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»Das wird wohl Ihr Besuch sein«, sagte sie. Nach einer Sekunde und in leicht verändertem Ton fügte sie hinzu: »Er fährt einen ziemlich kostspieligen Wagen, das muss man sagen. Ich öffne ihm die Tür.« Sie verließ mit schnellen Schritten das Zimmer, und Mogens begab sich seinerseits zum Fenster. Der Abstand, in dem sie aneinander vorbeigingen, war weitaus größer als nötig.

Er konnte den Mann, von dem Miss Preussler gesprochen hatte, nicht mehr erkennen, denn er verschwand gerade in diesem Moment aus seinem Sichtfeld, sodass er nur einen flüchtigen Eindruck von einer schlanken Gestalt in einem eleganten Anzug hatte, aber was das Automobil anging, so hatte Miss Preussler vollkommen Recht: Es war ein sehr großer, sehr eleganter und vor allem sehr kostspieliger Wagen. Ein dunkelblauer Buick mit cremefarbenem Verdeck, das trotz der niedrigen Temperaturen zurückgeklappt war, komplett mit Weißwandreifen und Ledersitzen. Ein solches Automobil musste mehr kosten, als er in den letzten zwei Jahren verdient hatte. Mogens war plötzlich noch neugieriger als bisher, den Absender des geheimnisvollen Telegramms kennen zu lernen.

So war es nicht weiter verwunderlich, dass es ihn nun noch mehr Beherrschung kostete, nicht zur Tür zu hetzen und seinem Besucher ungeduldig entgegenzueilen. Stattdessen öffnete er die Tür nur einen Spaltbreit. Er konnte hören, wie sich Miss Preussler unten im Hausflur mit seinem Besucher unterhielt, viel zu lange für seinen Geschmack und in entschieden zu vertrautem Ton, dann bewegten sich schnelle Schritte die Treppe herauf, und Mogens drückte rasch und lautlos die Tür ins Schloss und ging zu seinem Sessel zurück. Er fand gerade noch Zeit, sich zu setzen, da wurde auch schon an der Tür geklopft. Mogens schlug die Beine übereinander, strich noch einmal glättend mit den Händen über seine Kleidung und rief dann mit fester Stimme: »Herein.«

Er saß mit dem Rücken zum Eingang und drehte sich ganz bewusst nicht sofort um, als er das Geräusch der Tür hörte.

Jemand kam zwei Schritte weit herein, dann fragte eine Stimme, die ihm sonderbarerweise bekannt vorkam: »Professor VanAndt? Mogens VanAndt?«

»Ganz Recht«, antwortete Mogens und drehte sich langsam im Sessel herum. »Was kann ich für Sie...«

Er konnte selbst spüren, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Einen Moment lang stockte ihm der Atem.

»Jonathan!«

Vor ihm stand sein Schicksal. Der Mann, der die Schuld daran trug, dass er in diesem von Gott und der Welt vergessenen Kaff versauerte, statt ein Leben in Anerkennung und Reichtum zu führen, wie es ihm zustand. Seine persönliche Nemesis.

Er hatte sich verändert. Die vergangenen neun Jahre hatten auch an ihm ihre Spuren hinterlassen. Er hatte etliche Pfunde zugelegt, und die Zeit hatte Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, als hätten diese Jahre für ihn mindestens doppelt so lange gedauert wie für andere. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe, nur angedeutet, aber sichtbar, und auf seinen Wangen lag ein grauer, ungesunder Schimmer, obwohl er penibel rasiert war. Graves' Gesicht sah... verlebt aus. Trotz des sichtbar teuren Anzugs, den er trug, machte seine ganze Gestalt einen irgendwie heruntergekommenen Eindruck.

Dennoch gab es nicht den allermindesten Zweifeclass="underline" Vor ihm stand der Mann, den er auf der ganzen Welt am allermeisten verachtete, und dessen Gesicht er niemals wiederzusehen gehofft hatte: Doktor Jonathan Graves.

»Es ist schön, dass du dich noch an meinen Namen erinnerst, Mogens«, sagte Graves. Er lächelte, trat einen weiteren Schritt ins Zimmer herein und schob die Tür mit dem Fuß hinter sich zu. »Ich hatte schon Angst, dass du mich vergessen haben könntest. Schließlich ist es schon ziemlich lange her.«

Mogens starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. Seine Hände schlossen sich so fest um die Armlehnen des altersschwachen Sessels, dass das Holz ächzte. Er wollte etwas sagen, aber seine Stimme versagte. Und selbst, wenn es nicht so gewesen wäre: Hinter seiner Stirn herrschte ein solches Durcheinander, dass ihm buchstäblich die Worte fehlten. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Graves' Anblick hatte ihn getroffen wie eine Ohrfeige.

Graves kam näher, baute sich feixend vor seinem Sessel auf und sagte: »Also nun einmal nicht so stürmisch, mein lieber Professor. Ich kann ja verstehen, dass du dich freust, mich wiederzusehen, aber dein Enthusiasmus ist ja schon fast peinlich.«

»Was... was willst du?«, krächzte Mogens. Der Klang seiner eigenen Stimme erschreckte ihn.

»Aber Mogens, alter Freund«, griente Graves. »Du wirst doch nicht etwa mein Telegramm nicht bekommen haben? Das wäre nun wirklich unangenehm - obwohl es andererseits jetzt auch keine Rolle mehr spielt. Ich habe dich ja angetroffen.« Er trat einen Schritt zurück, sah sich ungeniert im Zimmer um und griff mit übertrieben geschauspielertem Erstaunen nach dem Telegramm, das auf dem Tisch lag. »Du hast wohl anscheinend nur die Zeit vergessen. Noch immer ganz der zerstreute Professor von früher, wie?«

»Was... willst... du... Jonathan?«, wiederholte Mogens gepresst. Er musste sich jedes Wort einzeln abringen. Seine Muskeln schmerzten, so verkrampft, wie er noch immer dasaß, und er verstand seine eigene Reaktion nicht mehr. »Bist du gekommen, um deinen inneren Triumph zu genießen?«

Seine Worte waren... albern. Sie klangen nicht einmal zornig, oder wenigstens verbittert, sondern selbst in seinen eigenen Ohren albern und billig, wie ein Zitat aus einem der Kolportage-Romane, die Miss Preussler so gerne las und von denen er einige flüchtig durchgeblättert hatte, um hinter das Geheimnis ihrer Faszination zu kommen, selbstverständlich ergebnislos. Aber er würde sich nicht auf den vertraulichen Ton seines Gegenübers einlassen, das war er seiner Selbstachtung schuldig.

»Hast Du mein Telegramm etwa nicht gelesen, Professor?«, fragte Graves mit gespieltem Staunen und hob die Brauen.

»Das habe ich«, erwiderte Mogens. »Zum dritten Maclass="underline" Was willst du, Graves?«

Graves griente noch einige Augenblicke lang weiter, doch dann schien er endlich genug zu haben, denn er wurde plötzlich ernst, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich unaufgefordert. »Also gut, Mogens. Lassen wir das Theater. Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst, und ich gebe dir mein Wort, dass mir vor diesem Moment ebenso bange war wie dir - aber nun haben wir ihn ja hinter uns gebracht, nicht wahr?«

Nichts hatten sie hinter sich, rein gar nichts. In Mogens' Gedanken und Gefühlen herrschte noch immer ein unbeschreibbarer Aufruhr, aber ein kleiner, zurzeit allerdings zur Tatenlosigkeit verdammter Teil seines Bewusstseins blieb ganz ruhig, und dieser Teil Professor VanAndts verstand seine eigene Reaktion ganz und gar nicht mehr. Er hatte angenommen, dass er sich zumindest allmählich wieder beruhigen würde, nachdem der erste Schrecken über Graves' unvermittelte Rückkehr in sein Leben vorüber war, doch das genaue Gegenteil schien der Fall zu sein. Der Aufruhr hinter seiner Stirn hielt an, ja, er schien sogar noch zuzunehmen, als hätte Graves' bloßer Anblick etwas in ihm ausgelöst, gegen das er machtlos war.

Mogens war niemals ein gewalttätiger Mensch gewesen, sondern hatte Gewalt Zeit seines Lebens sogar aus tiefstem Herzen verabscheut. Nun aber war er beinahe froh darüber, dass ihn der Schrecken noch immer lähmte, denn wäre es anders gewesen, dann hätte er sich vielleicht auf Graves gestürzt, um mit Fäusten auf ihn einzuschlagen. So konnte er nichts anderes tun, als dazusitzen und den Mann anzustarren, der sein Leben zerstört hatte.

Was er sah, das hätte ihn unter normalen Umständen höchstwahrscheinlich erstaunt, denn Jonathan Graves bot einen sehr sonderbaren Anblick. Seine Kleidung war teuer, um nicht zu sagen luxuriös, und in tadellosem Zustand. Seine Schuhe, die mehr gekostet haben mussten als alles, was Mogens am Leibe trug, waren auf Hochglanz poliert, die Bügelfalten seiner Hosen messerscharf, und auf den Revers seines modischen Zweireihers befand sich nicht das geringste Stäubchen. Eine kostbare Uhrkette zierte seine Weste, und er trug eine teure Seidenkrawatte mit einer Spange, die von einem fast fingernagelgroßen Rubin geziert wurde; Mogens war ziemlich sicher, dass er echt war.