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An einem anderen Tag bat ich die Schüler, mir von ihren größten Dummheiten zu erzählen. Die älteren Schüler ließen sich nicht dazu bewegen, aber die dritte Klasse gab frank und frei Auskunft. Eliza Bell hatte das Wollgarn ihrer Tante in Brand gesteckt. Eines der Kinder fragte sie, ob sie das mit Absicht getan hätte, und sie sagte: >Nicht ganz.< Sie hätte nur ein kurzes Ende angesteckt, um zu sehen, ob es brennt, und im Nu ging das ganze Knäuel in Flammen auf. Emerson Gillis hatte zehn Cents für Süßigkeiten ausgegeben, statt sie in seine Missions-Spardose zu tun. Annetta Beils schlimmste Untat war, dass sie von den Blaubeeren gegessen hatte, die auf dem Friedhof wuchsen.

Willie White war mit seinen Sonntagshosen vom Schafstalldach gerutscht. >Aber ich wurde dafür bestraft und musste den ganzen Sommer lang zur Sonntagsschule geflickte lange Hosen anziehen, und wenn man für etwas bestraft wird, muss man es nicht bereuen<, verkündete Willie.

Ich wünschte, Du könntest ein paar von den Aufsätzen lesen - das wünsche ich so sehr, dass ich Dir ein paar abschreibe und einfach mitschicke.

Letzte Woche gab ich den Schülern der vierten Klasse die Aufgabe auf, sie sollten mir über ein beliebiges Thema einen Brief schreiben. Der Brief könne von einem Ort handeln, an dem sie einmal gewesen waren, oder von einem interessanten Erlebnis oder Menschen. Sie sollten den Brief auf richtigem Briefpapier schreiben, in einen Umschlag stecken, verschließen und ihn an mich adressieren - alles ohne jede fremde Hilfe. Letzten Freitagmorgen lag ein Stapel Briefe auf meinem Tisch und beim Durchlesen am Abend wurde mir wieder einmal klar, dass die Schule ihre leidvollen, aber auch vergnüglichen Seiten hat. Diese Briefe wiegen vieles auf. Hier nun Ned Clays Brief -Adresse, Schreibweise und Grammatik sind originalgetreu wiedergegeben:

Miss Lehrerin Shirley 

Green Gabels 

wohnh. Island Kan

Vögel

Liebe Lehrerin ich schreibe Ihnen etwas über Vögel. Vögel ist sehr nützliche Tiere, meine Katze fängt Vögel. Er heißt William, aber Pa nennt ihn tom. er istgansgestreift, und lezten Winter hat ersieh ein Ohr abgefroren, nur damit er eine gutaussehende Katze ist. Mein Onckel hat eine Katze adoptiert. Sie kam eines Tages zu sein Haus und wollte nich mehr Weggehen, und mein Onkel sagt, sie hat die meisten Leute vergessen, die sie mal gekennt hat, er lässt sie in seinem Schaukelstuhl schlafen, und meine Tante sagt, er denkt mehr an die Katze als an die Kinder, das ist nicht richtig. Wir sollten nett zu Katzen sein und ihnen frische Milch geben, aber wir sollten nicht netter zu ihnen sein als zu unsern Kindern, mehr fällt mir jetzt nicht ein, soviel als von

Edward blake Clay

St. Clair Donnell fasste sich, wie üblich, kurz und bringt die Sache auf den Punkt. Er verschwendet nie viel Worte. Ich glaube nicht, dass er aus böser Absicht sein Thema ausgewählt oder den Nachsatz hinzugefügt hat. Er hat nur keine große Phantasie und ist nicht sehr taktvoll.

Liebe Miss Shirley,

Sie haben uns die Aufgabe gestellt, über etwas Merkwürdiges zu berichten. Ich möchte über den Avonlea-Saal schreiben. Er hat zwei Türen, eine Innen-und eine Außentür. Er hat sechs Fenster und einen Schornstein. Er hat zwei Enden und zwei Seiten. Er ist blau gestrichen. Das verleiht ihm auch sein merkwürdiges Aussehen.

Er steht an der unteren Straße nach Carmody. Er ist das drittwichtigste Gebäude von Avonlea. Die anderen wichtigen sind die Kirche und die Schmiede. Man hält darin Debattierclubs ab und Lesungen und Konzerte.

Hochachtungsvoll 

Jacob Donnell

PS: Der Saal ist in einem sehr grellen Blau gestrichen.

Annetta Beils Brief war ziemlich lang, was mich überraschte, denn Aufsätze sind nicht ihre Stärke. Normalerweise fasst sie sich ebenso wie St. Clair sehr kurz.

Annetta ist ein ruhiges Mädchen und ein Musterbeispiel an gutem Benehmen, aber sie besitzt nicht die Spur Originalität. Hier nun ihr Brief:

Liebste Lehrerin,

ich schreibe Ihnen, um Ihnen zu sagen, wie sehr ich Sie liebe. Ich liebe Sie von ganzem Herzen, ganzer Seele und mit all meinen Gedanken - so sehr, wie ich jemanden nur lieben kann -, und ich möchte auf ewig die Ihre sein. Das wäre mir die höchste Ehre. Deswegen strenge ich mich in der Schule auch so an und lerne meine Hausaufgaben.

Sie sind so schön, meine liebe Lehrerin. Ihre Stimme ist wie Musik und Ihre Augen wie mit Tau bedeckte Stiefmütterchen. Sie sind wie eine große würdevolle Königin. Ihr Haar ist wie dahinßießendes Gold. Anthony Pye sagt, es ist rot, aber Sie brauchen auf Anthony nicht zu hören.

Ich kenne Sie erst seit ein paar Monaten, aber ich kann mir die Zeit ohne Sie nicht mehr vorstellen - eine Zeit, als Sie noch nicht in mein Leben getreten waren und es beglückt und verschönt haben. Ich werde stets auf dieses Jahr als das wundervollste in meinem Leben zurückblicken, weil es mir Sie gebracht hat. Außerdem ist es das Jahr, in dem wir von Newbridge nach Avonlea gezogen sind. Meine Liebe zu Ihnen hat mein Leben sehr bereichert und mich von vielem Bösen abgehalten. Ich habe dies alles nur Ihnen zu verdanken, meine liebste Lehrerin.

Ich werde nie vergessen, wie süß Sie letztens in dem schwarzen Kleid und mit den Blumen im Haar ausgesehen haben. So werde ich Sie immer vor mir sehen, auch wenn wir beide alt und grau sind. Für mich bleiben Sie ewig jung und hübsch, liebste Lehrerin. Ich denke die ganze Zeit an Sie... ob am Morgen, am Mittag oder am Abend. Ich liebe Sie, wenn Sie lachen und wenn Sie seufzen - und auch, wenn Sie verärgert dreinschauen. Ich habe Sie nie ärgerlich gesehen, obwohl Anthony Pye sagt, Sie würden ständig ärgerlich aussehen, aber mich wundert nicht, dass Sie ihn ärgerlich anschauen, denn er verdient es. Ich liebe Sie, gleichgültig, welches Kleid Sie anhaben ... Sie sehen in jedem neuen nur noch entzückender aus.

Liebste Lehrerin, gute Nacht. Die Sonne ist untergegangen und die Sterne leuchten - Sterne, so strahlend und schön wie Ihre Augen. Ich küsse Ihre Hände und Ihr Gesicht, meine Liebe. Möge Gott Sie beschützen und Sie vor allem Unglück bewahren.

Ihre Sie liebende Schülerin 

Annetta Bell

Dieser ungewöhnliche Brief verwirrte mich einigermaßen. Ich wusste, dass sie, so wenig wie sie fliegen kann, diese Zeilen geschrieben hatte. Tags darauf in der Schule nahm ich sie in der Pause mit auf einen Spaziergang an den Bach und bat sie, mir die Wahrheit zu sagen. Annetta begann zu weinen und gab freimütig alles zu. Sie hätte noch nie einen Brief geschrieben und wüsste nicht, wie das ginge und was sie schreiben solle, aber in der obersten Schreibtischschublade ihrer Mutter läge ein Bündel Liebesbriefe von einem ihrer früheren Verehren.

»Sie stammen nicht von meinem Vater«, schluchzte Annetta, »sie stammen von einem, der studierte und Pfarrer werden wollte. Daher verstand er sich auch darauf, so reizende Briefe zu schreiben, aber Ma hat ihn schließlich doch nicht geheiratet. Sie sagt, sie wäre nicht aus ihm schlau geworden. Aber ich fand die Briefe schön. Deshalb habe ich einfach hier und da ein paar Stellen abgeschrieben und an Sie geschickt. Wo >Dame< stand, habe ich >Lehrerin< eingesetzt, und ein paar Wörter habe ich ausgetauscht. Für >Stimmung< habe ich >Kleid< eingesetzt. Ich wusste nicht genau, was >Stimmung< bedeutet, aber ich dachte, es wäre was zum Anziehen. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie den Unterschied kennen. Ich verstehe nicht, wie Sie herausgefunden haben, dass nicht alles von mir stammt. Sie müssen ganz schön klug sein.«