»Peter macht jetzt fast den ganzen Haushalt«, sagte sie und sah liebevoll zum Haus. »Das Baby sollte in einer Woche dasein. Er will nicht, daß ich mich anstrenge.«
»Er ist wirklich ein sehr rücksichtsvoller Ehemann«, meinte ich.
»Der beste auf der Welt«, sagte sie mit Nachdruck.
Wir machten uns später als vorgesehen auf den Weg nach Cheltenham, weil Peter im letzten Augenblick darauf bestand, zum Laden hinunterzufahren und einen Laib Brot zu holen, damit sich seine Frau den Gang ersparen konnte.
Die Serpentinen sausten wir viel zu schnell hinauf, aber zum Glück kam uns nichts entgegen. Jedenfalls sah es nach Glück aus, bis wir durch das Ackerland geschossen waren und langsamer fuhren, als wir uns der Einmündung in die Hauptstraße näherten. Erst dann sahen wir den Tanktransporter. Er stand quer über die Straße und versperrte uns die Durchfahrt.
Peters wütendes Hupen förderte schließlich einen einsamen Soldaten zutage, der zu uns an den Wagen trat und beruhigend meinte: »Tut mir sehr leid, Sir, aber wir suchen die Straße nach Timberley.«
»Ihr seid zu früh abgebogen. Das ist erst die nächste Seitenstraße«, brauste Peter ungeduldig auf.
»Ja, ich weiß«, meinte der Soldat. »Wir haben auch gesehen, daß wir zu früh eingebogen sind, mein Kamerad hat versucht, wieder ‘rauszukommen, aber es hat nicht geklappt, und wir sind auf der anderen Seite in die Hecke geraten. Leider sitzen wir jetzt fest«, meinte er gleichmütig. »Mein Kamerad hat sich gerade von einem Lkw mitnehmen lassen, damit er irgendwo die Kaserne anrufen kann.«
Wir stiegen beide aus, um uns zu vergewissern, aber er hatte recht. Der riesige Transporter war nahe vor der Einmündung eingeklemmt, und der Fahrer hatte sich aus dem Staub gemacht.
Blaß und mit grimmiger Miene stieg Peter wieder mit mir ein. Er mußte einen halben Kilometer zurückstoßen, bevor wir ein Gatter erreichten, wo er wenden konnte. Dann fuhren wir wieder den langen, steilen Berg hinunter, rasten durch den Ort und auf der anderen Straße wieder hinaus. Sie führte nach Süden, also fort von Cheltenham. Wir mußten einen weiten Umweg machen, um wieder in die erforderliche Richtung zu kommen. Insgesamt hatten wir mindestens zwanzig Kilometer mehr zurückzulegen.
Peter sagte ein paarmal mit verzweifelter Stimme: »Ich komm’ zu spät.« Ich wußte, daß er im ersten Rennen reiten sollte, und der Trainer, von dem er eingesetzt war, ihn gerne eine Stunde vorher im Wiegeraum sah. Die Trainer mußten mindestens eine Dreiviertelstunde vor dem Start den Namen des Jockeis melden, der ihr Pferd reiten sollte; wenn sie ein Risiko eingingen und einen Jockei anmeldeten, der noch nicht da war und dann auch nicht kam, hatte der Trainer, gleichgültig, wie plausibel seine Gründe sein mochten, Schwierigkeiten mit der Rennleitung. Peter ritt für einen Mann, der sich auf dieses Risiko grundsätzlich nicht einließ. Wenn sein Jockei eine Stunde vor dem Rennen nicht da war, nahm er sich einen Ersatzmann, und da Peter sein Jockei war, konnte man ihm das nicht verargen, weil Cloony ein Mensch war, der von Haus aus immer erst in letzter Minute auftauchte.
Wir erreichten die Rennbahn genau dreiundvierzig Minuten vor dem Beginn des ersten Rennens. Peter fuhr den Wagen auf den Parkplatz und raste los, aber er hatte noch ein schönes Stück Weg vor sich, und wir wußten beide, daß er es nicht schaffen würde. Als ich ihm langsam folgte und über den gekehrten Platz zum Wiegeraum ging, hörte ich das Knacken der großen Lautsprecher, dann begann der Sprecher die Pferde und Reiter des ersten Rennens anzukündigen. Peter Cloony war nicht unter ihnen.
Ich fand ihn im Umkleideraum auf der Bank sitzen, den Kopf in die Hände gestützt.
»Er hat nicht gewartet«, sagte er bedrückt. »Er hat nicht gewartet. Ich wußte, daß er es nicht tun würde. Ich wußte es. Er hat an meiner Stelle Ingersoll gemeldet.«
Ich hob den Kopf und sah hinüber zu Tick-Tock, der gerade seine Stiefel über die Nylonstrümpfe zog. Er trug schon den blutroten Jersey, der eigentlich Peter zugestanden hätte. Er fing meinen Blick auf, schnitt eine Grimasse und schüttelte mitfühlend den Kopf; aber er konnte nichts dafür, daß man ihm das Pferd gegeben hatte, und brauchte sich auch nicht zu entschuldigen.
Das Schlimmste war, daß Tick-Tock gewann. Ich stand neben Peter auf dem Jockeiplatz, als der rote Pullover durchs Ziel zuckte, und er gab einen erstickten Laut von sich, als wolle er in Tränen ausbrechen. Er konnte sie noch zurückhalten, aber seine Augen glänzten feucht und sein Gesicht war aschfahl.
»Macht nichts«, sagte ich verlegen. »Die Welt geht schon nicht unter.«
Es war Pech gewesen, so spät anzukommen, aber der Trainer, für den er ritt, gehörte zu den vernünftigen, wenn auch ungeduldigen Menschen, und es stand außer Frage, daß er ihn auch in Zukunft einsetzen würde. Peter ritt sogar noch am selben Nachmittag für ihn, aber das Pferd ging nicht so gut wie erwartet und lahmte am Schluß sogar. Ich sah nur noch, daß Peters Gesicht von Enttäuschung gezeichnet war, bevor ich mich fertigmachen mußte. Im Umkleideraum ging er den anderen auf die Nerven, weil er immer wieder von dem Tanktransporter erzählte.
Bei mir klappte es etwas besser. Der Neuling stürzte am Wassergraben, ging aber langsam zu Boden, so daß ich nichts Schlimmeres davontrug als Grasflecken an meinen Breeches.
Das junge Springpferd, das ich im letzten Rennen für James Axminster reiten sollte, hatte einen ebenso schlechten Ruf wie sein Stallgefährte vom vergangenen Tag, so daß ich mir nur vorgenommen hatte, das Rennen wenigstens zu Ende zu bringen. Aus irgendeinem Grund verstanden wir beide uns aber von Anfang an; zu meiner Überraschung, die wohl von allen Anwesenden geteilt wurde, übersprangen wir die letzte Hürde als Zweite und gingen auf dem ansteigenden Stück vor dem Ziel an dem ersten Pferd vorbei. Der Favorit wurde nur Vierter. Das war mein zweiter Sieg in dieser Saison und mein erster in Cheltenham; ich erntete dafür nur Totenstille.
Auf dem Sattelplatz für Sieger versuchte ich, James Axminster eine Erklärung dafür zu geben. »Es tut mir sehr leid, Sir«, sagte ich. »Ich konnte nichts mehr machen.«
Ich wußte, daß er keinen Penny auf seinen Gaul gewettet hatte, und der Eigentümer war nicht einmal zu bewegen gewesen, sich das Rennen anzusehen.
Er sah mich eine Weile nachdenklich an, und ich dachte mir, der nimmt dich so schnell nicht wieder. Manchmal ist es genauso schlimm, unerwartet zu gewinnen, wie auf einem todsicheren Favoriten zu verlieren.
Ich schnallte ab, klemmte den Sattel unter den Arm und erwartete den losbrechenden Sturm.
»Gehen Sie ‘rein und lassen Sie sich wiegen«, sagte er abrupt.
»Wenn Sie angezogen sind, möchte ich mit Ihnen sprechen.«
Als ich aus dem Umkleideraum kam, stand er unter der Tür zum Wiegeraum und unterhielt sich mit Lord Tirrold, dessen Pferd er trainierte. Sie verstummten und wandten sich mir zu, als ich näherkam, aber ich konnte ihre Gesichter nicht deutlich sehen, weil sie mit dem Rücken zum Licht standen.
»Für welchen Stall reiten Sie hauptsächlich?« fragte James Axminster.
»In erster Linie für Farmer, die ihre Pferde selber trainieren«, antwortete ich. »Ich bin bei keinem Profi-Trainer fest angestellt, war aber ein paarmal als Ersatzmann eingesetzt. Mr. Kellar hat mich auch ein paarmal brauchen können.« Und das, dachte ich ein bißchen wehmütig, ist kurz und bündig der bescheidene Eindruck, den ich bisher in der Rennwelt hervorgerufen habe.
»Ich habe ein oder zwei Trainer sagen hören«, meinte Lord Tirrold zu Axminster, »daß sie für ihre wirklich miserablen Pferde immer noch Finn bekommen.«
Axminster grinste ihn an. »Genau das, was ich heute auch getan habe, und sehen Sie sich das Ergebnis an! Wie soll ich den Eigentümer davon überzeugen, daß es für mich genauso eine Überraschung war wie für ihn, wenn er davon erfährt. Ich habe ihm oft genug erzählt, daß das Pferd nichts taugt.« Er sah mich an. »Sie haben mich schön blamiert, wissen Sie?«