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Zeigen wollte ich dir das, sagte sie und zeigte auf einen Sessel, der neben der Chaiselongue stand.

O ja, sagte Karl und kam sich gleich ein bißchen minderwertig vor, weil ihm dieses Stück nicht selber aufgefallen war.

Diegos letzter Kauf, sagte Gundi, eins Komma vier Millionen. Wieder in Paris ersteigert, im Hôtel Drouot. Eileen Gray, die Königin des Art-déco-Designs, hat sechs solche Sessel geschaffen, Fauteuils à la Sirène, 1912, in Paris. Das ist einer von ihnen. Nachher hat Diego gesagt, er wäre bis zu jedem Preis gegangen. Meinetwegen. Du verstehst. Art déco, mein Stil, mein ein und alles. Er hat sich diesen Sessel überhaupt nicht leisten können. Du kennst ihn. Seit Jahr und Tag winken auch die zuverlässigsten Kunden ab, und er kauft und kauft wie zu den besten Zeiten. Jedesmal mit einer unschlagbaren Begründung. Eileen Gray, Fauteuil à la Sirène. Für mich. Du verstehst.

Ja, sagte Karl, das ist Diego.

Eigentlich hatte er sagen wollen: Setz dich hinein in den Sirenenstuhl, schmieg deine Arme in diese ungeheuer sanft geschwungenen Lehnen, Sirene, du. Aber er stand nur und schaute und nickte. Er hätte sagen sollen: Zu hoch der Preis. Auch das sagte er nicht.

Das ist Diego, sagte sie, komm.

Gundi nahm Karl bei der Hand und führte ihn hinunter. Das schaffte sie. Hinaus fand er allein. Aber sie rief ihn noch einmal. Diesmal mit einer ganz anderen, kein bißchen gefühlsbelegten Stimme. Und sagte: Du mußt wissen, bitte, vergiß es nie, ich bin leider von allen Menschen der glücklichste. Jetzt verschwand sie wirklich. Wie auf dem Bildschirm, dachte Karl. Sie tritt auf, agiert, tritt ab. Sie ist Fernsehen durch und durch. Zu Gast bei Gundi. Gib zu, das wär’s. Gib’s nicht zu.

3

Karl und Diego sind immer wieder, wenn sie zusammen eine Gundi-Sendung angeschaut haben, bei der Vermutung angekommen, Gundi sei so erfolgreich, weil sie zeigen kann, wie sie ihren Erfolg genießt. Sie bestaunt den Erfolg und genießt ihn. Ohne Mache. Karl sagt dann: Sie schämt sich nicht, das ist es. Und Diego: Ja, sie ist göttlich unverschämt.

Schon wie sie ihre Sendung anfängt und aufhört, ist längst zum Ritual geworden. Das Studio im Arbeitslicht, also eher trüb und düster als hell. Kameramänner und — frauen stehen an ihren Kameras, sie werden von der gläsernen Regiekanzel, die man ganz hinten oben gerade noch wahrnimmt, auf ihre Positionen dirigiert. Eben das ruhige Gewusel, bevor man auf Sendung ist. Zu Gast bei Gundi kommt immer live. Gundi hat von Anfang an das volle Risiko der Live-Sendung verlangt. Dann setzt Musik ein. Die kommt einem bekannt vor. Dann doch wieder nicht. Titel laufen über den Schirm, und in die Szene schiebt sich von links nach rechts ein schwarzes Schiff. Deutlich eine Attrappe. Aber doch ein Schiff. Und an der richtigen Stelle, aber viel größer als bei jedem wirklichen Schiff, leuchtet der Name auf: Inutile Precauzione. Das Schiff ist so gewaltig, daß es die Szene füllt, obwohl es höchstens mit seinem vorderen Viertel hereinragt. Die Musik ist inzwischen sowohl groß feierlich wie unmißverständlich schräg. Auf einer schwarzen Treppe, deren Stufen mit einem schwarzen Teppich belegt sind, kommt Gundi herab. Da die schwarze Treppe vor der schwarzen Schiffswand im unaufmerksamen Bühnenlicht so gut wie unsichtbar bleibt, geht Gundi wie durch die Luft. Ihr schwarzseidener Mantel tut ein übriges. Aber er öffnet sich bei jedem Schritt und läßt Gundis Wesensfarbe Türkis sehen. Sobald sie den Studioboden erreicht, zieht sich das Schiff nach links hinaus, verschwindet. Die Kameramänner und — frauen begrüßt Gundi wie alte Bekannte. Mit ihnen zusammen schaut sie jetzt dem hinausziehenden Schiff nach, mit ihnen zusammen hört sie der Musik zu. Und lacht. Und alle um sie herum lachen mit. Dann die erste Großaufnahme. Und Gundi sagt jedesmal einen Text, der, je nach ihrer Stimmung, wehmütig gefühlvoll oder fröhlich frech mitteilt: Diese Musik ist, was ich gern wäre. Was ich zu sein versuche. Wer uns zum ersten Mal zuschaut, soll nicht lang herumrätseln. Die Ouvertüre zum Fliegenden Holländer, in einer Streichquartett-Version von Hindemith. Hindemith gab seiner Version den Titeclass="underline" Die Ouvertüre zum Fliegenden Holländer, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um sieben vom Blatt spielt. Und sagt dazu: Mich wirft diese Art von Wagner-Verehrung einfach immer wieder um. Nebenbei streichelt sie die Kameras wie liebe Tiere, nach denen sie sich seit der letzten Sendung gesehnt hat.

Sie duldet kein Publikum im Studio. Sie will mit ihrem jeweiligen Gast und mit dem Fernsehzuschauer allein sein. Und sie will immer nur einen einzigen Gast. Daß da mehrere säßen und einer nach dem anderen käme dran wie beim Friseur oder beim Zahnarzt, ist bei Gundi unvorstellbar. Sie macht auch immer wieder deutlich, daß sie nur für einen einzigen Zuschauer, eine einzige Zuschauerin agiert. Und gibt zu, daß sie sich wohl fühlt zwischen den Kameras und in dieser Szene. Aber auch wenn sie sich einmal gar nicht wohl fühlt, sagt sie das.

Dann geht sie zu ihrem Salon, der mehr als die Hälfte des Studios beansprucht. Zwei hüfthohe Vasen markieren den Eingang zum Salon. Aus jeder Vase ragen sieben weiße Lilien. Links und rechts davon sind Kraniche aus Porzellan aufgereiht, fast eine Art Zaun. Sie sind nur halb so hoch wie die Vasen. Zwischen den Vasen wartet der Butler, Mr. Sheshadri. Er wird von Gundi freundschaftlich begrüßt. Er nimmt ihr den schwarzseidenen Reisemantel ab. Von diesem Augenblick an erlischt das Arbeitslicht, keine Kameras mehr, keine Kabel, nur noch der Salon. Der schimmert. Allmählich wird einzelnes durch das Licht gewissermaßen geboren. Gundi erlebt die Geburt der Salonschönheiten mit Andacht. Und mit Zärtlichkeit. Das sind Gesten und Bewegungen, die im Augenblick entstehen. Oder eben nicht. Und wenn nicht, dann kann es sein, daß sie gleich auf das alles beherrschende Sofa zugeht und sich aufs champagnerfarbene Velours fallen läßt, nie in die Mitte, immer in die linke Hälfte, vor das linke der beiden großen rechteckigen Kissen und in Reichweite der Polsterrolle auf ihrer Seite. Alles, was weich ist, schimmert in goldenster Champagnertönung. Die Sofaschale ist aus Palisander, gerundete Ecken, aber auf dem dunklen Holz läuft ein vergoldetes Bronzeband. Egal, in welcher Stimmung Gundi ist oder welche Stimmung sie ausdrücken will, sie landet nie auf dem Sofa, ohne es mit dem Namen seines Erschaffers zu grüßen. Als wäre der selber gegenwärtig, sagt sie: Guten Abend, Jacques-Emile Ruhlmann. Je nach Laune folgt: Ich bin so froh, endlich wieder auf Ihrem paradiesischen Meisterwerk Platz nehmen zu dürfen. Oder: Heute ist dieses Sofa Asyl. Zuletzt gehen die zwei Stehlampen an: dunkle, sich verjüngende Holzsäulen, die plissierte helle Schirme tragen. Und hinter und über allem schimmert in jeden Himmel das Chryslerbuilding aus New York. Es sieht aber nicht aus wie von außen beleuchtet, sondern schimmert von innen heraus. Und das immer mehr.