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»Das war ich auch nicht«, antwortete Mogens. »Wir haben gemeinsam studiert, aber wir waren niemals Freunde.«

»Das konnte ich mir auch nicht vorstellen«, sagte Miss Preussler erleichtert. »Sie ziehen doch nicht wirklich in Betracht, dieses Angebot anzunehmen, oder?«

»Ich habe mich noch nicht entschieden«, antwortete Mogens.

»Professor, ich bitte Sie!« Miss Preussler wirkte ehrlich erschrocken. »Das dürfen Sie nicht! Dieser Mann ist... nicht gut für Sie!«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Mogens irritiert. Dass Graves nicht auf Anhieb Miss Preusslers Herz erobert hatte, wunderte ihn nicht. Aber konnte es sein, dass sie ihm gegenüber dasselbe negative Gefühl hatte wie er selbst? Und wenn ja, wieso? Sie hatte nicht das gleiche Übermaß schlechter Erfahrungen mit Jonathan Graves zu verbuchen wie er. Aber dann, praktisch im gleichen Augenblick, in dem er sich diese Frage stellte, fiel ihm auch die Antwort darauf ein: Bedachte man Miss Preusslers Gefühle für ihn, so musste Graves so etwas wie ihr natürlicher Feind sein. Er war aus dem Nichts aufgetaucht und drohte, ihn ihr wegzunehmen.

»Ich... kann es selbst nicht genau sagen«, murmelte Miss Preussler. »Aber etwas an ihm macht mir Angst. Er ist unheimlich. Ich wollte es vorhin nicht so deutlich sagen, als er anwesend war, aber irgendetwas an diesem Doktor Graves kommt mir falsch vor. Ich kann es nicht anders beschreiben. Ich fühle mich in seiner Nähe unwohl - von seinem Benehmen ganz zu schweigen. Dieser Mann ist ein Tier!«

»Jetzt übertreiben Sie aber«, sagte Mogens. Er lächelte, setzte dazu an, das Fenster wieder zu schließen, und besann sich dann eines Besseren. Es war mittlerweile unangenehm frisch im Zimmer geworden, aber in der Luft lag noch immer ein übler Geruch. Er zog es vor zu frieren, statt dem Gestank weiter ausgeliefert zu sein. Achselzuckend ging er zu seinem Platz am Kamin zurück und führte seinen begonnenen Satz zu Ende, während er sich setzte. »Graves ist sicher kein angenehmer Zeitgenosse - aber ihn als Tier zu bezeichnen, ist des Guten dann doch ein bisschen zu viel.«

»Natürlich«, antwortete Miss Preussler hastig. »Verzeihen Sie. Ich habe mich im Ton vergriffen. Dieser Mann ist nur so...« Sie rang einen Moment nach Worten, zuckte schließlich mit den Schultern und rettete sich damit, sich wieder dem Schmutzfleck auf dem Teppich zuzuwenden und verbissen daran herumzuwienern.

Mogens starrte den Briefumschlag, der auf dem Tischchen vor ihm lag, nachdenklich an. Das Geld darin schien ihn zu verhöhnen, beinhaltete zugleich aber eine fast unwiderstehliche Versuchung. Es war sein Ausweg aus einem Leben, das kein Leben war, sondern eine Art allmähliches, fast unmerkliches Sterben. Warum also zögerte er? Vielleicht weil da tief in seinem Innern eine Stimme war, die ihn warnte, sich auch nur eine einzige weitere Sekunde mit Graves abzugeben?

Er schüttelte schweigend den Kopf. Sein eigenes Verhalten verwunderte ihn mittlerweile nicht mehr, sondern erschreckte ihn regelrecht, denn es war mit nichts mehr erklärbar. Er hatte nicht gewusst, wie sehr er Graves in Wirklichkeit hasste.

Mogens beugte sich zur Seite, goss sich eine Tasse von dem Tee ein, den Graves nicht angerührt hatte, und schenkte noch in der gleichen Bewegung eine zweite ein. »Setzen Sie sich einen Moment zu mir, Miss Preussler... Betty«, sagte er. »Ich möchte mit Ihnen reden.«

Miss Preussler sah ihn überrascht an, stand aber auch fast sofort auf und setzte dazu an, auf dem gleichen Stuhl Platz zu nehmen, auf dem Graves vorhin gesessen hatte, dann jedoch machte sie mitten in der Bewegung kehrt und zog sich einen anderen Stuhl heran.

»Miss Preussler, ich lebe jetzt seit vier Jahren unter Ihrem Dach, und es gab in diesen vier Jahren keinen Tag, an dem mir nicht bewusst gewesen wäre, dass Sie mir eine ganz besondere Behandlung zukommen lassen«, begann er.

Miss Preussler sah ihn aufmerksam und ein wenig verständnislos an, aber in ihren Augen glomm eine vage Hoffnung auf, die Mogens klar machte, dass seine Worte vielleicht nicht besonders klug gewählt waren. Sie verstand sie natürlich falsch, weil sie sie falsch verstehen wollte. Aber er hatte nicht vor, ihr mitzuteilen, dass er hier bleiben und möglicherweise sogar ihren Avancen nachzugeben gedachte; im Gegenteil. Um Zeit zu gewinnen, griff er nach einem von Miss Preusslers Zimtplätzchen und biss hinein. In der nächsten Sekunde spuckte er den Bissen wieder aus, schleuderte den Rest des Zimtsterns in hohem Bogen davon und kämpfte mit aller Macht gegen den Brechreiz an, der regelrecht aus seinem Magen herauf explodierte. Ein unbeschreiblich widerwärtiger Geschmack erfüllte seinen Mund. Mogens krümmte sich in seinem Sessel, würgte qualvoll und schluckte einen Klumpen bitterer Galle herunter, der aus seinem Magen heraufgekrochen war. Das machte seine Übelkeit nur noch schlimmer, aber er kämpfte weiter dagegen an, und sei es nur aus dem absurden Grund, dass er es Miss Preussler nach allem nicht auch noch antun wollte, sich auf ihren Teppich zu übergeben.

Miss Preussler starrte ihn aus aufgerissenen Augen an und verlor schon wieder alle Farbe aus dem Gesicht. »Aber was...?«, begann sie, verstummte dann zutiefst verstört mitten im Wort und griff ebenfalls nach einem Zimtstern. Mit spitzen Fingern brach sie ihn entzwei und stieß gleich darauf selbst einen würgenden Laut aus. Mogens beging den Fehler, den Blick zu heben, und seine Übelkeit verstärkte sich beinahe noch, als er das Innere des Zimtsternes sah.

Das Gebäck war zu einer schleimig-schmierigen Masse geronnen, in der es unentwegt brodelte und kroch; wie die Oberfläche eines Schlammvulkans, auf der Gasblasen aus der Tiefe der Erde explodierten; oder als versuche etwas Lebendes ins Freie zu kriechen. Wenn er jemals ein verdorbenes Lebensmittel gesehen hatte, dann war es dieser Zimtstern. Schon der Gedanke, dass er gerade in ein solches Plätzchen hineingebissen hatte, verstärkte seine Übelkeit noch einmal um ein Vielfaches.

»Aber das... das kann doch gar nicht sein«, ächzte Miss Preussler. »Das ist nicht möglich! Ich habe diese Plätzchen heute Morgen gemacht! Mit Zutaten, die ich frisch gekauft habe.«

»Eine davon muss wohl schlecht gewesen sein«, sagte Mogens mühsam. Er vermied es, einen Blick in seine Tasse zu werfen, um nicht zu sehen, welche Überraschungen dort möglicherweise noch auf ihn warteten. Sein Magen revoltierte auch so schon schlimm genug.

»Ich... ich verstehe das einfach nicht«, stammelte Miss Preussler. »Das ist... ist...« Sie brach ab, schüttelte hilflos den Kopf, warf die beiden Hälften des Zimtplätzchens mit einer angewiderten Bewegung ins Feuer und stand auf.

»Heute ist wirklich nicht mein Glückstag«, sagte sie in dem schwachen Versuch, die Situation durch einen scherzhaften Ton zu entspannen. »Ich sollte das jetzt wegwerfen. Und danach werde ich hinüber in den General-Store gehen und ein ernstes Wort mit der Verkäuferin reden.«

Sie nahm den Teller mit den verdorbenen Plätzchen in die Hand und wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber noch einmal zu ihm um. »Die letzte Stunde ist etwas unglücklich verlaufen. Ich hoffe doch, dass das keinen Einfluss auf Ihre Entscheidung hat?«

»Bestimmt nicht«, versicherte Mogens, löste seinen Blick mit einiger Mühe von dem Teller mit Zimtsternen in Miss Preusslers Händen und sah wieder den Umschlag an, den Graves zurückgelassen hatte. »Ich habe mich noch nicht entschieden, Miss Preussler, aber ich versichere Ihnen, dass ich keine vorschnelle Entscheidung treffen werde.«

Vier Tage später stieg er auf dem Bahnhof von San Francisco aus dem Zug und rief die Telefonnummer an, die Graves ihm gegeben hatte.

2.