Es hat auf jeden Fall gehalten, sagte Karl.
Ja, sagte Amadeus, bis zu diesem Tag, den ich denkwürdig nennen möchte. Die unbezähmbare Gundi. Der unbesiegbare Diego. Warst du eigentlich dabei, als er uns im Sängersaal die Porträt-Serie Maler malen ihre zweiten Frauen präsentierte und ich einige dieser zweiten Frauen nicht so toll fand und, als der immer belächelte Erstverheiratete, sagte: Auch die zweiten Frauen kommen in die Jahre. Und Diego sofort: Aber die dritten nicht. Und sie nimmt seine beiden Hände und küßt ihm die Fingerspitzen. Das war ein Sieg über uns alle.
Wie alt schätzt du sie?
Karl sagte: Es hat mich noch nie interessiert.
Recht hast du, sagte Amadeus, schaute auf die Uhr. Ich gebe dich deinen Studien zurück, mein Lieber, und wenn ich mich nicht ganz arg beherrsche, sage ich: Mein Liebster! Um sieben Termin beim Chefaktuar der Hypo zur Entgegennahme neuester Flüsterschätzungen. Ich versichere dich meiner nicht geringer werden könnenden Hochachtung und bleibe ganz der deine: Amadeus. Im Weggehen fing er sich noch einmal ab und sagte: Weil es, wie du wohl weißt, eines meiner Prinzipien ist, keine Gelegenheit für eine Schmeichelei ungenutzt zu lassen, sage ich dir, daß die nichts als erfolgreiche LBBW dich imitiert und auch einen Geisteswissenschaftler vornehingewählt hat, schon wieder ein Doktorphil im Gewerbe, der deine hat ja immerhin noch über Kriegsfinanzierung geschrieben, der in Stuttgart aber über Alexander den Großen. Dich kann’s freuen, gell. Lies nach bei Midas. Ganz zum Schluß bitte ich dich freundschaftlichst, mir zu helfen in einer Ungewißheit, die mich sehr verfolgt. Ich lasse dir das Problem da, du, der kühlste Denker in diesen schwülen Breiten, wirst es mir lösen. Nämlich: Findest du nicht, daß Gundi mich imitiert in ihren Sendungen? Meine Methode der Unmittelbarkeit, der Scheuklappenlosigkeit, meine hart genug erarbeitete Virtuosität der Direktheit unter allen Umständen! Ist es Verfolgungswahn meinerseits, wenn ich glaube, Gundi imitiere das in ihrem Massenmedium bis zum Plagiat? Das Problem bleibt, ich gehe. Und er drehte sich, beleibt, wie er war, eindrucksvoll elegant weg und tänzelte mehr, als er ging, davon.
Karl konnte sich jetzt damit nicht abgeben. Er mußte Gundis Satz zurückholen. Diego konnte morgens nicht aufstehen, konnte keinen Arm, kein Bein mehr bewegen, ist darüber so erschrocken, daß er sofort gekotzt hat. Und warum hast du diesen Satz nicht als Gundi-Satz erkannt? Sofort gekotzt, das ist Gundi-Stil. Immer so grell wie möglich. Wahrscheinlich ist das ganze Manöver eine Gundi-Inszenierung. Diego hat sicher gesagt: Das ist nicht nötig. Wenn ich es will, unterschreibt er. Aber Gundi hat gesagt: Sicher ist sicher. Du brichst zusammen, er unterschreibt. Diese Ausschmückung des Zustands zur Steigerung der Erbarmungswürdigkeit konnte nur der begabten Gundi einfallen. Und für Enttäuschung gibt es keinen Grund. Das jahrelange Decrescendo dieser Freundschaft ist nur nie benannt worden. Er und Diego haben es wahrgenommen, empfunden, gebilligt. Diego betrieb die Freundschaftsverminderung ziemlich unverhüllt. Wegen Gundi. Sie gehörte zur kulturellen Fraktion. Diegos engster Freund, ein Geldhändler und Aktienempfehler, nein danke. Gut, wenn er in der Liga Warren Buffett oder George Soros spielen würde, aber von Kahn und Partner in der Kardinal-Faulhaber-Straße, nein danke. Mein Gott, was für ein Illusionist! Ja, du! Du hast es doch gemerkt, Diego hat es dich doch merken lassen, daß es für ihn anstrengend wurde, dir zu begegnen wie ehedem. Jede Begegnung würzte er mit Vorwürfen. Du hast es für Besorgnis gehalten. Du hast geglaubt, er wolle dich vor etwas bewahren, wovon er nichts verstand. Plötzlich redete er trivialantikapitalistisches Zeug daher. Und zwar so, als hättest du dich von aller Gemeinsamkeit wegentwickelt. Du, der Geldverdiener schlechthin. Er bestand ja immer darauf, daß Geld nur ein Mittel zu edleren, schöneren Zwecken sei. Mit so jemandem wie mit dir konnte jemand wie er doch gar nicht befreundet sein. Er hat dich dann als NPL behandelt, mehr als ein Non Performing Loan warst du für ihn nicht mehr. Er zeigte dir, wie anstrengend es für ihn war, dir noch so zu begegnen wie früher. Daß er sich bei den täglichen Telefongesprächen schon früher nie erkundigt hat, was du gerade machtest oder nicht machtest, daran hattest du dich gewöhnt, das war eben Diego, dein Diego. Dann dieser spürbare Überdruß. Du hattest dich nicht verändert, er schon. Gundi! Die kulturelle Fraktion! Wenn er dich einlud, war immer deutlicher geworden, daß er dir eine Freude bereiten wollte. Zu ihm kommen zu dürfen war ein Geschenk. Er genoß es, der Schenkende zu sein. Diego war der bessere Mensch geworden. Dadurch, daß er dich, dein Tun und Lassen kritisierte, war er der bessere Mensch geworden. Politisch, moralisch, überhaupt. Je reicher er geworden ist, desto mehr hat er von Brüderlichkeit geredet. Die ganze Welt sollte brüderlich gestimmt sein. Bloß keine Gewalt mehr. Ach, Diego, Freund!
Vielleicht war Amadeus eingeweiht. Wenn du Karl das nächste Mal siehst, sagst du ihm, für wieviel verkauft wurde, erfahren wird er es sowieso, also am besten gleich, kurz und schmerzlos, kann Gundi gesagt haben. Hat Gundi gesagt. Und Amadeus hat mitgemacht. Im Vorbeigehen hat er Karl die Nachricht verpaßt. Causa finita.
Amadeus blieb nirgends lange. Selbst bei Empfängen verschwand er immer, sobald er sicher war, daß die, auf die es ihm ankam, ihn bemerkt hatten oder er die Meinung, die er in Umlauf setzen wollte, losgeworden war. Er war auf allen Empfängen und Konferenzen gegenwärtig.
Karl hatte Angst vor Amadeus Stengl. Daß Amadeus ihn jederzeit vernichten konnte, war sicher. Gundi hatte gesagt, wenn sie sich nicht beherrsche, sage sie: Liebster Karl, und Amadeus hat gesagt, wenn er sich nicht ganz arg beherrsche, sage er: Mein Liebster! Untersuche diesen Zusammenhang. Gundi fand Amadeus immer nur komisch. Amadeus redete über Gundi, wie man über die absolut Berühmten redet. Man läßt sie gelten und ist froh, daß man sie, da sie ja schon von allen bewundert werden, nicht auch noch bewundern muß. Sogar Mitgefühl kam vor, wenn Amadeus Gundi erwähnte. Als wäre es auch eine Last, so berühmt zu sein. Amadeus war nicht ganz so berühmt wie Gundi. Aber vielleicht prominenter als sie. Außer bei Gundi trat er in jedem Fernsehprogramm auf und war seiner saftigen Späße wegen genauso beliebt wie wegen seiner fein dosierten Bosheiten. Bei Gundi konnte er nicht auftreten, weil sie mit einigem Pathos immer wieder verkündete, Medien-Inzucht sei unanständig und langweilig und sei das einzige, was zugleich unanständig und doch langweilig sei. Außerhalb der Medien waren die beiden kompatibel, erzkompatibel sogar. Erfolg und Erfolg gesellt sich gern. Daß er heute seinen Abgang mit einer Anti-Gundi-Parade inszeniert hat, verrät schlechtes Gewissen. Er hat Gundi gehorcht, hat den Boten gespielt, aber das tut ihm leid. Das wäre, falls es so ist, sympathisch.
Zuerst war Amadeus nur der Herausgeber der Midas-Briefe gewesen, da hat er bewiesen, daß man Wirtschaftsnachrichten mit Geist und Witz verkaufen kann. Die Midas-Briefe schrieb und edierte er unter dem bedeutungsschwangeren Namen Muspilli. Jahrelang entwickelte er unter diesem Pseudonym seinen Anspruch. Erst als er dann im Fernsehen auftrat und auch eine Midas Home Page entwickelte, erfuhr man, daß Muspilli Amadeus Stengl war. Da war er schon eine Instanz. Daß er an einem Privatsender beteiligt sei, bestätigte er nicht. Die Vermutung blieb. Wenn er von einer Pressekonferenz oder von einem Ministerempfang rasch wieder verschwunden war, wurden Köpfe geschüttelt und böse Bemerkungen gemacht. Meistens sagte der, der so eine Bemerkung gemacht hatte, noch dazu: Aber ein Schatz ist er schon. Oder er sagte: Wenn es ihn nicht gäbe, müßte man ihn erfinden. Einer hatte gesagt: Er ist kein Tausendsassa, sondern ein Millionensassa. Das hielt sich. Karl sagte nie etwas über Amadeus, wenn der nicht dabei war, weil er wußte, was auch immer er sagen würde, einer, der es mitkriegte, würde es Amadeus so weitersagen, daß er Amadeus durch dieses Weitersagen einen Gefallen erwiese. Aus Tausenden solcher Leistungen besteht das, was Gesellschaft heißt. Zweifellos eine irreführende Bezeichnung. Da hatte Gundi recht. Karl befand sich mit Amadeus in einem unerklärten Krieg. Amadeus war die absolute Feindfigur. Er hatte Karl bis jetzt nicht vernichtet, weil er es noch nicht für nötig gehalten hatte. Noch waren sie befreundet. Noch streute ihm Amadeus diesen und jenen Tip hin. Karl hätte nie irgendwo zu irgendwem sagen können, er sei mit Amadeus Stengl befreundet. Amadeus dagegen erwähnte da und dort, daß er mit Karl von Kahn befreundet sei. Wenn Karl das hörte, hielt er es für eine Drohung. Morgen konnte Amadeus die Geschäftspolitik der Firma von Kahn und Partner bemitleidenswert altmodisch nennen und hinzufügen, es falle ihm nicht leicht, so etwas zu sagen, weil er doch mit Karl von Kahn befreundet sei. Daß Karls Finanzdienstleistung bis vor kurzem altmodisch war, vielleicht sogar altbacken, weil jede Spezialisierung, also wohl auch jede Profilierung fehlte, das wußte Karl selber. Aber ihm war das recht gewesen. Und hätte er nicht, einer jähen Aufwallung von Sympathie folgend, den gerade öffentlich verunglimpften Berthold Brauch als Partner aufgenommen und hätte der nicht von der European Business School in Oestrich-Winkel das Junggenie Dr. Dirk Herzig geholt und wäre der nicht seit Jahren achtzig Stunden pro Woche damit beschäftigt, bei von Kahn und Partner einen hochspezialisierten Technologiefonds aufzulegen, genannt 40plus-TFM, dann, ja dann hätte man ihn samt Firma altmodisch nennen können, aber so …