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27 - Ein Nachmittag im Steinhaus

»Du hast dich so fein gemacht, Anne, wohin gehst du?«, wollte Davy wissen. »Das Kleid steht dir mordsmäßig gut.«

Anne war in einem blassgrünen Musselinkleid zum Mittagessen heruntergekommen - es war das erste Mal nach Matthews Tod, dass sie ein farbiges Kleid trug. Es passte gut zu ihr und brachte die feinen, blumengleichen Farbtöne ihres Gesichts und den Glanz und Schimmer ihres Haars voll zur Geltung.

»Davy, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst das Wort nicht gebrauchen«, ermahnte sie ihn. »Ich gehe nach Echo Lodge.«

»Nimm mich mit«, bettelte Davy.

»Wenn ich fahren würde, würde ich dich mitnehmen. Aber ich gehe zu Fuß und für deine kurzen Beine ist der Weg zu weit. Außerdem kommt Paul mit. Das würde dir sowieso alles vermiesen.«

»Oh, ich kann Paul schon viel besser leiden«, sagte Davy und begann fürchterlich in seinem Pudding herumzustochern. »Seit ich mich gebessert habe, macht es mir nichts mehr aus, dass er noch viel besser ist. Wenn ich durchhalte, hole ich ihn eines Tages ein, sowohl in der Beinlänge als auch im Bravsein. Übrigens ist Paul sehr nett zu uns Jungen aus der zweiten Klasse. Er lässt nicht zu, dass die großenjungen sich mit uns anlegen, und er zeigt uns viele Spiele.«

»Wie kam es, dass Paul gestern Mittag in den Bach gefallen ist?«, fragte Anne. »Er stand tropfnass auf dem Schulhof. Ich habe ihn gleich nach Hause geschickt, damit er sich trockene Sachen anzieht, ohne nachzufragen, wie es passiert ist.«

»Naja, teils war es ein Versehen«, erklärte Davy. »Den Kopf hat er absichtlich hineingesteckt, aber ganz hineingefallen ist er versehentlieh. Wir waren alle unten am Bach. Prillie Rogerson war wegen irgendwas ganz rasend auf Paul. Sie ist sowieso gemein und fies und wenn sie noch so hübsch ist. Sie sagte, seine Großmutter würde ihm jeden Abend die Haare mit Lockenwickler aufdrehen. Paul machte sich nichts daraus. Aber Gracie Andrews fing an zu lachen, da lief Paul rot an. Weil Gracie seine Freundin ist, wisst ihr. Er ist total in sie verschossen - bringt ihr Blumen mit und trägt die ganze Uferstraße lang die Bücher für sie. Er bekam eine knallrote Rübe und sagte, das stimme nicht, er wäre mit Locken auf die Welt gekommen. Dann legte er sich aufs Ufer und steckte den Kopf ins Wasser, damit sie es selbst sehen konnten. Oh, nicht an der Quelle, aus der wir trinken«, sagte er, als er Marillas entsetzten Blick sah, »an der kleineren weiter unten. Das Ufer ist sehr glitschig. Paul landete direkt im Wasser. Ich kann euch sagen, das gab einen mordsmäßigen Platscher! Oh, Anne, Anne, das wollte ich nicht sagen ... es ist mir nur so herausgerutscht. Das gab einen phantastischen Platscher! Er sah furchtbar komisch aus, als er herauskletterte, er war triefnass und voller Schlamm. Die Mädchen konnten sich nicht mehr halten vor Lachen, bis auf Gracie. Ihr tat es Leid. Gracie ist nett, aber sie hat eine Stupsnase. Wenn ich groß genug bin, um eine Freundin zu haben, will ich keine mit einer Stupsnase. Ich suche mir eine, die eine genauso schöne Nase hat wie du, Anne.«

»Einen jungen, der sich beim Puddingessen das Gesicht mit Sirup bekleckert, den sehen Mädchen nicht einmal an«, sagte Marilla streng. »Bevor ich mir eine Freundin suche, wasche ich mir das Gesicht«, wandte Davy ein und versuchte die Flecken abzuwischen, indem er sich mit dem Handrücken übers Gesicht rieb. »Ich wasch mir auch die Ohren, ohne dass man es mir sagen muss. Heute Morgen hab ich auch daran gedacht, Marilla. Ich vergesse es nur mehr halb so oft wie früher. Aber«, seufzte Davy, »man hat so viele versteckte Ecken an sich, dass man fast nicht an alle denken kann. Also, wenn ich nicht mit zu Miss Lavendar darf, gehe ich Mr Harrison besuchen. Mrs Harrison ist furchtbar nett, kann ich euch sagen. In der Speisekammer hat sie für kleine Jungen ein Glas mit Bonbons stehen. Außerdem darf ich immer die Reste aus der Schüssel kratzen, in der sie Pflaumenkuchen zubereitet. An den Seiten kleben immer noch ganz viele Pflaumen, müsst ihr wissen. Mr Harrison war auch immer nett, aber seit er wieder verheiratet ist, ist er noch mal so nett. Heiraten macht die Leute scheint’s netter. Warum heiratest du nicht, Marilla? Das will ich wissen.«

Dass sie nicht verheiratet war, war nie ein heikles Thema für Marilla gewesen. Also antwortete sie liebenswürdig, wobei sie mit Anne viel sagende Blicke austauschte, das läge wohl daran, dass niemand sie hätte heiraten wollen.

»Vielleicht hast du ja auch nie jemanden gefragt, ob er dich heiraten will«,wandte Davy ein.

»Oh, Davy«, sagte Dora artig, die vor Schock etwas sagte, ohne dass sie gefragt worden war, »der Mann muss einen fragen.«

»Warum immer die Männer«, brummte Davy. »Als ob alles auf der Welt die Männer erledigen müssen. Kann ich noch etwas Pudding haben, Marilla?«

»Du hast schon mehr als genug gehabt«, sagte Marilla, aber sie gab ihm noch eine bescheidene Portion.

»Ich wollte, man könnte sich von Pudding ernähren. Warum eigentlich nicht, Marilla? Das will ich wissen.«

»Weil man bald keinen Pudding mehr sehen könnte.«

»Das würde ich gern ausprobieren«, sagte Davy zweifelnd. »Aber immer noch besser an Festtagen und wenn Besuch da ist, Pudding zu bekommen als gar nicht. Bei Milty Boulter gibt’s nie welchen. Milty sagt, wenn Freunde ihn besuchen, gibt seine Mutter ihnen Käse, den sie selbst aufschneidet. Eine Scheibe für jeden und eine extra für gutes Benehmen.«

»Wenn Milty Boulter so von seiner Mutter spricht, brauchst du es ihm noch lang nicht nachzumachen«, sagte Marilla scharf.

»Du meine Güte«, - den Ausdruck hatte Davy von Mr Harrison und benutzte ihn mit Vorliebe -, »Milty hat es als Komplott gemeint. Er ist schrecklich stolz auf seine Mutter, weil alle sagen, sie könnte auf dem Trockenen sitzen und würde trotzdem was zu essen beschaffen.«

»Die verflixten Hühner sind doch schon wieder in meinem Stiefmütterchenbeet«, sagte Marilla, stand auf und ging schnell hinaus.

Die verflixten Hühner waren nicht im Stiefmütterchenbeet. Marilla warf nicht einmal einen Blick hin. Stattdessen setzte sie sich auf die Kellerklappe und lachte, bis sie sich über sich selbst schämte.

Als Anne und Paul am Nachmittag beim Steinhaus ankamen, waren Miss Lavendar und Charlotta die Vierte im Garten. Sie jäteten, rechten, schnitten und stutzten zurecht, als ginge es ums liebe Leben. Miss Lavendar, die kess und hübsch aussah in ihren geliebten Rüschen und Spitzen, ließ die Gartenschere fallen und lief freudig ihrem Besuch entgegen. Charlotta die Vierte grinste fröhlich. »Willkommen, Anne. Ahnte ich es doch, dass du heute kommst. Du machst diesen Nachmittag komplett. Dinge, die zusammengehören, kommen auch zusammen. Welchen Ärger sich manche ersparen könnten, wenn ihnen das klar wäre. Aber sie wissen es nicht und verschwenden viel Energie darauf, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, um zusammengehörige Dinge zusammenzubringen. Und du, Paul... nanu, bist du groß geworden! Du bist um einen halben Kopf gewachsen, seit du das letzte Mal hier warst.«

»Ja, ich schieße in die Höhe wie Gänsefuß bei Nacht, wie Mrs Lynde immer sagt«, sagte Paul ehrlich erfreut über die Tatsache. »Großmutter sagt, das Porridge wirke endlich. Vielleicht stimmt es. Weiß der Himmel«, Paul seufzte tief, »ich habe so viel davon gegessen, dass es jeden zum Wachsen bringen würde. Hoffentlich wachse ich jetzt so lange weiter, bis ich so groß bin wie mein Vater. Er ist über einen Meter achtzig groß, wissen Sie, Miss Lavendar.«

Ja, das wusste Miss Lavendar. Ihre hübschen Wangen wurden noch ein wenig röter. Sie nahm Paul an die eine und Anne an die andere Hand und ging schweigend aufs Haus zu.

»Ist heute ein guter Tag für die Echos, Miss Lavendar?«, fragte Paul gespannt. Bei seinem ersten Besuch war Paul sehr enttäuscht gewesen, weil es zu windig gewesen war.

»Ja, der beste Tag überhaupt«, antwortete Miss Lavendar und riss sich aus ihren Träumen. »Aber zuallererst gehen wir hinein und essen etwas. Ihr zwei seid den ganzen Weg hierher gelaufen und seid bestimmt hungrig. Charlotta die Vierte und ich könnten Tag und Nacht essen - wir haben mächtig Appetit. Wir plündern schnell einmal die Speisekammer. Zum Glück ist sie hübsch voll. Ich hatte so eine Ahnung, dass ich heute Besuch bekommen würde. Charlotta die Vierte und ich haben dafür gesorgt.«