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Daß Karl von Kahn der Einstellung des großschlanken Einunddreißigjährigen rückhaltlos zugestimmt hatte, war, genau wie die Aufnahme Brauchs als Partner, eine Instinkt- oder Gefühlshandlung gewesen. Er war kein Zitatenpflücker wie sein Freund Diego, aber er lehnte sich mit Wohlbehagen in Sätze von Menschen, die er nicht nur achtete, sondern liebte. Zum Beispiel Keynes, Sir John Maynard, von dem hierzulande im Populistengewäsch nur noch das Schlagwort deficit spending übriggeblieben ist. Bei Keynes hat er gelesen: Seine Instinkte sagen ihm, was er tun soll, aber er kann jederzeit eine Theorie dazu erfinden, um die Menschen zu überzeugen, daß, was seine Instinkte raten, richtig ist.

Jetzt war er wieder halbwegs bei sich und konnte aufbrechen.

5

Wenn Anfang Mai die Abendsonne die Maximilianstraße ausleuchtet, kriegt die Protzmeile mit ihren vielen Rundbögen etwas Trauliches. Karl von Kahn fand, die Maximilianstraße sei von allen Protzmeilen, die er kannte, die liebenswürdigste. Die Brienner trumpfte doch ganz anders auf. Verglichen mit den Champs-Élysées oder der Regent Street oder dem Jungfernstieg oder der Kärntnerstraße oder gar der Fifth Avenue war die Maximilian ein Sträßlein, ein herzerwärmendes.

Wenn er von irgendeinem Punkt der Stadt zu Fuß in die Kardinal-Faulhaber-Straße ging, schaute er auf die Uhr. Vom Roma zu seinem Palais auch heute elf Minuten. Immer wenn er in die Kardinal-Faulhaber-Straße einbog, sah er in dieser von historischen Steinen flankierten Straße vor bis zum Schlachtschiff. So nannte er das Palais, von dem aus die Hypo regiert wurde. Verglichen mit den Barockmassen der Hypo, war die Seite des Montgelas-Palais, in dem Karl von Kahn sich etabliert hatte, ein klassizistisches Zierstück. Zuerst aus dem Souterrain in der Schlotthauerstraße in den ersten Stock in der Klenzestraße, dann der Umzug, der Aufstieg in das feine Quartier. Noch bevor Diego sich in der Brienner etablierte, war von Kahn und Partner schon eine Adresse in der Kardinal-Faulhaber-Straße. Wochenlang war er durch die Straßen und Gassen der innersten Innenstadt gewandert, war in jedes Gebäude, das ihn anzog, eingedrungen, hatte die Schilder studiert, bis er im Montgelas-Palais entdeckte, daß ein Anwalt, dem die Faulhaber offenbar zu ruhig war, umgezogen war an den Promenade-Platz. Der Rest war Verhandlungsmühe, Geschick und Glück.

Zwei vor halb trat Karl von Kahn ein. Frau Lenneweit sagte, nach ihm könne man die Uhr stellen.

Herr Brauch und Karl grüßten einander mit Verneigungen, die als übertriebene erkannt werden wollten. Herr Brauch hatte dieses Sichverneigen in Japan gelernt. Als er sich zum ersten Mal so vor Karl verneigte, hatte der das sofort erwidert. Nur er und Brauch verneigten sich so voreinander.

Herr Brauch fragte: Glauben Sie, Eliot Spitzer kann Warren Buffett was anhaben?

Und Karclass="underline" Was glauben Sie?

Und Brauch: Da Warren Buffett Ihr Hausgott ist und Sie ganz sicher keinen zum Hausgott werden lassen, dem ein Generalstaatsanwalt an die Ehre kann, sage ich: Spitzer kann Warren Buffett nichts anhaben.

Karl sagte: Herr Brauch, ich danke Ihnen für diesen Vertrauensbeweis.

Karl ging voraus in den Konferenzraum, der von allen Räumen der Firma der feierlich-feinste war. Olivgrüne Seidentapete, sechs grünbezogene Biedermeierstühle, die schwerer waren, als sie aussahen. Eine dunkel schimmernde Tischplatte, darüber ein Oval aus edlem Holz, an dem sechs Lampen hingen. Alles von Diego. Außer den Bildern. Die Stirnwand gehörte dem gewaltigen Neorenaissance-Bücherschrank. Auf einem der Bilder Karls Vater, gemalt im Jahr 1900, ein Bub, ein altersloser Engel in einem romantisch blusigen Hemd, verwaschengrün, in der Rechten, senkrecht gehalten, eine Trompete. Auf der gegenüberliegenden Wand das Flötenkonzert Friedrichs des Großen im Schloß Sanssouci, gemalt von Adolph Menzel, dem Original lebendigst nachgemalt von Erewein. Erewein hat wissen lassen, dieses Bild habe in der Kahnschen Familiengeschichte eine Rolle gespielt. Er forsche noch. Er werde berichten.

Frau Lenneweit bot Getränke an.

Nicht bevor der Hauptdarsteller da ist, sagte Karl so, daß es der gerade eintretende Dr. Herzig noch mitbekam. Karl dachte wieder einmal, daß er Dr. Dirk eigentlich Dr. Schlaks nennen müßte. Noch besser: Dr. Schlaksig. Wohl bekomm’s, sagte Karl und hob das Glas. Daß wir uns auch heute, ohne Alkohol zu trinken, versammeln, zeigt den Ethikstandard der Firma.

Das ist einer Ihrer feinsten Tricks, sagte Dr. Herzig. Bis jetzt war noch jeder Kunde oder Besucher, der Kunde werden wollte, von dieser als Ethik verkauften Enthaltsamkeit beeindruckt. Nichtraucherzonen gibt’s überall. Aber kein Alkohol, das wirkt vertrauensbildend.

Dann bat Karl Dr. Dirk freundlich-förmlich, mit seinem Vortrag zu beginnen.

Eigentlich trug Dr. Dirk immer denselben Anzug: nicht bemerkt werden wollendes Grau. Und seine Krawatten genauso unbemerkbar. Karl fand, es sei zu wenig, wenn die Krawatte ganz und gar durch Jacke und Hemd definiert werde. Karls Krawatten dominierten. Gelegentlich explodierten sie. Auf jeden Fall hatten sich Jacke und Hemd bei Karl den Krawatten zu fügen.

Dr. Herzigs Bubengesicht verbreiterte sich schnell zu einer parodistischen Grimasse des Selbstgenusses. Ja, sagte er, ich bin mit mir nicht unzufrieden. Übrigens, falls es die Herren noch nicht gelesen haben: Midas meldet, die LBBW hat jetzt auch einen Historiker vorne dran, Doktorarbeit über Alexander den Großen, Investmentbanking interessiere ihn mehr als historische Quellenforschung. Auf seiner ersten Pressekonferenz hat er sein Motto ausgeplaudert, sapere aude, und hat das nicht übersetzt. Amadeus Stengl sagt, damit habe Dr. Jaschinski den Wirtschaftsjournalisten das Kompliment machen wollen, soviel Latein habe jeder intus. Er, Dirk Herzig, freue sich über jeden Geisteswissenschaftler, der merkt, wo jetzt der Weltgeist wohnt beziehungsweise immer schon gewohnt hat.

Zur Sache: Er hat also in sechzehn statt in zwölf Monaten seinen TM fast auf zwanzig Millionen gebracht, und er dankt beiden Herrn für die souveräne, das heißt nie Nerven zeigende Geduld. Der nächste Fonds, den er veranstalten will, heißt wieder 40 plus, aber nicht mehr Technik München, sondern MM: Maschine München. Dr. Dirk hält den Maschinenbau für die deutsche Spezialität schlechthin. Er möchte MM auflegen, bevor er TM abschließen kann. Dann besingt er die berührungslose Meßtechnik, die Miniaturisierung der Sensoren, die Entwicklung der Thermofühler. Will man den berüchtigten Schadstoffausstoß halbieren, muß man die Sensorik vervielfachen. Schon mit einer intelligenten Drucksensorglühkerze lassen sich Emissionen reduzieren. Mit einem funkelektronischen Reifendruck-Kontrollsystem läßt sich die Reifenlebensdauer verdoppeln. Und die Zahnbürste mit Plaque-Detektor! Und das Cargobike mit der Wasserstoff-Brennzelle …