»Inwiefern?«
»Insofern, als sie dich nicht nur gut leiden kann, sondern auch erklärt, Kitty werde ganz sicher deine Frau werden.«
Bei diesen Worten überzog auf einmal ein strahlendes Lächeln Ljewins Gesicht, ja es waren ihm die Tränen der Rührung ganz nahe.
»Das sagt sie?« rief er aus. »Ich habe es ja immer gesagt, daß deine Frau ein herrliches Weib ist. Nun, aber jetzt genug davon, genug!« fügte er hinzu und stand von seinem Platze auf.
»Schön, schön! Aber bleib doch sitzen!«
Jedoch zum Sitzen hatte Ljewin in diesem Augenblick keine Ruhe. Zweimal durchmaß er mit seinen festen Schritten das Zimmer wie einen Käfig und zwinkerte mit den Augen, damit die Tränen nicht zu sehen wären; dann erst setzte er sich wieder an den Tisch.
»Du mußt wissen«, sagte er, »daß das nicht nur so einfach Liebe ist. Verliebt bin ich auch sonst schon mitunter gewesen; aber dies ist etwas ganz anderes. Es ist gar nicht wie mein eigenes Gefühl, sondern als ob eine Art von äußerer Gewalt sich meiner bemächtigt hätte. Ich bin ja damals weggefahren, weil ich zu der Überzeugung gelangt war, daß diese Sache schlechterdings unmöglich sei, verstehst du, unmöglich wie ein Glück, das es auf Erden nicht gibt; aber ich habe mit mir selbst gerungen und sehe ein, daß, wenn ich dies nicht erreiche, es für mich kein Leben gibt. Und nun muß es zur Entscheidung kommen!«
»Warum bist du denn damals eigentlich abgereist?«
»Warte doch nur, warte! Ach, wie viele Gedanken jetzt auf mich einstürmen! Wie vielerlei muß ich dich noch fragen! Höre zu! Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, was für eine Wohltat du mir mit dem erwiesen hast, was du mir sagtest. Ich bin so glücklich, daß ich sogar schlecht geworden bin; denn ich habe alles andere darüber vergessen. Ich habe heute erfahren, daß mein Bruder Nikolai ... weißt du, er ist jetzt hier ... auch den habe ich ganz vergessen. Ich habe die Vorstellung, daß auch er glücklich ist. Das ist bei mir wie eine Art Irrsinn. Aber eines ist mir schrecklich. – Du hast dich ja auch verheiratet und wirst dieses Gefühl kennen. – Schrecklich ist mir das Bewußtsein, daß wir keine neuen, reinen Menschen mehr sind, daß wir schon eine Vergangenheit haben, nicht in der Liebe, sondern in der Sünde. – Und nun nähern wir uns auf einmal einem reinen, unschuldigen Wesen. Das ist ab scheulich, und darum muß man sich mit Notwendigkeit unwürdig fühlen.«
»Na, du wirst ja nicht gar so viele Sünden begangen haben.«
»Ach, trotzdem«, sagte Ljewin, »trotzdem! ›Mit Ekel schaue ich auf mein Leben zurück, das ich mit Zittern und Beben verwünsche und bitterlich beklage‹, heißt es in jenem Gebete. Ja.«
»Was ist da zu machen? Es ist in der Welt einmal nicht anders«, antwortete Stepan Arkadjewitsch.
»Es gibt nur einen Trost, wie es in dem Gebete steht, das ich immer so gern gemocht habe: ›Vergib mir nicht nach meinem Verdienst, sondern nach deiner Barmherzigkeit.‹ Auch sie kann mir nur so vergeben.«
Fußnoten
1 (frz.) trockene weiße Schminke und Toilettenwasser.
2 (frz.) Frühlingssuppe, Steinbutt mit Soße Beaumarchais, Roastbeef auf englische Art, Hühnchen mit Beifuß, gemischte Früchte.
3 (frz.) Weißgesiegelter.
11
Ljewin trank sein Glas aus, und beide schwiegen eine Weile.
»Eines muß ich dir noch mitteilen. Kennst du Wronski?« fragte Stepan Arkadjewitsch darauf seinen Freund.
»Nein, ich kenne ihn nicht. Warum fragst du?«
»Bring noch eine Flasche!« wandte sich Stepan Arkadjewitsch an den Tataren, der die Gläser wieder gefüllt hatte und sich um die beiden gerade dann zu schaffen machte, wenn seine Anwesenheit nicht erwünscht war.
»Du solltest Wronski deswegen kennen, weil er einer deiner Nebenbuhler ist.«
»Wer ist dieser Wronski?« rief Ljewin, und der kindlich-schwärmerische Ausdruck seines Gesichtes, über den sich Oblonski soeben noch gefreut hatte, verwandelte sich plötzlich in einen grimmigen, feindseligen.
»Wronski ist einer der Söhne des Grafen Kirill Iwanowitsch Wronski und einer der hervorragendsten Vertreter der Petersburger jeunesse dorée1. Ich habe ihn in Twer kennengelernt, als ich dort angestellt war und er zur Rekrutenaushebung hinkam. Er ist furchtbar reich, ein schöner Mann, hat viele gute Beziehungen, Flügeladjutant, und dabei zugleich ein sehr liebenswürdiger, guter Kerl. Aber er ist mehr als nur so ein guter Kerl. Nach dem, wie ich ihn hier kennengelernt habe, ist er ein gebildeter, sehr gescheiter Mensch; er wird es noch einmal weit bringen.«
Ljewin zog ein finsteres Gesicht und schwieg.
»Na also, der erschien hier bald nach deiner Abreise, und soviel ich weiß, ist er in Kitty bis über die Ohren verliebt, und du begreifst wohl, daß die Mutter ...«
»Entschuldige, aber ich begreife gar nichts«, sagte Ljewin mit düsterer Stirn. Und zugleich fiel ihm sein Bruder Nikolai ein und wie schlecht er selbst sei, daß er diesen hatte vergessen können.
»Halt, warte einmal!« sagte Stepan Arkadjewitsch lächelnd und berührte seine Hand. »Ich habe dir mitgeteilt, was ich weiß, und ich wiederhole: in dieser heiklen, zarten Angelegenheit sind, soweit sich dergleichen vorher beurteilen läßt, meines Erachtens die Aussichten auf deiner Seite.«
Ljewin lehnte sich auf seinem Stuhl zurück; sein Gesicht war ganz blaß geworden.
»Ich würde dir aber raten, die Sache möglichst bald zur Entscheidung zu bringen«, fuhr Oblonski fort und füllte ihm das Glas wieder.
»Nein, ich danke, ich kann nicht mehr trinken«, lehnte Ljewin ab und schob das Glas zurück. »Ich würde betrunken werden. – Nun, und du, wie geht es dir denn?« fragte er, offenbar mit dem Wunsche, das Thema zu wechseln.
»Nur noch ein Wort: auf jeden Fall rate ich dir, die Frage mit möglichster Beschleunigung ins reine zu bringen; aber heute schon davon zu reden, dazu würde ich nicht raten«, sagte Stepan Arkadjewitsch. »Mach morgen vormittag dort in der nun einmal üblichen Form einen Besuch und halte um ihre Hand an. Und Gott möge dich segnen!«
»Du wolltest mich doch immer einmal zur Jagd auf dem Lande besuchen? Komm doch in diesem Frühjahr!« erwiderte Ljewin.
Er bereute es jetzt in tiefster Seele, mit Stepan Arkadjewitsch dieses Gespräch begonnen zu haben. Sein Gefühl, ein Gefühl, das nach seiner Meinung ganz eigenartig dastand, war entweiht durch das Gespräch über die gleichen Bemühungen irgendeines Petersburger Offiziers und durch Stepan Arkadjewitschs Mutmaßungen und Ratschläge.
Stepan Arkadjewitsch lächelte. Er begriff völlig, was in Ljewins Seele vorging.
»Ich komme schon noch einmal«, antwortete er. »Ja, liebster Freund, die Weiber, das ist doch der Angelpunkt, um den sich alles dreht. Auch mir geht es schlimm, recht schlimm. Und alles kommt von den Weibern her. Sage mir doch mal ganz aufrichtig deine Meinung«, fuhr er fort – in der einen Hand hielt er eine Zigarre, die er hervorgeholt hatte, die andere Hand hatte er am Weinglase – »und gib mir einen Rat!«
»In welcher Angelegenheit denn?«
»Hör zu! Nehmen wir an, du wärest verheiratet und liebtest deine Frau, hättest aber eine Leidenschaft zu einem anderen weiblichen Wesen gefaßt ...«
»Entschuldige, aber ich verstehe durchaus nicht, wie jemand ... ebenso wie ich nicht verstehe, was mich veranlassen könnte, jetzt, da ich völlig gesättigt bin, aus einem Bäckerladen im Vorbeigehen einen Kringel zu stehlen.«