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»Mir ist gerade etwas Furchtbares zu Ohren gekommen. Stellt euch vor! Mr Judson Parker will seinen gesamten Zaun längs der Straße an eine allseits bekannte Arzneimittelfirma vermieten, die Reklame darauf malen will.«

Dieses eine Mal erregte Gertie Pye das Aufsehen, das sie sich wünschte. Hätte sie eine Bombe unter die Verschönerer geworfen, sie hätte kein größeres Aufsehen erregen können.

»Das darf nicht wahr sein!«, sagte Anne fassungslos.

»Genau das habe ich auch gesagt, als ich es hörte, ja.«, sagte Gertie, die sich ungemein gefiel. »Ich sagte, das darf doch nicht wahr sein .. .Judson Parker kann doch nicht die Stirn haben, das zu tun, ja! Aber mein Vater hat ihn heute Nachmittag getroffen und ihn danach gefragt und er sagte, es wäre wahr. Denkt nur! Seine Farm liegt direkt an der Newbridge-Straße, und wie scheußlich, den ganzen Weg entlang auf Pillen und Pflästerchen zu schauen, könnt ihr euch das vorstellen?«

Die Verschönerer konnten sich das nur zu gut vorstellen. Selbst der Phantasieloseste konnte sich den grotesken Anblick eines eine halbe Meile langen Bretterzauns vorstellen, den solche Reklame zierte. Angesichts dieser neuen Gefahr war jeder Gedanke an Kirche und Schule wie weggeblasen. Jede parlamentarische Regel und Vorschrift wurde über Bord geworfen und Anne gab verzweifelt jeden Versuch auf Protokoll zu führen. Alle redeten zugleich und es gab ein fürchterliches Durcheinander.

»Jetzt regt euch nicht so auf«, flehte Anne, die am aufgeregtesten von allen war. »Wir kennen doch Judson Parker. Für Geld würde er alles tun. Er hat nicht einen Funken Gemeinsinn oder Sinn für Schönheit.« Die Aussichten waren nicht eben viel versprechend. Judson Parker und seine Schwester waren die einzigen Parkers in Avonlea, also konnte man auch keine Familienbeziehungen spielen lassen. Martha Parker war eine Dame in vorgerücktem Alter, der die jungen Leute im Allgemeinen und die Verschönerer im Besonderen missfielen. Judson war ein jovialer, schmeichlerischer, stets gleichbleibend freundlicher Mann, sodass man verwundert war, wie wenig Freunde er hatte. Vielleicht hatte er die Leute schon zu oft übers Ohr gehauen - was sich selten günstig auf die Beliebtheit auswirkt. Er galt als »gewieft« und als »ein Mann ohne Grundsätze«.

»Wenn Judson Parker die Gelegenheit hat, >ehrlich sein Geld zu verdienen<, wie er es selbst nennt, dann lässt er sich das nicht entgehen«, verkündete Fred Wright.

»Gibt es niemanden, der Einfluss auf ihn hat?«, fragte Anne verzweifelt.

»Er macht Louisa Spencer von White Sands den Hof.«, sagte Carrie Sloane. »Vielleicht kann sie ihn überreden, den Zaun nicht zu vermieten.«

»Die nicht«, sagte Gilbert nachdrücklich. »Dafür kenne ich Louisa Spencer zu gut. Sie hält nichts von Dorfverschönerungs-Vereinen, aber sie hält viel von Dollars und Cents. Sie würde Judson eher noch dazu drängen, als ihm abzuraten.«

»Dann können wir nur eine Abordnung einsetzen, die ihm einen Besuch abstattet und Protest anmeldet«, sagte Julia Bell. »Und zwar müssen Mädchen zu ihm geschickt werden, denn Jungen gegenüber würde er sich kaum freundlich zeigen - aber ich gehe nicht hin, also braucht mich gar nicht erst jemand vorzuschlagen.«

»Dann schicken wir besser Anne allein hin«, sagte Oliver Sloane. »Wenn er sich überhaupt überreden lässt, dann von ihr.«

Anne protestierte. Sie war bereit hinzugehen und das Reden zu übernehmen. Aber »zur moralischen Unterstützung« müssten andere mitkommen. Man entschied sich für Diana und Jane als moralische Stützen. Die Verschönerer beendeten die Sitzung und schwirrten empört auseinander wie verärgerte Bienen.

Anne machte sich so viel Gedanken, dass sie erst am frühen Morgen einschlief. Dann träumte sie, dass die Schulbehörde einen Zaun um die Schule errichtet und überall »Nehmen Sie unsere Purpur-Pillen« darauf gemalt hatte.

Die Abordnung ging am nächsten Tag zu Judson Parker. Anne brachte überzeugende Argumente gegen sein schändliches Vorhaben vor und Jane und Diana leisteten ihr tapfer moralische Schützenhilfe. Judson war aalglatt, verbindlich, schmeichlerisch, er machte ihnen Komplimente so schön wie Sonnenblumen; es tue ihm wirklich Leid, solch bezaubernde junge Damen abzuweisen . . . aber Geschäft sei Geschäft, er könne es sich nicht leisten, in diesen schlechten Zeiten Rücksicht auf Gefühle zu nehmen.

»Aber eines werde ich tun«, sagte er mit einem Funkeln in seinen hellen Augen. »Ich mache dem Agenten zur Auflage, dass er nur schöne, geschmackvolle Farben verwenden darf - Rot und Gelb und so. Ich sage ihm, dass er die Reklame auf keinen Fall in Blau malen lassen darf.«

Die geschlagene Abordnung zog sich zurück und hatte unrechtmäßige Gedanken, die man besser nicht ausspricht.

»Wir haben getan, was in unseren Kräften stand. Alles andere könnten wir nur Gott überlassen«, sagte Jane und ahmte dabei unbewusst Mrs Lyndes Tonfall und Gebaren nach.

»Vielleicht könnte Mr Allan etwas erreichen«, überlegte Diana.

Anne schüttelte den Kopf.

»Nein, es hat keinen Zweck, Mr Allan damit zu behelligen, vor allem jetzt, wo das Baby so krank ist. Judson würde sich ihm genauso aalglatt entwinden wie uns, obwohl er in letzter Zeit ziemlich regelmäßig in die Kirche geht. Aber das tut er nur, weil Louisa Spencers Vater Kirchenältester und in diesen Dingen sehr heikel ist.«

»Judson Parker ist der Einzige in ganz Avonlea, dem auch nur im Traum einfallen konnte, seinen Zaun zu vermieten«, sagte Jane entrüstet. »Nicht einmal Levi Boulter oder Lorenzo Wright würden sich dazu hergeben, so geizig sie auch sind. Sie hätten zu großen Respekt vor der öffentlichen Meinung.«

Die Öffentlichkeit fiel in der Tat über Judson Parker her, als es sich herumsprach, aber das änderte auch nicht viel an der Sache. Judson lachte sich ins Fäustchen und strafte sie mit Verachtung. Die Verschönerer freundeten sich schon mit dem Gedanken an, dass der schönste Abschnitt der Newbridge-Straße von Reklame verunstaltet wurde - da stand Anne mitten in der Versammlung ruhig auf und verkündete, dass Judson Parker ihr aufgetragen habe, den Verein darüber in Kenntnis zu setzen, dass er den Zaun nicht an die Arzneimittelfirma vermieten werde.

Jane und Diana schauten, als könnten sie ihren Ohren nicht trauen. Die parlamentarischen Spielregeln, die beim D.W. immer striktestens eingehalten wurden, untersagten ihnen, sofort neugierig Fragen zu stellen. Aber nachdem der Verein sich vertagt hatte, wurde Anne stürmisch um Erklärungen angegangen. Anne hatte keine Erklärung. Judson Parker hatte sie am Abend zuvor auf der Straße überholt und ihr mitgeteilt, er wäre genau wie der D.V.V. entschieden gegen jede Arzneimittelreklame. Das war alles, was Anne jetzt und auch später dazu sagen konnte und es war schlicht die Wahrheit. Als Jane Andrews auf dem Nachhauseweg Oliver Sloane erklärte, sie sei fest davon überzeugt, dass hinter Judson Parkers geheimnisvollem Sinneswandel nichts weiter steckte, als Anne offenbart habe, sagte auch sie die Wahrheit.

Anne hatte am Abend zuvor einen Besuch bei der alten Mrs Irving unten an der Uferstraße gemacht. Auf dem Rückweg hatte sie eine Abkürzung genommen, die sie zunächst über die tief gelegenen Uferfelder und dann durch den Buchenwald unterhalb von Robert Dickinsons Anwesen geführt hatte, über einen kleinen Fußweg, der genau oberhalb des Sees der glitzernden Wasser - phantasielosen Leuten als Barrys Teich bekannt - in die Hauptstraße mündete.

Zwei Männer in ihren Kutschen kamen vorbei, lenkten die Pferde an die Straßenseite, genau vor der Einmündung in den Weg. Der eine war Judson Parker, der andere Jerry Corcoran, ein Mann aus Newbridge, dem, wie Mrs Lynde es in beredten Worten ausgedrückt haben würde, noch nie etwas Zweifelhaftes nachgewiesen worden war. Er handelte mit landwirtschaftlichen Geräten und war eine prominente politische Persönlichkeit. Er hatte den Finger - manche behaupteten alle Finger - in jeder politischen Angelegenheit, die gerade ausgekocht wurde. Da Kanada am Abend vor der Wahl stand, war Jerry Corcoran ein seit Wochen viel beschäftigter Mann gewesen, der auf Stimmenwerbung für die Kandidaten seiner Partei durch den Wahlkreis gezogen war.