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»Schnier«, sagte er matt, »ich bin erstaunt, wieviel Sie über die Sache nachgedacht haben.«

»Erstaunt«, schrie ich, »Sie sollten erstaunt sein über die gedankenlosen Hunde, die ihre Frauen einfach als rechtmäßigen Besitz betrachten. Fragen Sie Monika Silvs, was ich den Mädchen damals darüber gesagt habe. Seitdem ich weiß, daß ich männlichen Geschlechts bin, habe ich fast über nichts so sehr nachgedacht — und das erstaunt Sie?«

»Ihnen fehlt jede, aber auch die geringste Vorstellung von Recht und Gesetz. Diese Dinge – wie kompliziert sie auch sein mögen — müssen doch geregelt werden.«

»Ja«, sagte ich, »von euren Regeln habe ich ein bißchen mitbekommen. Ihr schiebt die Natur auf ein Gleis, das Ihr Ehebruch nennt — wenn die Natur in die Ehe einbricht, bekommt Ihr es mit der Angst zu tun. Gebeichtet, verziehen, gesündigt — und so weiter. Alles gesetzlich geregelt.«

Er lachte. Sein Lachen klang gemein. »Schnier«, sagte er, »ich merke schon, was mit Ihnen los ist. Offenbar sind Sie so monogam wie ein Esel.«

»Sie verstehen nicht einmal etwas von Zoologie«, sagte ich, »geschweige denn vom homo sapiens. Esel sind gar nicht monogam, obwohl sie fromm aussehen. Bei Eseln herrscht vollkommene Promiskuität. Raben sind monogam, Stichlinge, Dohlen und manchmal Nashörner. «

»Marie offenbar nicht«, sagte er. Er mußte wohl gemerkt haben, wie mich dieser kleine Satz traf, denn er fuhr leise fort: »Tut mir leid, Schnier, ich hätte es Ihnen gern erspart, glauben Sie mir das?«

Ich schwieg. Ich spuckte den brennenden Zigarettenstummel auf den Teppich, sah, wie die Glut sich verteilte, kleine, schwarze Löcher brannte. »Schnier«, rief er flehend, »glauben Sie mir wenigstens, daß ichs Ihnen nicht gern sage.«

»Ist es nicht gleichgültig«, sagte ich, »was ich Ihnen glaube? Aber bitte: ich glaubs Ihnen.«

»Sie sprachen eben soviel von Natur«, sagte er, »Sie hätten ihrer Natur folgen, hinter Marie herreisen und um sie kämpfen sollen.«

»Kämpfen«, sagte ich, »wo steht das Wort in euren verdammten Ehegesetzen.«

»Es war keine Ehe, was Sie mit Fräulein Derkum führten.«

»Gut«, sagte ich, »meinetwegen. Keine Ehe. Ich habe fast jeden Tag mit ihr zu telefonieren versucht und ihr jeden Tag geschrieben.«

»Ich weiß«, sagte er, »ich weiß. Jetzt ist es zu spät.«

»Jetzt bleibt wohl nur der offene Ehebruch«, sagte ich.

»Sie sind dessen unfähig«, sagte er, »ich kenne Sie besser als Sie glauben, und Sie mögen schimpfen und mir drohen, soviel Sie wollen, ich sags Ihnen, das Schreckliche an Ihnen ist, daß Sie ein unschuldiger, fast möchte ich sagen, reiner Mensch sind. Kann ich Ihnen helfen... ich meine...«

Er schwieg.

»Sie meinen mit Geld«, fragte ich.

»Auch das«, sagte er, »aber ich meinte beruflich.«

»Ich komme vielleicht drauf zurück«, sagte ich, »auf beides, das Geld und das Berufliche. Wo ist sie denn?« Ich hörte ihn atmen, und in der Stille roch ich zum erstenmal etwas: ein mildes Rasierwasser, ein bißchen Rotwein, auch Zigarre, aber schwach. »Sie sind nach Rom gefahren«, sagte er.

»Flitterwochen, wie?« fragte ich heiser.

»So nennt man's«, sagte er.

»Damit die Hurerei komplett wird«, sagte ich. Ich legte auf, ohne ihm Danke oder auf Wiedersehen zu sagen. Ich blickte auf die schwarzen Pünktchen, die die Zigarettenglut in den Teppich gebrannt hatte, aber ich war zu müde, drauf zu treten und sie ganz zum Verlöschen zu bringen. Mir war kalt, und das Knie schmerzte. Ich war zu lange in der Badewanne gewesen.

Mit mir hatte Marie nicht nach Rom fahren wollen. Sie war rot geworden, als ich ihr das vorschlug, sie sagte: Italien ja, aber Rom nicht, und als ich sie fragte, warum nicht, fragte sie: Weißt Du's wirklich nicht? Nein, sagte ich, und sie hatte es mir nicht gesagt. Ich wäre gern mit ihr nach Rom gefahren, um den Papst zu sehen. Ich glaube, ich hätte sogar auf dem Petersplatz stundenlang gewartet, in die Hände geklatscht und Evviva gerufen, wenn er ans Fenster gekommen wäre. Als ich das Marie erklärte, wurde sie fast wütend. Sie sagte, sie fände es »irgendwie pervers«, daß ein Agnostiker wie ich dem Heiligen Vater zujubeln möchte. Sie war richtig eifersüchtig. Ich habe das oft bei Katholiken bemerkt: sie hüten ihre Schätze — die Sakramente, den Papst — wie Geizhälse. Außerdem sind sie die eingebildetste Menschengruppe, die ich kenne. Sie bilden sich auf alles was ein: auf das, was stark an ihrer Kirche, auf das, was schwach an ihr ist, und sie erwarten von jedem, den sie für halbwegs intelligent halten, daß er bald konvertiert. Vielleicht war Marie deshalb nicht mit mir nach Rom gefahren, weil sie sich dort ihres sündigen Zusammenlebens mit mir besonders hätte schämen müssen. In manchen Dingen war sie naiv, und sehr intelligent war sie nicht. Es war gemein von ihr, jetzt mit Züpfner dorthin zu fahren. Sicher würden sie eine Audienz bekommen, und der arme Papst, der sie mit Meine Tochter und Züpfner mit Mein guter Sohn anreden würde, würde nicht ahnen, daß ein unzüchtiges und ehebrecherisches Paar vor ihm kniete. Vielleicht war sie auch mit Züpfner nach Rom gefahren, weil sie dort nichts an mich erinnerte. Wir waren in Neapel, Venedig und Florenz gewesen, in Paris und in London, und in vielen deutschen Städten. In Rom konnte sie vor Erinnerungen sicher sein, und sicher hatte sie dort ausreichend »katholische Luft«. Ich nahm mir vor, Sommerwild doch noch anzurufen und ihm zu sagen, daß ich es besonders schäbig von ihm fände, mich wegen meiner monogamen Veranlagung zu verspotten. Aber fast alle gebildeten Katholiken haben diesen gemeinen Zug, entweder hocken sie sich hinter ihren Schutzwall aus Dogmen, werfen mit aus Dogmen zurechtgehauenen Prinzipien um sich, aber wenn man sie ernsthaft konfrontiert mit ihren »unerschütterlichen Wahrheiten«, lächeln sie und beziehen sich auf »die menschliche Natur«. Notfalls setzen sie ein mokantes Lächeln auf, als wenn sie gerade beim Papst gewesen wären und der ihnen ein Stückchen Unfehlbarkeit mitgegeben hätte. Jedenfalls, wenn man anfängt, ihre kaltblütig verkündeten ungeheuerlichen Wahrheiten ganz ernst zu nehmen, ist man entweder ein »Protestant« oder humorlos. Redet man ernsthaft mit ihnen über die Ehe, fahren sie ihren Heinrich den Achten auf, mit dieser Kanone schießen sie schon seit dreihundert Jahren, damit wollen sie kundtun, wie hart ihre Kirche ist, aber wenn sie kundtun wollen, wie weich sie ist, welch ein großes Herz sie hat, kommen sie mit Besewitz-Anekdoten, erzählen Bischofswitze, aber nur unter »Eingeweihten«, worunter sie — ob sie sich links oder rechts fühlen, spielt dann keine Rolle mehr — »gebildet und intelligent« verstehen. Als ich Sommerwild damals aufforderte, doch die Prälatenstory mit Besewitz einmal von der Kanzel herunter zu erzählen, wurde er wütend. Von der Kanzel herunter schießen sie, wenn es um Mann und Frau geht, immer nur mit ihrer Hauptkanone: Heinrich dem Achten. Ein Königreich für eine Ehe! Das Recht! Das Gesetz! Das Dogma! Mir wurde übel, aus verschiedenen Gründen, körperlich, weil ich seit dem elenden Frühstück in Bochum außer Kognak und Zigaretten nichts zu mir genommen hatte — seelisch, weil ich mir vorstellte, wie Züpfner in einem römischen Hotel Marie beim Ankleiden zusah.

Wahrscheinlich würde er auch in ihrer Wäsche kramen. Diese korrekt gescheitelten, intelligenten, gerechten und gebildeten Katholiken brauchen barmherzige Frauen. Marie war für Züpfner nicht die richtige. Einer wie er, der immer tadellos angezogen ist, modisch genug, um nicht altmodisch, und doch nicht so modisch, um dandyhaft zu wirken; und einer, der sich morgens ausgiebig mit kaltem Wasser wäscht und sich mit einem Eifer die Zähne putzt, als gelte es einen Rekord zu gewinnen — für ihn ist Marie nicht intelligent genug und auch eine viel zu eifrige Morgentoilettemacherin. Er ist der Typ, der sich, bevor er zum Papst ins Audienzzimmer geführt wird, noch rasch mit dem Taschentuch über die Schuhe fahren würde. Mir tat auch der Papst leid, vor dem die beiden knien würden. Er würde gütig lächeln und sich herzlich freuen über dieses hübsche, sympathische, katholische deutsche Paar — und wieder einmal betrogen sein. Er konnte ja nicht ahnen, daß er zwei Ehebrechern seinen Segen erteilte.

Ich ging ins Badezimmer, frottierte mich, zog mich wieder an, ging in die Küche und setzte Wasser auf. Monika hatte an alles gedacht. Streichhölzer lagen auf dem Gasherd, gemahlener Kaffee stand da in einer luftdichten Dose, Filterpapier daneben, Schinken, Eier, Büchsengemüse im Eisschrank. Ich mache Küchenarbeit nur dann gern, wenn sie die einzige Chance ist, bestimmten Formen der Erwachsenengesprächigkeit zu entfliehen. Wenn Sommerwild von »Eros« anfängt, Blothert sein Ka... Ka... Kanzler ausspuckt oder Fredebeul einen geschickt kompilierten Vortrag über Cocteau hält — dann allerdings gehe ich lieber in die Küche, drücke Mayonnaise aus Tuben, halbiere Oliven und streiche Leberwurst auf Brötchen. Wenn ich allein in der Küche für mich etwas anrichten will, fühle ich mich verloren. Meine Hände werden ungeschickt vor Einsamkeit, und die Notwendigkeit, eine Büchse zu öffnen, Eier in die Pfanne zu schlagen, versetzt mich in tiefe Melancholie. Ich bin kein Junggeselle. Wenn Marie krank war oder arbeiten ging — sie hatte eine Zeitlang in Köln in einem Papierwarenladen gearbeitet —, machte es mir nicht soviel aus, in der Küche zu arbeiten, und als sie die erste Fehlgeburt hatte, hatte ich sogar die Bettwäsche gewaschen, bevor unsere Wirtin aus dem Kino nach Hause kam.