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Ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen, die noch immer höllisch wehtaten, sprang Mogens in die Höhe und stolperte los. Über ihm verschob sich der Felsendom mit einem grässlichen Knirschen und Mahlen weiter, der massive Stein begann zu zucken und sich in Wellen hin und her zu bewegen wie die Kuppel eines Zirkuszeltes, die vom Sturmwind gepeitscht wird. Auch der Boden unter ihm bewegte sich wieder, nicht mehr mit den brutalen, harten Stößen wie bisher, sondern auf eine ungleich schrecklichere, wogende Art, als wäre er tatsächlich etwas Lebendiges, das sich in Qualen wand. Grelles Sonnenlicht stach Mogens in die Augen, als er auf dem gezackten Riss in der Wand zustolperte. Er war fast blind. Irgendetwas stürzte unmittelbar neben ihm zu Boden und überschüttete ihn mit einem Hagel messerscharfer Steinsplitter, als es zerplatzte, und in der Höhlenwand entstand ein zweiter, schmaler Riss, durch den goldfarbenes Licht hereinbrach, grell wie glühender Stahl.

Er konnte spüren, wie sich der gesamte Felsendom zur Seite neigte. Der Himmel erbrach Felsen und tödliches Gestein, und plötzlich war der graue Schimmer, der bisher aus der Tiefe des Wassers heraufgedrungen war, einfach verschwunden; die unterseeische Verbindung zum Meer musste zusammengebrochen sein.

Die pure Todesangst verlieh ihm noch einmal neue Kraft. Mogens spurtete los, wurde von irgendetwas an Schulter und Hüfte getroffen und schrie seinen Schmerz hinaus, versuchte aber dennoch verzweifelt, noch schneller zu laufen. Ihm blieben bestenfalls noch wenige Sekunden - aber es waren auch nur noch ein Dutzend Schritte, ein allerletztes Mal, dass er auf sein Glück vertrauen und einfach hoffen musste, nicht doch noch von einem herabstürzenden Felsbrocken erschlagen oder einer jäh aufklaffenden Spalte im Boden verschlungen zu werden.

Die Gestalt erschien wie aus dem Nichts. Wo gerade noch der rettende Weg ins Freie gewesen war, erhob sich plötzlich ein Schatten, schlank und durch das grelle Licht hinter ihm zu einer tiefenlosen Silhouette ohne Gesicht reduziert, nichts, was wirklich Substanz oder Realität gehabt hätte, sondern nur ein weiterer Spuk, mit dem ihn seine losgelassene Fantasie peinigte. Janice war nicht da. Sie war tot, sie war niemals da gewesen, sondern nur Ausdruck seiner eigenen Unfähigkeit, loszulassen. Aber Mogens war auch nicht mehr in der Verfassung, logisch zu denken. Der winzige Teil von ihm, der vielleicht noch einen Rest von Vernunft bewahrt hatte, schrie in verzweifelter Panik auf, als er sich mitten im Schritt herumwarf und in die Richtung weiterstolperte, in die der ausgestreckte Arm des Phantoms deutete, nicht mehr dem rettenden Ausgang entgegen, sondern auf den zweiten, neu entstandenen Riss im Fels zu, der ungleich weiter entfernt war, hinter Tonnen von wild durcheinander gestürzten Felstrümmern und möglicherweise nicht einmal breit genug, um ihn überhaupt durchzulassen. Aber Logik spielte keine Rolle mehr. Mogens stolperte weiter, prallte gegen einen Felsen, wurde abermals getroffen und erlangte wie durch ein Wunder mit wild rudernden Armen sein Gleichgewicht zurück, gerade, als er davon überzeugt war, stürzen und sich auf dem mit scharfen, tödlichen Steinklingen übersäten Boden den Schädel einschlagen zu müssen. Etwas traf sein Knie mit der Gewalt eines Hammerschlages, dann spürte er, wie seine rechte Schulter wie von einer dünnen, weiß glühenden Klinge getroffen und aufgerissen wurde und warmes Blut seinen Rücken hinunter lief, doch nichts von alledem vermochte ihn aufzuhalten. Janice stand noch immer da und deutete mit ausgestrecktem Arm auf den Spalt im Fels. Es war Irrsinn, er wusste es, aber er würde sie nicht ein zweites Mal im Stich lassen, und wenn sie ihn ins Verderben wies, vielleicht konnte er dann endlich den Preis bezahlen, den er ihr schon vor zehn Jahren schuldig gewesen wäre.

Hinter ihm stürzte ein gewaltiger Abschnitt der Felsendecke ein, und der Spalt, vor dem sich ihre schlanke Gestalt erhob, schloss sich mit einem knirschenden, dumpfen Laut, in genau in dem Moment, in dem Mogens ihn erreicht hätte, wäre er seinem ursprünglichen Weg gefolgt.

Wenige Augenblicke später erreichte er den rettenden Ausgang, quetschte sich mit einer letzten, verzweifelten Anstrengung hindurch und taumelte auf den von Sonnenlicht überfluteten Strand hinaus. Hinter ihm brach ein ganzer Abschnitt der Felsenküste zusammen und rutschte mit ungeheurem Getöse ins Meer, aber das hörte Mogens schon nicht mehr.

Er brach zusammen und verlor das Bewusstsein, noch bevor sein Kopf auf dem nassen Sand aufschlug.

53.

Diesmal war es keine Einbildung: Die Hand, die auf seiner Stirn lag, war ebenso real wie die Stimme, die in monotonem, aber ungemein beruhigendem Tonfall auf ihn einredete. Er fror noch immer erbärmlich, denn er lag fast bis zu den Hüften im eisigen Wasser, das mit sanftem Wellengang an seinen Beinen zerrte und jedes Mal ein winziges bisschen Wärme mehr mitnahm. Er wartete darauf, dass sich auch die Schmerzen zurückmeldeten - die letzte klare Erinnerung, die er hatte -, aber alles, was er spürte, war etwas wie ein furchtbarer Muskelkater am ganzen Körper.

Mühsam öffnete er die Augen und blinzelte so direkt in die Sonne, dass er sofort und mit einem zischenden Laut die Augen wieder schloss. Es hätte früher Morgen sein müssen, aber die Sonne stand fast genau über ihm, und ihr Licht war unerträglich grell. Mogens ertappte sich bei der durch und durch albernen, aber in diesem Moment durchaus ernsthaft gestellten Frage, ob es überhaupt noch die Sonne war, die er kannte, oder nicht vielmehr der Hundsstern.

Aber das war albern. Es ist voller Wasser, hatte Graves gesagt; aber er konnte atmen.

Vorsichtig drehte er den Kopf, bis er die Berührung des Sonnenlichts nicht mehr fühlte, und öffnete dann zum zweiten Mal die Augen. Das Licht war nach wie vor unangenehm hell, zumal es vom fast weißen Sand des Strandes reflektiert wurde, auf dem er lag, aber nicht mehr unerträglich. Ein verschwommener Schatten zeichnete sich auf dem Sand neben ihm ab, und in einiger Entfernung gewahrte er einen ebenfalls verschwommenen, formlosen Umriss in beruhigendem Grün. Mogens blinzelte, und sein Blick klärte sich.

»Jetzt stellen Sie sich nicht so zimperlich an, Professor«, sagte eine Stimme neben ihm. »Sie sind noch am Leben, und soweit ich es erkennen kann, auch noch in einem Stück.«

Womit er auch noch die Möglichkeit ausschließen konnte, gestorben und im Paradies zu sein, dachte Mogens mit einem lautlosen Seufzen, während er den Kopf auf die andere Seite drehte und in Miss Preussler Gesicht hinaufblinzelte. Seine Augen funktionierten immer noch nicht richtig, aber er erkannte trotzdem, dass der Ausdruck auf ihren Zügen nicht wirklich zu dem spöttischen Klang ihrer Stimme passte. Wenn er jemals in das Gesicht eines Menschen geblickt hatte, der fast krank vor Sorge war, dann jetzt in das ihre.

»Wenigstens bin ich nicht in der Hölle«, murmelte er.

»Wenn Sie das aus dem Umstand schließen, dass ich auch hier bin, sind Sie vielleicht etwas voreilig, Professor«, antwortete Miss Preussler. »Nach allem, was ich in den vergangenen Stunden mit angesehen habe, ohne etwas dagegen zu tun, werde ich zumindest für etliche Jahrhunderte im Fegefeuer schmoren müssen.« Sie machte ein todernstes Gesicht bei diesen Worten, aber in ihren Augen funkelte es spöttisch, und als Mogens die Ellbogen in den Sand stemmte, um sich aufzusetzen, schüttelte sie rasch den Kopf und machte eine abwehrende Handbewegung. »Nicht so hastig, Professor. Sie waren immerhin mehr als zehn Minuten ohnmächtig. Damit ist nicht zu spaßen.«

»Bewusstlos«, verbesserte sie Mogens, während er sich behutsam in eine halb sitzende Position hochstemmte. Miss Preussler hatte Recht: Ihm wurde fast sofort schwindelig.

»Bewusstlos?« Miss Preussler blinzelte. »Und wo ist der Unterschied?«