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Das war die neue Dr.-Dirk-Arie, der Ton für Vierzigjährige. In die Gewinnzone nach drei Jahren. Frühestens. Aber dann ein unaufhörlicher stürmischer Segen. Da will ich dabeisein. Da muß ich dabeisein.

So, sagte Dr. Dirk, wird dieses Angebot wirken. Für den Maschinenfonds werde er zwei Jahre brauchen.

Herr Brauch fing an, den Kopf zu schütteln. Ihm wurde Dr. Dirks Temperamentsentfaltung offenbar unheimlich. Sollte dieser Ikarus abstürzen, dann stürzte womöglich diese schöne kleine Firma ab, und schuld war er, da er den Ikarus entdeckt und hergebracht hatte.

Karl von Kahn lachte seinen Partner aus. Herr Brauch dürfe sich auf die Sensorik seines Partners, um mit Dr. Dirk zu reden, verlassen.

Dieser Dr. Dirk war tatsächlich in allem das Gegenteil von dem, was Karl von Kahn fast dreißig Jahre lang gedacht und praktiziert hatte. Dr. Dirk war, als ihn Brauch von der European Business School in Oestrich-Winkel geholt hatte, geradezu versessen auf eine Spezialität. High Technology. Damit wollte er groß werden.

Als Dr. Herzig zum ersten Mal Karl von Kahns Zimmer betrat, legte er gleich ein Dokument auf den Schreibtisch. Certified Financial Planner. Sein Titel. Er hinterlege das Dokument hier und wolle es erst zurück, wenn er seinen ersten Zwanzigmillionenfonds geschafft habe. Das war ein Auftritt! Karl hatte in seinen Bewerbungszeiten sein Diplom von der Sparkassenakademie in Bonn immer eher verschämt überreicht, im Kuvert, und hatte doch mit SEHR GUT abgeschlossen. Der stürmische Jungherr bat um zwölf Monate Zeit. Er habe berechnet, daß er ein Jahr brauche, um in einem Kreis, dessen Mittelpunkt der Marienplatz sei und dessen Radius dreißig Kilometer betrage, die jungen Firmen aufzuspüren, und zwar ausschließlich Software-Firmen, die auf Anleger warteten, um ganz schnell groß zu werden. Ganz schnell, das heiße, in drei bis fünf Jahren. Dieser Umkreis sei das Silicon Valley Europas, aber da es eben in Europa liege, dauere es etwas länger als im heiligen Land des Fortschritts, Kalifornien. Das Beste an der Firma von Kahn und Partner sei die Lage: fünf Minuten vom Marienplatz, zweite Etage in einem edlen klassizistischen Palais, und das mit Lift. Das habe ihn sofort begeistert. Das ist das Milieu, dem Leute ihr Geld gern anvertrauen. Das Durchschnittsalter der Kunden der Firma von Kahn und Partner sei sechsundsechzig Jahre. Aus dieser Zahl ergebe sich sein Handlungsbedarf. Wenn das die Herren von Kahn und Brauch auch so sähen, tant mieux. Die angestammte Kundschaft könne von Herrn von Kahn und Herrn Brauch mit den täglichen Anlegergebeten begleitet werden bis zum sanften Ende. Die Zukunft sei sein.

Immerhin stand die Branche da noch unter dem Schock des Zusammenbruchs der Technologie-Werte. Die Neue-Markt-Pleite hatte Wirkungen hinterlassen wie ein Taifun. Da kommt dieser große Junge und will nichts als Spezialisierung auf Neue Technologie. Und er und Brauch lassen ihn machen.

Dieser Dr. Dirk würde in dem verwüsteten Marktgelände der Neuen Technologie die Zukunft säen. Da war von 1997 bis 2000 der Aktienmarkt in die Höhe geschossen wie noch nie zuvor, dann drei Jahre Talfahrt und Schluß. Karl von Kahn nahm Zahlen nie ganz ernst, weder positive noch negative. Es gibt einen Branchen-Masochismus, wie es das Gegenteil gibt. Die mehr als 150 Milliarden, die da vertan worden sind, verstand er als Melodie. Für ihn eine Glücksmelodie. Er hatte diesen Neuen Markt verschlafen. In seiner wöchentlichen Kunden-Post hatte er nachträglich den Vorteil des aktiven Verschlafens von trügerischen Möglichkeiten als eine Eigenschaft erklärt, die er fast ein Talent nennen möchte. Er jedenfalls wisse sein verläßliches Zuspätkommen zu schätzen. Er kannte seine Kunden, er wußte, sie würden diese seine Eigenschaft auch zu schätzen wissen.

Daß Karl und Herr Brauch diesen großen Schlanken, aber kein bißchen Dürren fast zu bereitwillig aufgenommen hatten, war zwischen Brauch und Karl öfter besprochen worden. Karl mußte Herrn Brauch nachher doch noch erklären, warum er einfach zugestimmt hatte. Sein Beispieclass="underline" Professor Schertenleib. Dem habe er einmal geraten, für fast eine Million amerikanische Staatspapiere zu kaufen, zu einer Zeit, als die zehnjährigen US-Staatsanleihen als hoffnungslos galten. Er selber habe sich mit der gleichen Summe eingebracht. Und vierzehn Monate später waren fünfzehn Prozent Gewinn zu buchen. Man muß einfach ein Gefühl haben, das sich von Tatsachen nähren kann. Damals waren drei Viertel aller US-Staatsanleihen in japanischer Hand, die Amerikaner hätten ihre Defizite ohne die japanischen Anleihekäufe nicht finanzieren können, die Japaner wiederum verhinderten durch ihre Anleihekäufe, daß die Amerikaner ihre Auto-Exporte in die USA stören konnten, die Japaner würden also den Wert dieser Papiere pflegen. Und das taten sie.

Nicht aussprechen konnte er hier im Konferenzraum, daß es sein Gefühl war, das auf Dr. Dirk vertraute. Nichts als ein Gefühl. Eine Art Liebe. Wenn der Ikarus stürzte und er mit ihm, dann stürzten sie eben miteinander. Diese Vorstellung konnte er fast genießen. Allerdings war er, jedesmal wenn er Dr. Dirk erlebte, auch einem Anfall von Trauer ausgesetzt. Warum hat Fanny keinem Dr. Dirk begegnen können! Nirgends wird die brutale Gewalt des Zufalls so spürbar wie im Schicksal junger Frauen. Wem begegnen sie! Und wem nicht! Seine einzige Tochter war Tom begegnet. Im Tierasyl. Damit hört der Zufall schon auf. Er wollte einen Hund aus dem Asyl erlösen, sie wollte einen Hund erlösen. Dann erlösten sie zusammen einen Hund. Daß es den Tieren in der Großstadt schlechtgeht, brachte sie zusammen. Die wiedergewonnene deutsche Einheit riß beide in den Osten. Schließlich wurde daraus eine Hühnerfarm in Ribnitz-Damgarten. Ihre Hühner hatten es offenbar besser als alle Hühner der Welt. Entsprechend klein der Gewinn. Aber Tom war auch noch ehrgeizig. Er züchtete. Er wollte blinde Hühner züchten, die ertrügen damit ihr Stallschicksal konfliktlos, und das würde ihre Legequalität steigern und ihr Fleisch wäre weicher. Ins Unvorstellbare steigern, so zitierte Fanny ihren Mann, der, wenn Fanny es wieder einmal von Mecklenburg-Vorpommern nach München schaffte, nie mitkam. Er konnte seine Hühner nicht verlassen. Und das Zwillingspärchen Tanja und Sonja auch nicht. Daß die Zwillinge hatten, obwohl Karl weder in seiner noch in Henriettes Verwandtschaft je etwas von Zwillingen gehört hatte, kam ihm vor wie ein Zuchterfolg. Er wollte hoffen, Fanny sei, was man glücklich nennt. Dafür gab es einen drastischen Beweis. Tom war ein Stotterer. Und Fanny stotterte inzwischen auch. Und zwar glaubhaft. Oder sollte man sagen: authentisch. Karl wagte nie zu fragen, ob ihr das selber bewußt sei. Stottern ist nichts Schlimmes. Und für einen Hühnerfarmer in Ribnitz-Damgarten schon gar nicht. Warum soll ein Ehepaar nicht gemeinsam stottern? Karl beschloß, froh zu sein, daß Mecklenburg-Vorpommern eine Art Abgelegenheit verbürgte. Das Paar war dort wahrscheinlich keiner hämischen Neugier ausgesetzt.

Aber diesen gelenkigen, schön kontrollierten, wörterreichen und vor Zukunftsfreude geradezu leuchtenden Dr. Schlaks erleben zu müssen hieß Fanny bedauern. Das war ungerecht, anmaßend, borniert und sonst noch was. Aber es war so. Er hatte die Gründung der Hühnerfarm damals finanziert. Weitere Zuwendungen hatten sich beide verbeten. Er hatte für das Zwillingspärchen eine langfristige Anlage konstruiert. Ihre Ausbildung war, wenn nicht alles stürzte, gesichert. Aber … Schluß.

Hör deinem Dr. Dirk-Schlaks zu.

Das Einnehmende an Dr. Dirks Vortrag war eine Gegenständlichkeit, die von Meinungen unabhängig zu sein schien. Und seine Stimme ging, wenn er von seiner Sache sprach, um zwei Töne nach oben, und zwar, ohne daß eine Anstrengung oder Absicht spürbar wurde. Karl konnte nicht verhindern, daß er an Arien dachte. Rezitativ und Arie eigentlich. Aber der Text war vollkommen konkret. Ein Experte im Fraunhofer-Institut hat ihn hellhörig gemacht. In Kürze werden endlich die elektronischen Impulse im Computer durch optische Signalgeber abgelöst werden. Bei den optischen Systemen auf Laser-Basis gibt es keine Wärmeabstrahlung mehr wie in den elektronischen Verbindungen auf Kupferbasis. Pro Computer werden zehn Laser à 3 bis 5 Euro gebraucht. Pro Jahr müssen 200 Millionen Computer damit ausgerüstet werden.