Выбрать главу

Navarro stand überrascht. Er trocknete sich das Gesicht ab. Die anderen Spanier kamen heran. Es waren vier. Morosow erhob sich langsam. Er überragte die Spanier um mehr als einen Kopf. Ravic blieb sitzen. Er sah Gomez an. »Machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte er. »Sie sind alle nicht nüchtern. Sie haben nicht die geringste Chance. In ein paar Minuten würden Sie mit gebrochenen Knochen hier herumliegen. Selbst wenn Sie nüchtern wären, hätten Sie keine Chance.« Er stand auf, griff Navarro rasch an den Ellbogen, hob ihn an, drehte ihn herum und stellte ihn so dicht neben Gomez auf den Boden, daß Gomez beiseite treten mußte. »Und nun lassen Sie uns in Ruhe. Wir haben Sie nicht aufgefordert, uns zu belästigen.« Er nahm die Fünf-Frank-Note vom Tisch und legte sie auf das Tablett. »Das ist für Sie, Clarisse. Von den Herren hier.«

»Erstmals, daß ich von denen etwas bekomme«, erklärte Clarisse. »Danke.«

Gomez sagte etwas in Spanisch. Die fünf machten kehrt und gingen zu ihrem Tisch zurück. »Schade«, sagte Morosow. »Ich hätte die Brüder gern verprügelt. Geht leider deinetwegen nicht, du illegaler Findling. Bedauerst du es nicht manchmal, daß du es nicht kannst?«

»Nicht bei denen. Es gibt andere, die ich haben möchte.«

Man hörte von dem Tisch in der Ecke ein paar Worte Spanisch. Die fünf standen auf. Ein dreifaches Viva erscholl. Die Gläser wurden klirrend niedergesetzt, und die Gruppe verließ martialisch den Raum.

»Fast hätte ich ihm den guten Calvados ins Gesicht gegossen.«

Morosow nahm das Glas und trank es aus. »Und so was regiert jetzt in Europa! Waren wir auch einmal so blödsinnig?« »Ja«, sagte Ravic.

Sie spielten ungefähr eine Stunde. Dann sah Morosow auf. »Da kommt Charles«, sagte er. »Er will scheinbar etwas von dir.«

Ravic sah auf. Der Bursche aus der Conciergenloge kam heran. Er hatte ein kleines Paket in der Hand. »Dies hier ist für Sie abgegeben worden.«

»Für mich?«

Ravic betrachtete das Paket. Es war klein, in weißes Seidenpapier gewickelt und verschnürt. Eine Adresse stand nicht drauf. »Ich erwarte keine Pakete. Muß ein Irrtum sein. Wer hat es gebracht?« »Eine Frau... eine Dame...«, stotterte der Bursche.

»Eine Frau oder eine Dame?« fragte Morosow.

»So... so dazwischen.«

Morosow schmunzelte. »Ziemlich scharfsinnig.«

»Es steht kein Name darauf. Hat sie gesagt, es sei für mich?«

»Das nicht gerade. Nicht Ihren Namen. Sie hat gesagt, für den Arzt, der hier wohnt. Und... Sie kennen die Dame.«

»Hat sie das gesagt?«

»Nein«, platzte der Bursche heraus. »Aber sie kam doch neulich nachts mit Ihnen.«

»Es kommen ab und zu Damen mit mir, Charles. Aber du solltest wissen, daß Diskretion die erste Tugend eines Hotelangestellten ist. Indiskretion ist für die Kavaliere der großen Welt.«

»Mach das Paket auf, Ravic«, sagte Morosow. »Selbst wenn es nicht für dich ist. Wir haben schon Schlimmeres angestellt in unserem bedauernswürdigen Leben.«

Ravic lachte und öffnete es. Er wickelte einen kleinen Gegenstand aus. Es war die hölzerne Madonna, die er im Zimmer der Frau — er dachte nach — wie hieß sie doch? Madeleine- Mad-, er hatte es vergessen. Irgend so ein ähnlicher Name. Er sah in dem Seidenpapier nach. Es war kein Zettel dabei. »Gut«, sagte er zu dem Burschen. »Es stimmt.«

Er stellte die Figur auf den Tisch. Sie stand sonderbar fremd zwischen den Schachfiguren. »Russin?« fragte Morosow.

»Nein. Hatte ich anfangs auch gedacht.«

Ravic sah, daß das Lippenrot abgewaschen war. »Was soll ich nur damit machen?«

»Stelle es irgendwo hin. Man kann vieles irgendwo hinstellen. Es gibt für alles genug Platz in der Welt. Nur nicht für Menschen.«

»Sie werden den Mann beerdigt haben.«

»Ist es die?«

»Ja.«

»Hast du dich noch einmal um sie gekümmert?«

»Nein.«

»Sonderbar«, sagte Morosow, »daß wir immer glauben, etwas getan zu haben, und dann aufhören, wenn es für den anderen am schwierigsten wird.«

»Ich bin kein Wohltätigkeitsinstitut, Boris. Und ich habe schon Schlimmeres gesehen als das und nichts getan. Warum soll es für sie jetzt schwieriger sein?«

»Weil sie jetzt erst wirklich allein ist. Bisher war der Mann immer noch da, auch wenn er tot war. Er war über der Erde. Jetzt ist er unter der Erde — fort, nicht mehr da. Das da« — Morosow zeigte auf die Madonna — »ist kein Dank. Es ist ein Hilferuf.«

»Ich habe mit ihr geschlafen«, sagte Ravic, »ohne zu wissen, was los war. Ich will das vergessen.«

»Unsinn! So was ist das Unwichtigste von der Welt, solange es keine Liebe ist. Ich kannte eine Frau, die sagte, es sei leichter, mit einem Mann zu schlafen, als ihn beim Vornamen zu nennen.« Morosow beugte sich vor. Sein großer, kahler Schädel spiegelte sich im Licht. »Ich will dir etwas sagen, Ravic, wir sollen freundlich sein, wenn wir es können und solange wir es können — denn wir werden in unserem Leben noch einige sogenannte Verbrechen begehen. Ich wenigstens. Und du wohl auch.«

»Ja.«

Morosow legte seinen Arm um den Kübel der dürftigen Palme. Sie schwankte leicht. »Leben heißt, von andern leben. Wir fressen alle voneinander. So ein bißchen Flimmern von Güte ab und zu — das soll man sich nicht nehmen lassen. Es stärkt, wenn man schwierig lebt.«

»Gut. Ich werde morgen mal nachfragen bei ihr.«

»Schön«, sagte Morosow. »Das war es, was ich meinte. Und nun laß das viele Reden. Wer hat Weiß?«

5

Der Wirt kannte Ravic gleich wieder. »Die Dame ist in ihrem Zimmer«, sagte er.

»Können Sie ihr telefonieren, daß ich hier bin?«

»Das Zimmer hat kein Telefon. Sie können ruhig hinaufgehen.« »Welche Nummer ist es?«

»Siebenundzwanzig.«

»Ich habe den Namen nicht mehr im Kopf. Wie hieß sie doch?« Der Wirt zeigte kein Erstaunen. »Madou. Joan Madou«, fügte er hinzu. »Glaube nicht, daß sie wirklich so heißt. Künstlername wahrscheinlich.«

»Wieso Künstlername?«

»Sie hat sich als Schauspielerin eingetragen. Klingt doch so, wie?«

»Das weiß ich nicht. Ich kannte einen Schauspieler, der nannte sich Gustav Schmidt. Er hieß in Wirklichkeit Alexander Marie Graf von Zambona. Gustav Schmidt war sein Künstlername. Klang gar nicht so, wie?«

Der Wirt gab sich nicht geschlagen. »Heutzutage passiert viel«, erklärte er.

»Es passiert gar nicht einmal so viel. Wenn Sie Geschichte studieren, werden Sie finden, daß wir noch in verhältnismäßig ruhigen Zeiten leben.«

»Danke, mir genügt’s.«

»Mir auch. Aber man muß seinen Trost suchen, wo man kann. Nummer siebenundzwanzig, sagten Sie?«

»Ja, mein Herr.«

Ravic klopfte. Niemand antwortete. Er klopfte noch einmal und hörte eine undeutliche Stimme. Als er die Tür öffnete, sah er die Frau. Sie saß auf dem Bett, das an der Querwand stand, und blickte langsam auf. Sie war angezogen und trug das blaue Schneiderkostüm, in dem Ravic sie zum ersten Male gesehen hatte. Sie hätte weniger verlassen gewirkt, wenn sie vernachlässigt, in irgendeinem Schlafrock herumgelegen hätte. Aber so, angezogen für niemand und nichts, aus einer Gewohnheit heraus, die jetzt nichts mehr bedeutete, hatte sie etwas, daß Ravic einen Schlag aufs Herz gab. Er kannte das — er hatte Hunderte von Menschen so sitzen sehen, Emigranten, verschlagen in fremdeste Fremde. Eine kleine Insel ungewissen Daseins — so saßen sie da und wußten nicht wohin — und nur die Gewohnheit erhielt sie am Leben.