setzte mich wieder in den Stuhl und befahl mir, mich zusammenzunehmen und ein Mann zu sein.
»Sie haben nur ein ganz klein bißchen Haut verloren«, sagte er streng.
Ich begann erschöpft zu lachen, was auch nicht besonders gut aufgenommen wurde. Er war keine Frohnatur. Als ich auf seine Fragen den Kopf schüttelte und mich weigerte zu erzählen, was mir zugestoßen war, preßte er die Lippen zusammen, bis die Warzen zitterten. Aber er verband mich geschickt und gab mir ein paar Schmerztabletten, die sich als sehr wirksam erwiesen. Als er gegangen war, stieg ich in Joannas Bett und versank dankbar in Schlummer.