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»Ich unternahm gerade den bescheidenen Versuch, ein Bad zu nehmen«, sagte ich, »sollte das vertragswidrig sein?«

»Ihr Humor kann nur Galgenhumor sein«, sagte er.

»Wo ist der Strick«, sagte ich, »baumelt er schon?«

»Lassen wir die Symbolik«, sagte er, »reden wir über die Sache.«

»Ich habe nicht mit Symbolen angefangen«, sagte ich.

»Egal, wer von was angefangen hat«, sagte er, »Sie scheinen also fest entschlossen, künstlerisch Selbstmord zu begehen. «

»Lieber Herr Zohnerer«, sagte ich leise, »würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie Ihr Gesicht etwas vom Hörer abwendeten — ich krieg Ihren Bieratem so unmittelbar ins Gesicht.«

Er fluchte in Rotwelsch vor sich hin: »Knordenpuppe, Faikenegon«, lachte dann: »Ihre Frechheit scheint ungebrochen. Wovon sprachen wir noch?«

»Von Kunst«, sagte ich, »aber wenn ich bitten dürfte: reden wir lieber übers Geschäft.«

»Dann hätten wir kaum noch miteinander zu reden«, sagte er, »hören Sie, ich gebe Sie nicht auf. Verstehen Sie mich?«

Ich konnte vor Erstaunen nicht antworten. »Wir ziehen Sie für ein halbes Jahr aus dem Verkehr, und dann baue ich Sie wieder auf. Ich hoffe, dieser Schleimscheißer in Bochum hat Sie nicht ernsthaft getroffen?«

»Doch«, sagte ich, »er hat mich betrogen — um eine Flasche Schnaps und das, was eine Fahrt erster Klasse nach Bonn mehr kostet als zweiter.«

»Es war Schwachsinn von Ihnen, sich das Honorar herunterhandeln zu lassen. Vertrag ist Vertrag — und durch den Unfall ist Ihr Versagen erklärt.«

»Zohnerer«, sagte ich leise, »sind Sie wirklich so menschlich oder...«

»Quatsch«, sagte er, »ich habe Sie gern. Falls Sie das noch nicht bemerkt haben, sind Sie blöder, als ich dachte, und außerdem, in Ihnen steckt geschäftlich noch was drin. Lassen Sie doch diese kindische Sauferei.«

Er hatte recht. Kindisch war der richtige Ausdruck dafür.

Ich sagte: »Es hat mir aber geholfen.«

»Wobei?« fragte er. »Seelisch«, sagte ich.

»Quatsch«, sagte er, »lassen Sie doch die Seele aus dem Spiel. Wir könnten natürlich Mainz wegen Vertragsbruchs verklagen und würden wahrscheinlich gewinnen — aber ich rate ab. Ein halbes Jahr Pause — und ich baue Sie wieder auf.«

»Und wovon soll ich leben?« fragte ich. »Na«, sagte er, »ein bißchen wird Ihr Vater doch rausrücken.«

»Und wenn ers nicht tut?«

»Dann suchen Sie sich eine nette Freundin, die Sie so lange aushält.«

»Ich würde lieber tingeln gehen«, sagte ich, »über Dörfer und Städtchen, mit dem Fahrrad.«

»Sie täuschen sich«, sagte er, »auch in Dörfern und Städtchen werden Zeitungen gelesen, und im Augenblick werde ich Sie nicht für zwanzig Mark den Abend an Jünglingsvereine los.«

»Haben Sie's versucht?« fragte ich.

»Ja«, sagte er, »ich habe den ganzen Tag Ihretwegen telefoniert. Nichts zu machen. Es gibt nichts Deprimierenderes für die Leute als einen Clown, der Mitleid erregt. Das ist wie ein Kellner, der im Rollstuhl kommt und Ihnen Bier bringt. Sie machen sich Illusionen.« »Sie nicht?« fragte ich. Er schwieg, und ich sagte: »Ich meine, wenn Sie annehmen, nach einem halben Jahr könnte ichs wieder probieren.«

»Vielleicht«, sagte er, »aber es ist die einzige Chance. Besser wäre, ein ganzes Jahr warten.«

»Ein Jahr«, sagte ich, »wissen Sie, wie lange ein Jahr dauert?«

»Dreihundertfünfundsechzig Tage«, sagte er, und er wendete mir wieder rücksichtslos sein Gesicht zu. Der Bieratem ekelte mich an.

»Wenn ichs unter einem anderen Namen versuchte«, sagte ich, »mit einer neuen Nase und anderen Nummern. Lieder zur Guitarre und ein bißchen Jonglieren.«

»Quatsch«, sagte er, »Ihre Singerei ist zum Heulen und Ihr Jonglieren ist purer Dilettantismus. Alles Quatsch. Sie haben das Zeug zu einem ganz guten Clown, vielleicht sogar zu einem guten, und melden Sie sich nicht wieder bei mir, ehe Sie nicht mindestens ein Vierteljahr lang täglich acht Stunden trainiert haben. Ich komme dann und schau mir Ihre neuen Nummern an — oder alte, aber trainieren Sie, lassen Sie die blöde Sauferei.« Ich schwieg. Ich hörte ihn keuchen, an seiner Zigarette ziehen.

»Suchen Sie sich wieder so eine treue Seele«, sagte er, »wie das Mädchen, das mit Ihnen gereist ist.«

»Treue Seele«, sagte ich.

»Ja«, sagte er, »alles andere ist Quatsch. Und bilden Sie sich nicht ein, Sie könnten ohne mich fertig werden und in miesen Vereinen herumtingeln. Das geht drei Wochen gut, Schnier, da können Sie bei Feuerwehrjubiläen ein bißchen Unsinn machen und mit dem Hut rumgehen. Sobald ichs erfahre, schnüre ich Ihnen das alles ab.«

»Sie Hund«, sagte ich.

»Ja«, sagte er, »ich bin der beste Hund, den Sie finden können, und wenn Sie anfangen, auf eigne Faust tingeln zu gehen, sind Sie in spätestens zwei Monaten vollkommen erledigt. Ich kenn das Geschäft. Hören Sie?«

Ich schwieg.

»Ob Sie hören?« fragte er leise.

»Ja«, sagte ich.

»Ich habe Sie gern. Schnier«, sagte er, »ich habe gut mit Ihnen gearbeitet — sonst würde ich nicht ein so kostspieliges Telefongespräch mit Ihnen führen.«

»Es ist sieben vorbei«, sagte ich, »und der Spaß kostet Sie schätzungsweise zwei Mark fünfzig.«

»Ja«, sagte er, »vielleicht drei Mark, aber im Augenblick würde kein Agent so viel an Sie legen. Also: in einem Vierteljahr und mit mindestens sechs tadellosen Nummern. Quetschen Sie aus Ihrem Alten soviel raus, wie Sie können. Tschüs.«

Er hing tatsächlich ein. Ich hielt den Hörer noch in der Hand, hörte das Tuten, wartete, legte nach langem Zögern erst auf. Er hatte mich schon ein paar Mal beschwindelt, aber nie belogen. Zu einer Zeit, wo ich wahrscheinlich zweihundertfünfzig Mark pro Abend wert gewesen wäre, hatte er mir Hundertachtzigmarkverträge besorgt — und wahrscheinlich ganz nett an mir verdient. Erst als ich aufgelegt hatte, wurde mir klar, daß er der erste war, mit dem ich gern noch länger telefoniert hätte. Er sollte mir irgendeine andere Chance geben — als ein halbes Jahr warten. Vielleicht gab es eine Artistengruppe, die jemand wie mich brauchte, ich war nicht schwer, schwindelfrei und konnte nach einigem Training ganz gut ein bißchen Akrobatik mitmachen, oder mit einem anderen Clown zusammen Sketche einstudieren. Marie hatte immer gesagt, ich brauche ein »Gegenüber«, dann würden mir die Nummern nicht so langweilig. Zohnerer hatte bestimmt noch nicht alle Möglichkeiten bedacht. Ich beschloß, ihn später anzurufen, ging ins Badezimmer zurück, warf den Bademantel ab, die übrigen Kleider in die Ecke und stieg in die Wanne. Ein warmes Bad ist fast so schön wie Schlaf. Unterwegs hatte ich immer, auch als wir noch wenig Geld hatten, Zimmer mit Bad genommen. Marie hatte immer gesagt, für diese Verschwendung sei meine Herkunft verantwortlich, aber das stimmt nicht. Zu Hause waren sie mit warmem Badewasser so geizig gewesen wie mit allem anderen. Kalt duschen, das durften wir jederzeit, aber ein warmes Bad galt auch zu Hause als Verschwendung, und nicht einmal Anna, die sonst ein paar Augen zudrückte, war in diesem Punkt umzustimmen gewesen. In ihrem I.R.9 hatte offenbar ein warmes Wannenbad als eine Art Todsünde gegolten.

Auch in der Badewanne fehlte mir Marie. Sie hatte mir manchmal vorgelesen, wenn ich in der Wanne lag, vom Bett aus, einmal aus dem Alten Testament die ganze Geschichte von Salomon und der Königin von Saba, ein anderes Mal den Kampf der Machabäer, und hin und wieder aus Schau heimwärts, Engel von Thomas Wolfe. Jetzt lag ich vollkommen verlassen in dieser dummen, rostroten Badewanne, das Badezimmer war schwarzgekachelt, aber Wanne, Seifenschale, Duschengriff und Klobrille waren rostfarben. Mir fehlte Maries Stimme. Wenn ich es mir überlegte, konnte sie nicht einmal mit Züpfner in der Bibel lesen, ohne sich wie eine Verräterin oder Hure vorzukommen. Sie würde an das Hotel in Düsseldorf denken müssen, wo sie mir von Salomon und der Königin von Saba vorgelesen hatte, bis ich in der Wanne vor Erschöpfung einschlief. Die grünen Teppiche in dem Hotelzimmer, Maries dunkles Haar, ihre Stimme, dann brachte sie mir eine brennende Zigarette, und ich küßte sie.