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»Bäume haben keine Seelen«, sagte Diana in ihrer nüchternen Art, »aber der Duft harziger Tannen ist natürlich wunderbar. Ich werde ein Kissen machen und es mit Tannennadeln füllen. Mach du dir doch auch eins, Anne.«

»Ich glaube, das werde ich - für meine Nickerchen. Dann würde ich bestimmt träumen, ich wäre eine Dryade oder eine Waldelfe. Aber im Augenblick bin ich rundum glücklich, Anne Shirley, die Avonlea-Lehrerin, zu sein und an diesem wunderschönen, traumhaften Tag eine Straße wie diese entlangzufahren.«

»Es ist zwar ein angenehmer Tag, aber wir haben alles andere als eine angenehme Aufgabe vor uns«, seufzte Diana. »Warum musstest du vorschlagen, dass ausgerechnet wir diese Straße abklappern, Anne? Fast alle verschrobenen Leute, die es in Avonlea gibt, wohnen entlang dieser Straße. Wahrscheinlich wird man uns behandeln, als wollten wir das Geld für uns selbst erbetteln. Es ist die schlimmste Straße von allen.«

»Deshalb gerade habe ich sie ja ausgesucht. Natürlich hätten auch Gilbert und Fred sie übernommen, wenn wir sie darum gebeten hätten. Aber verstehst du, Diana, ich fühle mich für den D.V.V. verantwortlich, weil es mein Vorschlag war, und dann habe ich gefälligst auch die unangenehmen Aufgaben zu übernehmen. Es tut mir Leid für dich, aber du brauchst kein Wort zu sagen. Ich übernehme das Reden ... Mrs Lynde sagt immer, darauf würde ich mich verstehen. Mrs Lynde weiß nicht so recht, ob sie unseren Verein unterstützen soll oder nicht. Wenn sie bedenkt, dass Mrs und Mr Allan ihn für gut befinden, neigt sie schon dazu, aber die Tatsache, dass die ersten Dorfverschönerungs-Vereine in den Staaten gegründet wurden, spricht dagegen. Also schwankt sie noch, in ihren Augen kann uns nur der Erfolg Recht geben. Priscilla will bis zu unserem nächsten Treffen ein Schreiben aufsetzen. Ich glaube, es wird gut, denn ihre Tante ist Schriftstellerin und bestimmt macht es in der ganzen Familie die Runde. Ich werde mein Lebtag nicht vergessen, wie begeistert ich war, als ich herausfand, dass Mrs Charlotte E. Morgan Priscillas Tante, ist. Ich fand es wundervoll, die Freundin eines Mädchens zu sein, dessen Tante Gefährliche Zeiten< und >Der Rosenknospen-Garten< geschrieben hat.«

»Wo wohnt Mrs Morgan?«

»In Toronto. Nächsten Sommer kommt sie auf einen Besuch auf die Insel. Priscilla will versuchen es so einzurichten, dass wir sie kennen lernen. Das wäre fast zu schön, um wahr zu sein - aber da hat man nach dem Zubettgehen etwas Schönes, was man sich ausmalen kann.«

Der D.V.V. war ins Leben gerufen. Gilbert Blythe war Vorsitzender, Fred zweiter Vorsitzender, Anne Shirley Schriftführerin und Diana Barry Schatzmeisterin. Die »Verschönerer«, wie sie sofort getauft wurden, trafen sich alle vierzehn Tage bei einem der Mitglieder zu Hause. Man hatte eingesehen, dass so spät im Jahr nicht mehr groß etwas auf die Beine gestellt werden konnte, aber sie wollten die Kampagne für den Sommer vorbereiten, Vorschläge sammeln und besprechen, Schreiben verlesen und verfassen und, wie Anne gesagt hatte, das öffentliche Interesse wecken.

Natürlich wurde einiges missbilligt und - woraufhin sich die Verschönerer nur noch eifriger ans Werk machten - ins Lächerliche gezogen. Mrs Elisha Wright etwa, so wurde berichtet, sollte gesagt haben, ein passender Name für den Verein wäre Freiers-Club. Mrs Hiram Sloane verkündete, ihr sei zu Ohren gekommen, die Verschönerer wollten alle Wegränder umpflügen und dort Geranien einsetzen. Mr Levi Boulter warnte seine Nachbarn, die Verschönerer wollten sämtliche Häuser abreißen und sie nach ihren eigenen Plänen wieder aufbauen. Mr James Spencer bat sie, sie möchten doch so freundlich sein und den Hügel, auf dem die Kirche stand, wegschaufeln. Eben Wright sagte zu Anne, er wünsche, die Verschönerer könnten den alten Josiah Sloane dazu bewegen, seinen Bart zu stutzen. Mr Lawrence Bell meinte, er würde seine Scheune weiß tünchen, wenn sie das glücklich machte, aber er wäre nicht bereit, Spitzengardinen vor die Fenster seines Kuhstalls zu hängen. Mr Major Spencer fragte Clifton Sloane, ebenfalls ein Mitglied des D.V.V., der die Milch zur Käsefabrik in Carmody fuhr, ob es wahr sei, dass im kommenden Sommer jeder seinen Milchstand von Hand bemalt haben und eine bestickte Decke darauf legen müsse.

Trotz allem - oder vielleicht auch gerade weil der Mensch nun einmal ist, wie er ist - nahm der Verein voller Elan die einzige Verschönerung, die vielleicht noch diesen Herbst bewerkstelligt werden konnte, in Angriff. Beim zweiten Treffen bei den Barrys hatte Oliver Sloane die Idee, Geld zu sammeln, um den Gemeindesaal neu decken und streichen zu lassen. Julia Bell brachte die Idee als Antrag ein mit dem unbehaglichen Gefühl, dass das nicht eben anständig war. Gilbert nahm den Antrag auf, der einstimmig verabschiedet wurde, und Anne hielt ihn feierlich im Protokoll fest. Als Nächstes musste eine Abordnung berufen werden. Gertie Pye wollte auf gar keinen Fall Julia Bell die Lorbeeren ernten lassen und schlug kühn Miss Jane Andrews als Vorsitzende vor. Nachdem dieser Antrag ebenfalls aufgenommen und verabschiedet wurde, gab Jane das Kompliment zurück, indem sie ihrerseits Gertie vorschlug, zusammen mit Gilbert, Anne, Diana und Fred Wright. Nach geheimer Beratung wurden die Routen festgelegt. Anne und Diana wurden für die Straße nach Newbridge eingeteilt, Gilbert und Fred für die White-Sands-Straße und Jane und Gertie für die Carmody-Straße.

»Weil nämlich«, erklärte Gilbert Anne, als sie zusammen durch den Geisterwald nach Hause gingen, »sämtliche Pyes an der Straße wohnen und sie geben nicht einen Cent, außer einer aus ihrem eigenen Clan bearbeitet sie.«

Am Sonntag darauf machten sich Anne und Diana auf den Weg. Sie fuhren ans Ende der Straße und klapperten dann auf dem Rückweg alle ab, wobei sie als Erstes den »Andrews-Schwestern« einen Besuch abstatteten.

»Wenn Catherine allein zu Hause ist, bekommen wir vielleicht etwas«, sagte Diana, »wenn Eliza da ist, bekommen wir nicht einen Cent.«

Eliza war zu Hause - unübersehbar - und schaute noch düsterer drein als sonst. Miss Eliza gehörte zu den Menschen, die einem den Eindruck vermitteln, dass das Leben wirklich ein Tal der Tränen ist und dass ein Lächeln, ganz zu schweigen von einem Lachen, eine wirklich sträfliche Kraftverschwendung ist. Die Andrews-Mädchen waren seit über fünfzig Jahren »Mädchen« und würden es wahrscheinlich bis ans Ende ihrer Tage auch bleiben. Catherine, so sagten die Leute, war noch kein ganz hoffnungsloser Fall, aber Eliza war eine geborene Pessimistin. Die beiden wohnten in einem kleinen braunen Haus, das in einer sonnigen Schneise von Mark Andrews’ Buchenwald lag. Eliza jammerte, dass es im Sommer unerträglich heiß im Haus wäre, aber Catherine hielt stets dagegen, dass es dafür im Winter mollig warm darin sei.

Eliza nähte eine Flickendecke, nicht weil sie eine brauchten, sondern nur aus Protest gegen die unnütze Spitzengardine, die Catherine häkelte. Eliza hörte mit gerunzelter Stirn zu, Catherine mit einem Lächeln, als die Mädchen ihr Anliegen vorbrachten. Jedes Mal wenn Eliza Catherine ansah, hörte diese für einen Moment schuldbewusst verlegen auf zu lächeln, doch im nächsten Augenblick stahl es sich wieder auf ihr Gesicht.

»Wenn ich Geld übrig hätte«, sagte Eliza grimmig, »würde ich mir einen Spaß daraus machen, es in Flammen aufgehen zu sehen. Aber nie im Leben würde ich es für diesen Saal hergeben, nicht einen Cent. Er dient nicht der Allgemeinheit — ist doch nur ein Ort, wo sich junges Volk trifft und herumtreibt, wenn es längst zu Hause im Bett liegen sollte.«

»Oh, Eliza, die jungen Leute brauchen doch ein paar Vergnügungen«, wandte Catherine ein.