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Die Zwillinge waren einander bemerkenswert unähnlich, obwohl beide blond waren. Dora hatte langes, glänzendes Haar, das nie zerzaust war. Davy dagegen hatte kurze, struppige, gelbliche Ringellöckchen, die seinen runden Kopf umrahmten. Dora hatte freundliche, sanfte haselnussbraune Augen, Davys dagegen hatten etwas elfenhaft Schelmisches und bewegten sich flink hin und her. Dora hatte eine gerade Nase, Davy eine ausgesprochene Stupsnase. Dora sah immer etwas verkniffen drein, Davys Mund dagegen umspielte stets ein Lächeln. Außerdem hatte er in einer Wange ein Grübchen, in der anderen nicht, was ihm ein liebes, ulkiges, schiefes Aussehen verlieh, wenn er lachte. Der Schalk stand ihm im Gesicht geschrieben.

»Sie gehen am besten ins Bett«, sagte Marilla, die darin momentan den einfachsten Weg sah sie loszuwerden. »Dora schläft bei mir, Davy kannst du in den Westgiebel bringen. Du hast doch keine Angst, allein zu schlafen, nicht wahr, Davy?«

»Nein, aber ich gehe noch lange nicht ins Bett«, sagte Davy vergnügt. »O doch«, war alles, was die viel geplagte Marilla dazu sagte, aber etwas in ihrem Tonfall ließ auch Davy in seinen Grundfesten erschüttern. Gehorsam trottete er mit Anne die Treppen hinauf.

»Wenn ich groß bin, werde ich als Allererstes die ganze Nacht aufbleiben, nur um zu sehen, wie das ist«, vertraute er ihr an.

Noch Jahre später erinnerte sich Marilla nicht ohne Schaudern an diese erste Woche, die sich die Zwillinge in Green Gables aufhielten. Nicht dass diese erste Woche so viel schlimmer gewesen wäre als die darauf folgenden, aber es kam ihr doch so vor, weil alles neu war. Es gab selten einmal eine Minute, in der Davy nicht etwas ausheckte oder anstellte. Aber seine erste wirklich denkwürdige Tat erfolgte zwei Tage nach seiner Ankunft - an einem Sonntagmorgen, einem schönen, warmen Tag, so dunstig und mild wie ein Tag im September. Anne machte ihn fertig für die Kirche, während Marilla sich um Dora kümmerte. Davy weigerte sich zunächst entschieden, sich das Gesicht waschen zu lassen.

»Marilla hat es erst gestern gewaschen und Mrs Wiggins hat mich am Tag der Beerdigung mit Kernseife geschruppt. Das reicht für eine Woche. Ich weiß nicht, was daran gut sein soll, so schrecklich sauber zu sein. Dreckig zu sein ist viel schöner.«

»Paul Irving wäscht sich jeden Tag, und zwar freiwillig«, sagte Anne listig.

Davy war seit wenig mehr als achtundvierzig Stunden auf Green Gables, aber Anne hatte er bereits ins Herz geschlossen und er hasste Paul Irving, auf den Anne am Tag nach Davys Ankunft voller Begeisterung ein Loblied gesungen hatte. Wenn Paul Irving sich jeden Tag wusch, dann war die Sache klar. Er, Davy Keith, würde sich auch waschen, und wenn es ihn umbrachte. Mit dieser Einstellung ließ er alles nun Folgende demütig über sich ergehen. Als es geschafft war, war er wirklich ein hübsches Kerlchen. Anne empfand fast so etwas wie Mutterstolz, als sie ihn zu der altangestammten Kirchenbank von Cuthberts führte.

Davy führte sich anfangs auch ganz manierlich auf, er war damit beschäftigt, die Jungen in Sichtweite heimlich zu mustern, und fragte sich, welcher wohl Paul Irving war. Die ersten zwei Lieder und die Lesung verliefen ohne Zwischenfall. Mr Allan sprach gerade ein Gebet, als das Drama seinen Lauf nahm.

Lauretta White saß in der Bank vor Davy. Sie hielt den Kopf leicht gesenkt. Ihr blondes Haar hing ihr in zwei langen Zöpfen auf die Schultern, dazwischen war verlockend ihr weißer Nacken zu sehen, umhüllt von einer lockeren Spitzenkrause. Lauretta war ein dickes, seelenruhiges Kind von acht Jahren, das sich vom allerersten Tag an, als ihre Mutter sie als ein Baby von sechs Monaten das erste Mal in die Kirche mitgenommen hatte, untadelig benommen hatte.

Davy steckte die Hand in die Tasche und brachte - eine Raupe zum Vorschein, eine haarige, sich windende Raupe. Marilla sah es und packte ihn, aber es war zu spät. Davy ließ die Raupe Lauretta in den Nacken fallen.

Mitten in Mr Allans Gebet ertönten gellende Schreie. Der Pfarrer hielt erschrocken inne und öffnete die Augen. Alle Köpfe gingen in die Höhe. Lauretta White hüpfte in ihrer Bank hin und her und griff sich wie rasend hinten ans Kleid.

»Ih ... Mami... Mami... ih ... tu sie weg ... ih ... hol sie raus... ih ... Mami... sie krabbelt weiter runter... iiihhh.«

Mrs White stand auf und trug mit unbewegter Miene die hysterisch schreiende und sich windende Lauretta aus der Kirche. Ihre Schreie verebbten in der Ferne und Mr Allan fuhr mit der Messe fort.

Zu Hause angekommen, steckte Marilla Davy für den Rest des Tages ins Bett. Er bekam nichts zu essen, nur nachmittags bekam er etwas Brot und Milch. Anne brachte es ihm und saß betrübt neben ihm, während er, ohne einen Anflug von Reue, mit Appetit aß. Aber Annes trauriger Blick beunruhigte ihn.

»Ich schätze«, sagte er nachdenklich, »Paul Irving hätte bestimmt nicht in der Kirche einem Mädchen eine Raupe in den Kragen gesteckt, nicht wahr?«

»Nein, ganz bestimmt nicht«, sagte Anne traurig.

»Hm, dann tut es mir jetzt irgendwie Leid«, gestand Davy. »Aber es war eine sagenhaft große Raupe. Ich hab sie beim Hineingehen auf den Kirchenstufen aufgelesen. Ich fand es schade, sie einfach da liegen zu lassen. Und sag selbst, war es nicht lustig, wie das Mädchen gekreischt hat?«

Am Dienstagnachmittag trafen sich die Frauen vom Hilfswerk auf Green Gables. Anne eilte von der Schule nach Hause, weil sie wusste, dass Marilla ihre Hilfe brauchte.

Dora, sauber und adrett in ihrem sorgfältig gestärkten weißen Kleid und ihren schwarzen Sandalen, saß bei den Frauen im Wohnzimmer. Sie antwortete zurückhaltend, wenn sie gefragt wurde, sonst hielt sie den Mund und benahm sich in jeder Beziehung wie ein Musterkind. Davy, wonnevoll dreckig, machte draußen im Hof Matschkuchen.

»Ich habe es ihm erlaubt«, erklärte Marilla verdrossen. »Ich dachte, das hält ihn davon ab, etwas Schlimmeres anzustellen. Dabei kann er sich höchstens dreckig machen. Bevor wir ihn zu uns zum Tee hereinrufen, trinken zuerst wir Tee. Dora kann bei uns bleiben, aber ich wage es einfach nicht, Davy zusammen mit all den Frauen an einen Tisch zu setzen.« Als Anne die Damen zum Tee bat, stellte sie fest, dass Dora nicht im Wohnzimmer war. Mrs Jasper Bell sagte, Davy wäre an die Verandatür gekommen und hätte sie gerufen.

Nach kurzer Beratung mit Marilla in der Küche beschlossen sie, beide Kinder später hereinzuholen.

Sie waren mit dem Tee halb fertig, als eine Jammergestalt im Esszimmer erschien. Marilla und Anne starrten sie entsetzt an, die Frauen voller Staunen. Konnte das Dora sein ... dieses schluchzende Etwas in dem durchtränkten, triefenden Kleid und Haaren, aus denen das Wasser auf Marillas teuren neuen Teppich tropfte?

»Dora, was ist passiert?«, rief Anne mit einem schuldbewussten Blick auf Mrs Jasper Bell, in deren Familie es, so sagten die Leute, nie zu solchen Unglücken kam.

»Davy wollte, dass ich über den Zaun am Schweinestall klettere«, klagte Dora unter Tränen. »Ich wollte nicht, aber er hat >Angsthase< zu mir gesagt. Dann bin ich runtergefallen. Mein ganzes Kleid war dreckig, das Schwein ist einfach über mich drübergelaufen. Mein Kleid war von oben bis unten dreckig, aber Davy hat gesagt, wenn ich mich unter die Pumpe stelle, würde er es sauber waschen. Das hab ich getan und er hat Wasser über mich darübergepumpt, aber mein Kleid ist überhaupt nicht sauberer geworden und meine schönen Strümpfe und Schuhe sind auch ganz dreckig.«

Den restlichen Nachmittag bestritt Anne die Aufwartung allein, während Marilla mit Dora nach oben ging und ihr alte Sachen anzog. Sie schnappten sich Davy und schickten ihn ohne Essen ins Bett. Am frühen Abend ging Anne zu ihm ins Zimmer und sprach ein ernstes Wort mit ihm - eine Methode, von der sie viel hielt, aufgrund der bisherigen Resultate auch nicht ganz zu Unrecht. Sie sagte, sie wäre sehr ärgerlich über sein Benehmen.