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Wolfgang Hohlbein

Anubis

Roman

Copyright © 2004 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. Bergisch Gladbach KG

Textredaktion: Helmut W. Pesch

Satz: Dörlemann Satz, Lemförde

Gesetzt aus der Goudy

Druck und Einband: Ebner & Spiegel GmbH, Ulm

Printed in Germany

ISBN 3-7857-2178-1

Das Buch

Mogens VanAndt ist gestrandet als Professor an einem drittklassigen College in einem kleinen Ort in Massachusetts. Eines Tages erhält er Besuch von einem alten Studienkollegen, Jonathan Graves, mit dem ihn ein dunkles Geheimnis verbindet - jener Schatten in seiner Vergangenheit, der seine wissenschaftliche Karriere zerstört hat.

Eigentlich will Mogens mit dem Freund von einst nichts mehr zu tun haben, doch dieser macht ihm ein schier unwiderstehliches Angebot. Es gehe um eine wirklich große Entdeckung, vielleicht die wichtigste in der modernen Archäologie. Und außerdem drückt er ihm fünfhundert Dollar und eine Fahrkarte nach Kalifornien in die Hand - nur damit Mogens sich den Fund einmal ansieht.

Mogens kann der Versuchung nicht widerstehen. Nach einer langen Eisenbahnreise bis San Francisco und einer abenteuerlichen Fahrt per Automobil kommt er in einem versteckten Lager in den Bergen an. Dort führt Graves ihn zu einer unterirdischen Ausgrabungsstätte. Es ist ein Tempel des Anubis, des schakalköpfigen Gottes der Unterwelt, und die Wände der unterirdischen Hallen sind über und über bedeckt mit altägyptischen Hieroglyphen.

Doch das ist nicht alles. Denn die steinernen Hüter des Tempels bewachen ein Tor, das seit Tausenden von Jahren verschlossen geblieben ist. Dahinter öffnet sich der Weg in ein Reich des Schreckens, in dem die Grenzen zwischen Tod und Leben aufgehoben zu sein scheinen und aus dem die Schakale des Totengottes in die Welt der Lebenden drängen.

1.

Professor Mogens VanAndt hasste seinen Beruf. Das war nicht immer so gewesen. Es hatte eine Zeit gegeben, die objektiv sogar nur wenige Jahre zurücklag, in Mogens' persönlichem Zeitempfinden jedoch Ewigkeiten, da hatte er ihn geliebt, und eigentlich, tief in seinem Innersten, tat er das noch immer. Streng genommen war es auch falsch zu sagen, dass er seinen Beruf hasste. Er hasste das, was er tun musste.

Mogens VanAndt war von Geburt her Belgier - genauer gesagt: Flame, wie allein schon sein Name verriet -, von Erziehung und Lebensart her aber durch und durch Amerikaner, und so konnte es nicht weiter überraschen, dass er sich neuen Tätigkeiten mit einer beneidenswerten Leichtigkeit zuwandte, eine Aufgabe, die er einmal angenommen hatte, dann aber mit großer Akribie, ja, fast schon Besessenheit erledigte. Jeder, der ihn in seiner Jugend gekannt hatte, hatte ihm eine große Zukunft prophezeit, seine Lehrer waren überaus zufrieden mit ihm gewesen, und wäre es nach den Voraussagen seiner Professoren an der Universität gegangen, so wäre er wohl spätestens fünf Jahre nach seiner Promotion als gleichberechtigter Kollege an die Fakultät zurückgekehrt, und sein Name hätte wohl schon jetzt in mehr als einem Fachbuch gestanden und zahllose Artikel in Fachzeitschriften oder anderen entsprechenden Publikationen geziert.

Das Schicksal hatte es anders gewollt. Das Einzige, was sein Namenszug zierte, waren die Visitenkarten in der abgewetzten schweinsledernen Brieftasche, die noch aus besseren Zeiten stammte, und ein schlampig beschriftetes Schild an der Tür eines winzigen fensterlosen Büros im Keller der Universität von Thompson; einer Universität, von der noch nie jemand gehört hatte und die in einer Stadt lag, die kaum jemand kannte, der weiter als fünfzig Meilen entfernt lebte. Es gab Tage, da argwöhnte Mogens ganz ernsthaft, dass nicht einmal alle Bewohner Thompsons wussten, wie ihre Stadt hieß. Von den Studenten seiner so genannten Universität ganz zu schweigen.

Das brennende Holz im Kamin, das er - wie es ihm vorkam - gerade erst nachgelegt hatte, war schon wieder fast zur Gänze verkohlt. VanAndt erhob sich, ging zu dem kleinen, geflochtenen Korb mit Feuerholz neben dem Kamin hinüber und warf ein neues Scheit in die gelben Flammen. Ein Funkenschauer stob auf, ließ Mogens in der Hocke zwei Schritte zurückweichen und senkte sich auf den brandfleckigen, trotzdem aber sorgsam gebohnerten Boden vor ihm. Der Professor stand auf, wich einen weiteren Schritt zurück und warf einen Blick auf die antiquierte Standuhr neben der Tür. Es war nach sechs. Sein Besuch hatte sich verspätet.

Im Grunde spielte es keine Rolle. VanAndt hatte an diesem Abend nichts Besonderes vor. Das war in Thompson schlechterdings unmöglich. Das Dreitausend-Seelen-Kaff bot keine nennenswerten Möglichkeiten der Zerstreuung. Es verfügte über den obligaten Saloon, der, sowohl was sein Aussehen, als auch sein Publikum anging, eindeutig ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert darstellte. Aber zum einen verabscheute der Professor Alkohol, und zum anderen galt er in der Stadt als Sonderling und Eigenbrötler; beides Attribute, die einen Besuch in einem derartigen, zum großen Teil von einfachen Arbeitern und derbem Bauernvolk frequentierten Etablissement wenig angeraten erscheinen ließen. Darüber hinaus gab es einen kleinen Drugstore samt angegliederter Milchbar sowie ein Lichtspielhaus, in dem an den Wochenenden sechs Monate alte Hollywood-Streifen aufgeführt wurden. Beides war jedoch zum Treffpunkt der Dorfjugend geworden, sodass es für den Professor ebenfalls nicht in Frage kam.

Und Letztens schließlich gab es ein gewisses Etablissement mit roten Lampen und kleinen, verschwiegenen Separees, die aber nicht annähernd so verschwiegen waren, wie sie sein sollten, dafür aber entschieden kleiner, als sie sein mussten. Außerdem entsprach das weibliche Personal nicht einmal annähernd Mogens' Ansprüchen, sodass er es ohnehin verzog, in monatlichen Abständen in die hundert Meilen entfernte Kreisstadt zu fahren, um das dortige Pendant dieser Einrichtung zu besuchen. Kurz: Professor Mogens VanAndts Leben verlief in sehr einfachen, um nicht zu sagen langweiligen Bahnen. Das Telegramm, das vor zwei Tagen gekommen war, stellte die seit Monaten aufregendste Unterbrechung in seinem täglichen Einerlei dar.

Es klopfte. Mogens ertappte sich dabei, mit einer viel zu heftigen Bewegung vom Kamin zurück- und herumzufahren. Sein Herz pochte ein bisschen schneller und er musste sich beherrschen, um nicht mit der gleichen unziemlichen Hast zur Tür zu springen und sie aufzureißen; als sei er kein ordentlicher Professor, sondern ein Zehnjähriger, der es am Weihnachtsmorgen nicht mehr aushalten konnte, ins Wohnzimmer zu gelangen, um nachzusehen, was Santa Claus am Kaminsims zurückgelassen hatte. Aber Weihnachten lag Wochen zurück und Mogens war keine zehn mehr, sondern der vierzig mittlerweile näher als der dreißig. Außerdem hielt er es für wenig angeraten, seinem Besuch zu zeigen, wie neugierig er auf das »berufliche Angebot« war, von dem in dem Telegramm die Rede gewesen war. So zwang er sich nicht nur mit einer bewussten Anstrengung zur Ruhe, sondern ließ noch einmal vier oder fünf Sekunden verstreichen, ehe er die Hand nach dem Türgriff ausstreckte und ihn herunterdrückte.

Es fiel Mogens sehr schwer, seine Enttäuschung zu verbergen. Vor der Tür stand kein Fremder, sondern Miss Preussler - nennen Sie mich einfach Betty, das tun alle hier, hatte sie gleich am Abend seines Einzugs gesagt, aber Mogens hatte es niemals fertig gebracht, nicht einmal in Gedanken -, seine Zimmerwirtin, und statt der sorgsam zurechtgelegten Worte, die Mogens zur Begrüßung seines Gastes ersonnen hatte, entschlüpfte ihm nur ein überraschtes: »Oh?«

Miss Preussler hob die rechte Hand, mit der sie gerade dazu angesetzt hatte, ein weiteres Mal an die Zimmertür zu klopfen, drohte ihm spielerisch mit dem Zeigefinger und schob sich - wie üblich, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen - an ihm vorbei ins Zimmer. »Oh?«, fragte sie. »Ist das vielleicht eine Art, eine gute Freundin zu begrüßen, mein lieber Professor?«