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Morosow sah sich ärgerlich um. »Kannst du mir erklären, Ravic, warum hier heute abend so ein Radau ist? Warum gehen diese Emigranten nicht schlafen?«

Ravic lachte. »Diese Emigranten da in der Ecke gehen mich nichts an. Das ist die faschistische Sektion des Hotels.«

»Spanien? Da warst du doch auch?«

»Ja, aber auf der anderen Seite. Außerdem als Arzt. Das da sind spanische Monarchisten, faschistisch verbrämt. Der Rest der Gesellschaft; die anderen sind längst drüben. Diese konnten sich noch nicht ganz entschließen. Franco war ihnen nicht fein genug. Die Mohren, die die Spanier schlachteten, haben sie natürlich nicht gestört.«

Morosow stellte seine Figuren auf. »Feiern dann wahrscheinlich das Massaker von Guernica. Oder den Sieg italienischer und deutscher Maschinengewehre über Bergarbeiter und Bauern. Habe die Brüder noch nie hier gesehen.«

»Sie sind seit Jahren hier. Du siehst sie nicht, weil du nie hier ißt.«

»Ißt du hier?«

»Nein.«

Morosow grinste. »Gut«, sagte er, »schenken wir uns meine nächste Frage und deine Antwort, die bestimmt beleidigend sein würde. Meinetwegen können sie hier geboren sein. Sie sollen nur leise reden. Hier — das gute, alte Damengambit.«

Ravic zog den gegenüberliegenden Bauern. Sie machten die ersten Züge rasch. Dann begann Morosow zu brüten. »Es gibt da eine Variante von Aljechin...«

Einer der Spanier kam herüber. Es war ein Mann mit eng zusammenstehenden Augen. Er blieb neben dem Tisch stehen. Morosow blickte ihn mißvergnügt an. Der Spanier stand nicht ganz gerade. »Meine Herren«, sagte er höflich. »Oberst Gomez bittet Sie, ein Glas Wein mit ihm zu trinken.«

»Mein Herr«, erwiderte Morosow ebenso höflich. »Wir spielen hier soeben eine Partie Schach um die Meisterschaft des XVII. Arrondissements. Wir danken verbindlichst, aber wir können nicht kommen.«

Der Spanier verzog keine Miene. Er wandte sich an Ravic mit einer Formalität, als wäre er am Hofe Philipps II. »Sie haben Oberst Gomez vor einiger Zeit eine Freundlichkeit erwiesen. Er möchte vor seiner Abreise deshalb gern ein Glas mit Ihnen trinken.«

»Mein Partner«, erwiderte Ravic ebenso formell, »hat Ihnen bereits erklärt, daß wir die Partie heute spielen müssen. Danken Sie dem Obersten Gomez. Ich bedaure sehr.«

Der Spanier verbeugte sich und ging zurück. Morosow schmunzelte. »Ganz wie die Russen in den ersten Jahren. Hielten sich an ihre Titel und Manieren wie an Schwimmgürteln. Was für eine Freundlichkeit hast du dem Hottentotten erwiesen?«

»Ich habe ihm einmal ein Abführmittel verschrieben. Lateinische Völker halten sehr auf gute Verdauung.«

»Nicht schlecht.« Morosow blinzelte. »Die alte Schwäche der Demokratie. Ein Faschist in derselben Lage hätte einem Demokraten Arsenik gegeben.«

Der Spanier kam zurück. »Mein Name ist Oberleutnant Navarro«, erklärte er mit dem schweren Ernst eines Mannes, der zuviel getrunken hat und es nicht weiß. »Ich bin der Adjutant des Obersten Gomez. Der Oberst verläßt Paris diese Nacht. Er geht nach Spanien, um sich der glorreichen Armee des Generalissimus Franco anzuschließen. Er möchte deshalb mit Ihnen ein Glas auf Spaniens Freiheit und Spaniens Armee trinken.«

»Oberleutnant Navarro«, sagte Ravic kurz. »Ich bin kein Spanier.«

»Wir wissen das; Sie sind ein Deutscher.« Navarro zeigte den Schatten eines konspiratorischen Lächelns. »Das ist gerade der Grund für den Wunsch des Obersten Gomez. Deutschland und Spanien sind Freunde.«

Ravic sah Morosow an. Die Ironie der Situation war stark. Es zuckte um Morosows Mund. »Oberleutnant Navarro«, sagte er. »Ich bedaure, darauf bestehen zu müssen, diese Partie mit Doktor Ravic zu beenden. Die Resultate müssen heute nacht noch nach New York und Kalkutta gekabelt werden.«

»Mein Herr«, erwiderte Navarro kalt. »Wir haben erwartet, daß Sie ablehnen würden, Rußland ist der Feind Spaniens. Die Einladung bezog sich nur auf Doktor Ravic. Wir mußten Sie miteinladen, da Sie mit ihm zusammen sind.«

Morosow setzte einen Springer, den er gewonnen hatte, auf seine riesige, flache Hand und sah Ravic an. »Glaubst du nicht, daß es genug ist mit diesem Affentheater?«

»Ja.« Ravic drehte sich um. »Ich denke, es ist am einfachsten, Sie gehen zurück, junger Mann. Sie beleidigen den Obersten Morosow, der ein Feind der Sowjets ist, ohne Grund.«

Er beugte sich, ohne eine Antwort abzuwarten, über das Schachbrett. Navarro stand einen Moment unschlüssig. Dann ging er.

»Er ist betrunken und dann, wie viele Lateiner, ohne Humor«, sagte Ravic. »Das ist kein Grund, daß wir keinen haben sollen. Ich habe dich deshalb soeben zum Obersten befördert. Soviel ich weiß, warst du nur ein armseliger Oberstleutnant. Schien mir unerträglich, daß du nicht den gleichen militärischen Rang wie dieser Gomez haben solltest.«

»Rede nicht, Knabe. Ich habe die Aljechinische Variante über den Unterbrechungen verpfuscht. Dieser Läufer scheint verloren zu sein.« Morosow sah auf. »Mein Gott, da kommt schon wieder einer. Ein anderer Adjutant. Was für ein Volk!«

»Das ist der Oberst Gomez selbst.« Ravic lehnte sich behaglich zurück. »Dies wird eine Diskussion zwischen zwei Obersten.«

»Eine kurze, mein Sohn.«

Der Oberst war noch förmlicher als Navarro. Er entschuldigte sich bei Morosow wegen des Irrtums seines Adjutanten. Die Entschuldigung wurde entgegengenommen. Gomez lud nun, da alle Schwierigkeiten überstanden waren, äußerst zeremoniell ein, als Zeichen der Versöhnung gemeinsam das Glas auf Franco zu trinken. Diesmal lehnte Ravic ab.

»Aber als verbündeter Deutscher...« Der Oberst war sichtlich verwirrt.

»Oberst Gomez«, sagte Ravic, der allmählich ungeduldig wurde, »lassen wir die Situation, wie sie ist. Trinken Sie, auf wen Sie wollen, und ich spiele Schach.«

Der Oberst versuchte nachzudenken. »Dann sind Sie also ein...«

»Besser, Sie stellen nichts fest«, unterbrach Morosow ihn. »Führt nur zu Streitigkeiten.«

Gomez wurde immer verwirrter.

»Aber Sie, als Weißrusse und zaristischer Offizier, müßten doch gegen...«

»Wir müssen gar nichts. Wir sind veraltete Kreaturen. Wir haben verschiedene Meinungen und schlagen uns trotzdem nicht die Schädel ein.«

Gomez schien endlich ein Licht aufzugehen. Er straffte sich. »Ich sehe«, erklärte er schneidend. »Verweichlichte, demokratische...«

»Mein Lieber«, sagte Morosow plötzlich gefährlich. »Verschwinden Sie! Sie hätten schon vor Jahren verschwunden sein sollen. Nach Spanien. Um zu kämpfen. Statt dessen kämpfen Deutsche und Italiener da für Sie. Adieu!«

Er stand auf. Gomez trat einen Schritt zurück. Er starrte Morosow an. Dann machte er abrupt kehrt und ging zu seinem Tisch zurück. Morosow setzte sich wieder. Er seufzte und klingelte dem Serviermädchen. »Bringen Sie uns zwei doppelte Calvados, Clarisse.«

Clarisse nickte und verschwand. »Brave, soldatische Seelen.« Ravic lachte. »Einfacher Verstand und komplizierte Ehrbegriffe. Erschweren das Leben, wenn man betrunken ist.«

»Das sehe ich. Da kommt bereits der nächste. Das ist ja eine Prozession. Wer ist es diesmal? Franco selbst?«

Es war Navarro. Er hielt zwei Schritte vor dem Tisch und adressierte Morosow. »Oberst Gomez bedauert, Ihnen keine Forderung überbringen zu können. Er verläßt Paris diese Nacht. Außerdem ist seine Mission zu wichtig, um mit der Polizei Schwierigkeiten zu haben.« Er wandte sich an Ravic. »Oberst Gomez schuldet Ihnen noch das Honorar für Ihre Konsultation.« Er warf eine zusammengefaltete Fünf-Frank-Note auf den Tisch und wollte kehrtmachen.

»Einen Augenblick«, sagte Morosow. Clarisse stand gerade neben ihm mit dem Tablett. Er nahm das Glas Calvados, betrachtete es kurz, schüttelte den Kopf und stellte es zurück. Dann nahm er eines der Wassergläser vom Tablett und schüttete es Navarro ins Gesicht. »Das ist, um Sie nüchtern zu machen«, erklärte er ruhig. »Merken Sie sich künftig, daß man Geld nicht wirft. Und nun fort mit Ihnen, Sie mittelalterlicher Idiot.«