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Die Mädchen waren hungrig und hätten dankbar egal was angenommen. Sie ließen sich Miss Sarahs ausgezeichnete Butterbrote und die Gurken schmecken. Als sie fertig gegessen hatten, sagte Miss Sarah: »Ich will die Servierplatte schon verkaufen. Aber sie ist fünfundzwanzig Dollar wert. Es ist nämlich eine sehr alte Servierplatte.«

Diana stieß Anne unter dem Tisch sanft mit dem Fuß, was bedeutete: »Stimme nicht zu! Sie überlässt sie dir für zwanzig, wenn du sie hinhältst.« Aber Anne wollte wegen der kostbaren Platte kein Risiko eingehen. Sie war mit fünfundzwanzig Dollar sofort einverstanden. Miss Sarah sah aus, als täte es ihr Leid, nicht dreißig verlangt zu haben.

»Nun, ich denke, du kannst sie haben. Das Geld hätte ich gern gleich. Denn«, Miss Sarah hob bedeutungsvoll den Kopf, mit vor Stolz roten Wangen, »ich werde heiraten, und zwar Luther Wallace. Er wollte mich schon vor zwanzig Jahren zur Frau. Ich mochte ihn wirklich gern, aber damals war er arm und mein Vater hat ihn weggeschickt. Ich hätte ihn wirklich nicht so widerspruchslos gehen lassen sollen, aber ich war schüchtern und hatte Angst vor meinem Vater. Außerdem hatte ich keine Ahnung, dass Männer eine so heikle Angelegenheit sind.«

Als die Mädchen in sicherer Entfernung waren - Diana fuhr, Anne hielt die heiß begehrte Platte sorgsam auf dem Schoß - war auf der vom Regen erfrischten einsamen Tory-Straße das immer wieder anschwellende Lachen der Mädchen zu hören.

»Morgen werde ich deine Tante Josephine mit dem denkwürdigen Ereignis< dieses Nachmittags amüsieren. Das war ganz schön anstrengend, aber jetzt ist es überstanden. Ich habe die Platte bekommen und der Regen hat den Staub gelöscht. Also: Ende gut, alles gut.«

»Wir sind noch nicht zu Hause«, sagte Diana düster. »Wer weiß, was bis dahin noch alles passieren kann. Dir passieren laufend irgendwelche Missgeschicke, Anne.«

»Bei manchen Leuten ist das eben so«, sagte Anne heiter. »Entweder man hat die Gabe oder man hat sie nicht.«

19 - Ein rundum traumhafter Tag

»Eigentlich sind die schönsten und herrlichsten Tage nicht die, an denen etwas Großartiges, Wundervolles oder Aufregendes geschieht, sondern die, die einem still und leise ein paar kleine Freuden bringen, wie Perlen, die von einer Schnur gleiten«, hatte Anne einmal zu Marilla gesagt.

Das Leben auf Green Gables bescherte ihr viele solcher Tage, denn Annes Erlebnisse und Missgeschicke geschahen nicht alle auf einmal, sondern waren wie bei jedem anderen auch über das Jahr verteilt. Dazwischen gab es unbeschwerte Tage, erfüllt mit Arbeit, Träumen, Lachen und Lernen. Genau so einen Tag gab es gegen Ende August. Am Vormittag ruderten Anne und Diana mit den begeisterten Zwillingen übers Meer zu den Dünen, um »Ruchgras« zu pflücken und in der Brandung zu planschen, über die hinweg der Wind ein uraltes Harfenlied aus den Anfängen der Erde spielte.

Am Nachmittag ging Anne hinunter zu den Irvings, um Paul zu besuchen. Er lag ausgestreckt auf dem grasbedeckten Wall neben dem dichten Tannenwald, der an der Nordseite dem Haus Schutz bot, und war in ein Märchenbuch vertieft. Als er Anne bemerkte, sprang er freudestrahlend auf.

»Schön, dass Sie kommen«, begrüßte er sie ungeduldig. »Großmutter ist nämlich nicht da. Sie bleiben doch zum Tee? Es ist so einsam, ganz allein Tee zu trinken. Sie verstehen schon. Ich habe ernsthaft überlegt, ob ich Mary Joe frage, ob sie mir Gesellschaft leistet, aber Großmutter wäre das nicht recht. Sie sagt, diese Franzosen müssen die Schranken gewiesen bekommen. Und überhaupt man kann sich nicht gut mit ihr unterhalten. Sie kichert immer nur und so was stelle ich mir nicht unter einer Unterhaltung vor.«

»Ich bleibe gern zum Tee«, sagte Anne fröhlich. »Ich habe mir sehnlichst gewünscht, dazu eingeladen zu werden. Seit ich einmal hier zu Besuch war, läuft mir bei dem Gedanken an den Butterkuchen von deiner Großmutter jedes Mal das Wasser im Mund zusammen.«

Paul verzog keine Miene.

»Wenn es nach mir ginge«, sagte er, steckte die Hände in die Taschen und sah Anne plötzlich bekümmert an, »könnten Sie liebend gern Butterkuchen bekommen. Aber es geht nach Mary Joe. Großmutter hat zu ihr gesagt, ehe sie fortging, sie solle mir keinen Kuchen geben, er läge kleinen Jungen zu schwer im Magen. Aber vielleicht schneidet Mary Joe Ihnen ein Stück ab, wenn Sie versprechen, dass ich nichts davon abbekomme. Hoffen wir das Beste.«

»Ja«, stimmte Anne zu, »und wenn Maryjoe hartherzig bleibt und mir keinen Butterkuchen gibt, macht das auch nichts. Also brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen.«

»Es macht Ihnen bestimmt nichts aus?«, fragte Paul besorgt. »Überhaupt gar nichts, mein Herz.«

»Dann zerbreche ich mir nicht den Kopf«, sagte Paul und holte vor Erleichterung tief Luft. »Maryjoe lässt sich bestimmt nicht erweichen. Nicht dass sie von Natur aus so vernünftig wäre, aber sie weiß aus Erfahrung, dass man sich Großmutters Anordnungen besser nicht widersetzt. Großmutter ist prima, wenn man tut, was sie sagt. Sie hatte heute Morgen ihre helle Freude an mir, weil ich endlich einen ganzen Teller voll Porridge aufgegessen habe. Es war eine Riesenanstrengung, aber es hat geklappt. Großmutter meint, sie schafft es doch noch, einen Mann aus mir zu machen, ich muss Sie etwas Wichtiges fragen. Sie werden ehrlich antworten, ja?«

»Ich werde es versuchen«, versprach Anne.

»Meinen Sie, ich wäre nicht ganz richtig im Kopf?«, fragte Paul, so als hinge sein Leben von ihrer Antwort ab.

»Du meine Güte, Paul«, rief Anne erstaunt. »Natürlich bist du das. Wer hat dich denn darauf gebracht?«

»Mary Joe, aber sie weiß nicht, dass ich es mitbekommen habe. Gestern Abend hat Mrs Peter Sloanes Mädchen, Veronica, Mary Joe besucht. Als ich über den Flur ging, habe ich gehört, wie sie sich in der Küche unterhielten. Mary Joe sagte: >Dieser Paul ist der merkwürdigste Junge der Welt. Er redet so eigenartiges Zeug. Ich glaube, er ist nicht ganz richtig im Kopf.< Ich konnte deswegen heute Nacht lange nicht einschlafen und habe mich gefragt, ob Mary Joe Recht hat. Großmutter mag ich nicht fragen. Da habe ich beschlossen, Sie zu fragen. Ich bin ja so froh, dass Sie meinen, ich ticke doch richtig.«

»Natürlich tust du das, Mary Joe ist ein albernes dummes Mädchen. Du brauchst dir über ihr Geschwätz keine Gedanken zu machen«, sagte Anne entrüstet und beschloss Mrs Irving heimlich einen Wink zu geben, Mary Joe täte gut daran, ihre Zunge im Zaum zu halten. »Da fällt mir ein Stein vom Herzen«, sagte Paul. »Jetzt bin ich rundum glücklich — dank Ihnen. Es wäre nicht gerade schön, nicht ganz richtig im Kopf zu sein, nicht wahr? Ich glaube, Mary Joe kommt darauf, weil ich ihr manchmal erzähle, was ich so denke.«

»Das ist allerdings eine gefährliche Angewohnheit«, stimmte Anne aus ureigenster Erfahrung zu.

»Ich erzähle Ihnen nachher, was ich Mary Joe erzählt habe. Dann können Sie selbst urteilen, ob es merkwürdige Geschichten sind«, sagte Paul. »Aber ich warte damit, bis es dunkel wird. Dann kann ich es immer kaum noch aushalten und muss erzählen. Wenn niemand sonst da ist, muss ich sie eben Mary Joe erzählen. Aber ab jetzt werde ich das nicht mehr tun, wo sie mich für nicht ganz richtig im Kopf hält.«

»Wenn du es gar nicht mehr aushalten kannst, kommst du nach Green Gables und erzählst sie mir«, schlug Anne in vollem Ernst vor, weshalb die Kinder, die so gern ernst genommen sein wollen, sie auch ins Herz schlossen.

»Ja, aber hoffentlich ist Davy nicht da, wenn ich komme, weil er mir immer Grimassen schneidet. Sehr viel macht es mir nicht aus, weil er noch so klein ist und ich schon größer bin, aber schön ist es auch nicht. Und was für Grimassen er einem schneidet! Manchmal habe ich Angst, sein Gesicht bleibt so verzerrt. Er schneidet mir auch immer in der Kirche Grimassen, wo ich eigentlich an fromme Dinge denken sollte. Dora kann ich gut leiden, sie mich auch. Aber ich kann sie nicht mehr so gut leiden wie früher, weil sie zu Minnie May Barry gesagt hat, dass sie mich heiraten will, wenn ich groß bin. Vielleicht heirate ich ja mal, aber jetzt bin ich noch viel zu jung dazu, um mir darüber Gedanken zu machen, finden Sie nicht auch?«