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Joanna arbeitete fast den ganzen nächsten Tag an ihrem Porträt. Als ich aufwachte, saß sie vor der Leinwand und sang leise. Nicht die ausgefallenen Lieder, auf die sie spezialisiert war, sondern eine gälische Ballade, sanft und traurig. Ich lag da und lauschte mit geschlossenen Augen, weil ich wußte, daß sie aufhören würde, sobald sie mich wach sah. Sie sang die Ballade zu Ende und begann mit einer neuen. >I know where I’m going and I know, who’s going with me; I know who I love, but the dear knows, who’ll I marry. Some say he’s black, but I know he’s bonny ...< Sie verstummte plötzlich und sagte: »Verdammt noch mal!« Ich hörte sie die Palette und den Pinsel wegwerfen und in die Küche gehen.

Nach einer Weile setzte ich mich auf und rief: »Joanna?«

»Ja?«

»Ich bin am Verhungern.«

»Oh.« Ich hörte ein ersticktes Lachen, dann rief sie: »Gut. Ich koch’ dir was.«

Und sie kochte: Brathuhn mit grünen Maiskolben, Ananas und Speck. Während der appetitanregende Geruch aus der Küche hereinströmte, stand ich auf, zog mich an und zog ihr Bett ab. Im Bettkasten lag frische Wäsche. Ich überzog Decke und Kopfkissen und breitete ein sauberes Laken aus.

Sie brachte ein Tablett mit Tellern und Besteck herein, sah die gebrauchte Wäsche und das frischgemachte Bett.

»Was tust du denn da?«

»Das Sofa ist nicht gut für dich. Offenbar hast du schlecht geschlafen, deine Augen sind gerötet.« »Damit hat es nichts ...«, begann sie, überlegte es sich aber anders.

»Es liegt nicht am fehlenden Schlaf?« fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf. »Essen wir.«

»Was ist denn dann los?« wollte ich wissen.

»Nichts, nichts. Sei still und iß.«

Ich gehorchte. Schließlich hatte ich einen Mordshunger. Sie sah mir zu, als ich restlos alles aufaß. »Du fühlst dich besser«, erklärte sie.

»Oh, ja. Viel besser. Das verdanke ich dir.«

»Und du schläfst heute nicht hier?«

»Nein.«

»Du kannst es mit dem Sofa versuchen«, meinte sie leise. »Damit du weißt, was ich für dich erduldet habe.«

Ich reagierte nicht sofort, und sie fügte impulsiv hinzu: »Ich möchte, daß du bleibst, Rob. Bleib!«

Ich sah sie prüfend an. Bestand die leiseste Chance, daß ihre traurigen Lieder, die Tränen in der Küche und jetzt ihr Widerstreben gegen mein Fortgehen zu bedeuten hatten, daß sie unsere, wenn auch entfernte Verwandtschaft unangenehmer fand, als sie erwartet hatte? Mir war immer klar gewesen, daß sie sich nicht mehr zurechtfinden würde, falls, sie mich jemals liebgewinnen sollte, wie ich es mir vorstellte, und es ihr nicht gleichzeitig gelang, ihr starres Vorurteil gegen unsere Verwandtschaft aufzugeben. Wenn sie sich jetzt damit auseinandersetzen mußte, durfte ich sie nicht im Stich lassen.

»Also gut«, sagte ich lächelnd, »vielen Dank. Ich bleibe. Auf dem Sofa.«

Sie wurde plötzlich sehr lebendig und gesprächig und erzählte mir mit allen Einzelheiten, wie das Rennen und das anschließende Interview im Fernsehen gewirkt hatten.

»Zu Anfang sagte er, dein Name müsse durch einen Irrtum auf der Ansagetafel erschienen sein, weil er gehört habe, daß du nicht da seist; ich begann mir schon Sorgen zu machen, ob du unterwegs zusammengebrochen sein könntest. Aber du warst natürlich dort ... und nachher saht ihr wie enge Freunde aus, er mit dem Arm um deine Schultern und du mit deinem strahlenden Lächeln. Wie hast du das nur fertiggebracht? Aber er wollte dich ärgern, nicht wahr? Ich hatte so ein Gefühl, aber das lag vielleicht daran, daß ich wußte ...« Sie verstummte plötzlich und sagte in ganz anderem, ernsten Tonfalclass="underline" »Was fängst du mit ihm an?«

Ich erzählte es ihr. Es dauerte eine Weile. Sie war entsetzt. »Das kannst du nicht tun«, sagte sie.

Ich lächelte sie an, schwieg aber.

»Er hat nicht gewußt, worauf er sich einläßt, wie er mit dir anbinden wollte.«

»Hilfst du mir?« fragte ich. Ohne ihre Hilfe ging es nicht.

»Willst du es dir nicht lieber überlegen und zur Polizei gehen?« fragte sie ernsthaft.

»Nein.«

»Aber das, was du vorhast, ist grausam.«

»Ja«, gab ich zu.

»Und kompliziert, anstrengend und teuer.«

»Ja. Rufst du für mich an?«

Sie seufzte und sagte: »Du meinst nicht, daß du nachgiebiger wirst, wenn die Schmerzen aufhören?«

»Ich bin ganz sicher«, sagte ich.

»Ich überleg’ es mir«, erwiderte sie, stand auf und räumte das Geschirr zusammen. Beim Abwaschen wollte sie sich nicht helfen lassen, also ging ich zur Staffelei, um zu sehen, woran sie den ganzen Tag gearbeitet hatte; mit ei-nigem Erstaunen sah ich, daß es ein Bild meiner Mutter am Flügel war.

Ich starrte das Bild immer noch an, als sie zurückkam.

»Es ist nicht sehr gut geworden«, meinte sie und blieb neben mir stehen. »Beim Flügel stimmt die Perspektive nicht.«

»Weiß Mutter, daß du sie malst?«

»O nein«, sagte sie.

»Wann hast du damit angefangen?«

»Gestern nachmittag«, überlegte sie.

Es blieb eine Weile still, dann sagte ich: »Es nützt dir gar nichts, dir einreden zu wollen, daß deine Gefühle für mich mütterlicher Natur sind.«

Sie zuckte überrascht zusammen.

»Ich will nicht bemuttert werden«, rief ich, »ich will eine Frau.«

»Ich kann nicht ...«:, sagte sie gepreßt.

Ich drehte mich um, weil ich das Gefühl hatte, sie zu früh gedrängt zu haben. Joanna nahm einen in Terpentin getränkten Lappen und verwischte ihre Arbeit.

»Du siehst zuviel«, sagte sie. »Mehr als ich selbst begriffen habe.«

Ich lächelte sie an, und nach einer Weile lächelte sie auch mühsam. Sie wischte sich die Finger mit dem Lappen ab und hängte ihn an die Staffelei. »Ich mach’ das mit dem Anruf«, sagte sie. »Du kannst anfangen, mit dem - was du vorhast.«

Am nächsten Vormittag, dem Montag, nahm ich mir einen Leihwagen und suchte Grant Oldfield auf.

Der starke Nachtfrost, der an diesem Tag auch keine Rennen zuließ, hatte Hecken und Bäume mit Reif überzuckert. Ich genoß die Fahrt, obwohl ich mit einem kalten Empfang rechnete. Ich hielt vor der Gartentür, ging zum Haus und läutete.

Mir war gerade aufgefallen, daß die Messingplatte frisch poliert war, als die Tür aufging und eine hübsche, dunkelhaarige junge Frau in einem grünen Wollkleid mich fragend ansah.

»Ich komme ...«, sagte ich, »ich wollte ... äh ... können Sie mir vielleicht sagen, wo ich Grant Oldfield finde?«

»Im Haus«, sagte sie. »Er wohnt hier. Ich bin seine Frau. Einen Moment, ich hol’ ihn gleich. Wie heißen Sie, bitte?«

»Rob Finn«, sagte ich.

»Oh«, sagte sie überrascht und lächelte freundlich. »Kommen Sie doch ‘rein. Grant wird sich so freuen!«

Ich bezweifelte es, trat aber in den schmalen Korridor. Sie schloß die Tür hinter mir. Alles war peinlich sauber; es schien nicht dasselbe Haus zu sein, in dem ich schon gewesen war. Sie führte mich zur Küche und öffnete die Tür. Auch hier strahlte alles vor Sauberkeit. Grant saß am Tisch und las die Zeitung. Er hob den Kopf, als seine Frau hereinkam, und als er mich sah, begann auch er, breit zu lächeln. Er stand auf. Er sah magerer und älter aus und schien auf undefinierbare Weise eingeschrumpft zu sein, aber er war wieder, oder würde es bald sein, ein ganzer Mann.

»Wie geht’s, Grant«, sagte ich unsicher, weil ich nicht verstand, warum sie so freundlich waren.

»Viel besser, danke«, antwortete er. »Ich bin jetzt schon vierzehn Tage zu Hause.«

»Er war im Krankenhaus«, erklärte seine Frau. »Sie haben ihn, am Tag, nachdem Sie ihn heimbrachten, eingeliefert. Dr. Parnell schrieb mir einen Brief, daß Grant krank sei und nichts dafür könne. Ich bin zurückgekommen.« Sie lächelte Gram an. »Und jetzt geht es uns wieder ordentlich. Grant hat eine Stellung. Er fängt in zwei Wochen an, als Spielwarenverkäufer.«