Ich hängte den Anorak in den Schrank.
»Ich war nur so ... froh, dich wiederzusehen«, sagte sie mit hoher Stimme.
»Fein«, meinte ich. »Kann ich mir ein paar Eier machen.«
»Wir haben Pilze für ein Omelett«, sagte sie mit fast normaler Stimme.
»Großartig«, lobte ich, als ich in die Küche ging. »Aber noch nicht geputzt, was?«
»Ach du lieber Himmel, nein«, klagte sie, ging mir nach und begann zu lächeln. Sie machte mir das Omelett, ich erzählte ihr von Buttonhook, und der peinliche Augenblick war überwunden.
Später erklärte sie mir, daß sie mich am nächsten Morgen zu dem Haus begleiten wolle.
»Nein«, sagte ich.
»Doch«, erwiderte sie hartnäckig. »Er erwartet, daß Mrs. Doris Jones ihm die Tür öffnet.«
Ich konnte sie nicht davon abbringen. »Du hast doch sicher auch nicht daran gedacht, Vorhänge an die Fenster zu hängen?« meinte sie. »Wenn er nicht allzu argwöhnisch werden soll, muß alles ganz natürlich aussehen.«
Sie holte bedruckten Bauwollstoff aus einer Schublade und zeigte ihn mir. »Den hab’ ich noch nie verwendet ... Wir können ihn so anbringen, daß er aussieht wie ein Vorhang.« Sie holte Stecknadeln und eine Schere, dann rollte sie den alten Teppich zusammen, auf dem die Staffelei stand, und nahm ein Blumenbild von der Wand.
»Wozu soll denn das gut sein?« fragte ich.
»Für die Diele natürlich. Sie muß bewohnt aussehen.«
»Okay, du Genie«, sagte ich. »Du kannst mitkommen.«
Wir legten alle Sachen, die sie mitnehmen wollte, neben die Tür und ergänzten sie noch durch zwei Pakete Würfelzucker, die große Stablampe und einen Besen.
Nach dem Kuß war mir das Sofa noch unwillkommener als vorher.
Kapitel 17
Wir machten uns früh auf den Weg und erreichten das Haus vor neun Uhr, weil allerhand zu tun war, bevor Kemp-Lore eintraf.
Ich versteckte den Wagen hinter dem Gebüsch, und wir trugen den Teppich und die anderen Sachen ins Haus. Buttonhook stand gesund und munter in ihrem Zimmer und begrüßte uns mit leisem Wiehern, als wir die Tür öffneten. Während ich das Stroh wendete und ihr frisches Heu und Wasser brachte, säuberte Joanna, fröhlich vor sich hinsummend, die Fenster an der Vorderseite des Hauses.
Der Kitt an den neuen Scheiben war hart geworden. Und nachdem ich Buttonhook versorgt hatte und Joanna ein paar Schritte zurücktrat, um das blitzende Glas zu bewundern, holte ich den Farbtopf und begann die teilweise abgeblätterte schwarze Farbe und den blassen neuen Kitt mit einer hellen grünen Haut zu überziehen. Joanna sah mir eine Weile zu, dann ging sie hinein. Sie legte den Teppich in der kleinen Diele auf, und ich hörte sie einen Nagel in die Wand schlagen, um das Bild an einer Stelle aufzuhängen, wo es keinem Besucher entging. Dann bearbeitete sie die Innenseite der Fensterscheiben, während ich draußen die Rahmen strich. Sie schnitt den Stoff in Bahnen zurecht und brachte ihn so an, daß er einem Vorhang glich.
Als wir beide fertig waren, stellten wir uns an das Gartentor und bewunderten unser Werk. Mit der frischen Farbe, den hübschen Vorhängen und dem durch die halb geöffnete Tür sichtbaren Teppich nebst Bild wirkte das Haus gemütlich und gepflegt.
»Hat es einen Namen?« fragte Joanna.
»Ich glaube nicht. Soviel ich weiß, war es immer nur als Platzwarthaus bekannt.«
»Wir sollten es >Sonnentau< nennen«, meinte sie.
»Nach dem Sieger im Grand-National-Rennen?« sagte ich erstaunt.
»Nein«, erwiderte sie ernsthaft, »nach der fleischfressenden Pflanze.«
Ich legte den Arm um ihre Taille. Sie bewegte sich nicht.
»Du bist vorsichtig, nicht wahr?« sagte sie.
»Ja, bestimmt«, versicherte ich ihr. Ich schaute auf die Uhr. Es war zwanzig Minuten vor elf Uhr.
»Wir gehen besser hinein, falls er vielleicht zu früh kommt.«
Wir gingen hinein, machten die Haustür zu und setzten uns auf den Rest des Heuballens, von wo aus wir das Gartentor im Augen behalten konnten.
Ein paar Minuten vergingen. Joanna schauderte.
»Ist dir so kalt?« fragte ich besorgt. In der Nacht hatte Frost geherrscht, und im Haus gab es natürlich keine Heizung. »Wir hätten einen Ofen mitbringen sollen.«
»Ich glaube, es liegt ebenso an den Nerven wie an der Kälte«, meinte sie.
Ich legte den Arm um ihre Schultern, sie lehnte sich an mich, und ich küßte sie auf die Wange. Ihre schwarzen Augen sahen mich ernst und gewappnet an.
»Wir sind nur ganz entfernt verwandt«, sagte ich.
Sie rührte sich nicht.
»Du brauchst dir wirklich keine Gedanken zu machen«, drängte ich.
Sie schwieg. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß, wenn ich jetzt verlor, alles zu Ende war, und ein bleierner Klumpen Verzweiflung setzte sich in meinem Magen fest.
»Niemand verbietet eine Heirat zwischen Vetter und Cousine«, sagte ich langsam. »Das Gesetz läßt sie zu, die Kirche läßt sie zu, und das wäre doch nicht der Fall, wenn da irgend etwas unmoralisch wäre.« Ich machte eine Pause, aber sie sah mich immer noch ernst an und schwieg. Ohne große Hoffnung fuhr ich fort: »Ich versteh’ dich da einfach nicht.«
»Das ist reiner Instinkt«, meinte sie. »Ich versteh’s selber nicht. Ich habe es jedenfalls immer für falsch ... und unmöglich gehalten.«
Es blieb eine Weile still.
»Ich glaube, ich schlafe heute hier im Dorf«, sagte ich, »und reite morgen mit den Pferden hinaus. Ich habe diese Woche sowieso gefaulenzt.«
Sie setzte sich auf. »Nein«, sagte sie abrupt. »Komm wieder zu mir.«
»Ich kann nicht, ich kann nicht mehr«, rief ich.
Sie stand auf, ging zum Fenster und starrte hinaus. Minuten vergingen. Dann drehte sie sich um, setzte sich auf das Fensterbrett, mit dem Rücken zum Licht, so daß ich ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte.
»Das ist ein Ultimatum, nicht wahr?« fragte sie leise. »Entweder ich heirate dich, oder du gehst für immer weg?«
»Ich stelle dir doch keine Bedingungen«, protestierte ich.
»Aber wir können so nicht weitermachen. Ich wenigstens nicht. Nicht, wenn du dir ohne jeden Zweifel darüber klar bist, daß du deine Meinung nie ändern wirst.«
»Vor dem letzten Wochenende gab es für mich überhaupt kein Problem«, sagte sie. »Du warst einfach etwas, das ich nicht haben konnte ... etwas Hübsches, aber Verbotenes. Und jetzt« - sie versuchte zu lachen - »jetzt ist es, als könnte ich nicht genug davon bekommen. Ich bin ganz durcheinander.«
»Komm her«, sagte ich. Sie kam herüber und setzte sich wieder neben mich auf den Heuballen. Ich nahm ihre Hand.
»Würdest du mich heiraten, wenn ich nicht dein Vetter wäre?«
Ich hielt den Atem an.
»Ja«, sagte sie schlicht. Ohne Vorbehalte, ohne Zögern.
Ich drehte mich zur Seite, nahm ihren Kopf in meine Hände und sah ihr in die Augen. Diesmal war nichts von Panik zu spüren. Ich küßte sie, sanft und zärtlich.
Ihre Lippen zitterten, aber ihr Körper wurde nicht starr, wich nicht instinktiv zurück, wie noch vor einer Woche. Wenn sieben Tage so viel zu ändern vermögen, was kann dann in sieben Wochen passieren? dachte ich.
Ich habe nicht verloren. Die Kälte in meinem Magen schmolz dahin. Ich setzte mich wieder auf den Heuballen, hielt Joannas Hand fest und lächelte sie an.
»Alles wird gut werden«, sagte ich. »Daß du meine Cousine bist, wird dich bald nicht mehr stören.«
Sie sah mich einen Augenblick lang verwundert an, dann zuckte es um ihre Mundwinkel. »Ich glaub’ dir«, flüsterte sie.
»Weil ich in meinem ganzen Leben noch keinen Menschen gesehen habe, der so entschlossen ist wie du. Das war immer schon so bei dir, es ist dir egal, was es dich kostet, wenn du erreichen willst, was du dir wünscht ... wie bei dem Rennen am letzten Samstag, und das mit dem Haus hier, und unser Zusammensein in dieser Woche ...