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Invincible wühlte den blutigen Schnee mit seinen beiden unverletzten kräftigen Hinterläufen und den beiden zerschmetterten Vorderbeinen auf. Arthas spürte, wie sich ihm der Magen beim Anblick der Gliedmaßen, die einst so lang und kraftvoll gewesen waren, umdrehte. Doch nun standen sie in merkwürdigen Winkeln ab, als Invincible aufzustehen versuchte und es nicht schaffte. Dann verwischten der Schneefall und heiße Tränen, die seine Wangen hinunterliefen, gnädigerweise diesen Anblick.

Er kämpfte sich zu seinem Pferd durch, schluchzte, fiel auf die Knie und versuchte… was zu tun? Das war kein Kratzer, den man schnell verbinden konnte, um Invincible dann in den warmen Stall zu bringen und die Wunde mit heißem Brei zu versorgen. Arthas griff nach dem Kopf des Tieres, wollte es berühren und irgendwie beruhigen. Doch Invincible war verrückt vor Schmerz. Und er schrie immer noch.

Hilfe. Es gab Priester und Sire Uther – vielleicht konnten sie ihn heilen…

Ein Schmerz, weitaus schlimmer als jede körperliche Qual, durchfuhr den jungen Mann. Der Bischof war mit Arthas’ Vater nach Stromgarde gereist, ebenso Uther. Vielleicht gab es einen Priester in einem anderen Dorf, doch Arthas wusste nicht, wo, und in diesem Sturm…

Er schreckte von dem Tier zurück, hielt sich die Ohren zu und schloss die Augen. Dabei schluchzte er so stark, dass sein ganzer Körper bebte. Im tobenden Sturm würde er nie einen Heiler finden, bevor Invincible entweder an seinen Verletzungen starb oder erfror. Arthas war sich nicht einmal sicher, ob er Balnirs Gehöft finden würde, auch wenn es nicht weit entfernt sein konnte. Die ganze Welt war weiß, außer dort, wo das sterbende Pferd, das ihm so sehr vertraut hatte und von einer vereisten Böschung gesprungen war, in einer dampfenden roten Lache lag.

Arthas wusste, was er tun musste, doch er konnte es nicht.

Später konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wie lange er dort gesessen hatte, weinend, im Versuch, die Geräusche und den Anblick seines geliebten Pferdes auszublenden, bis sich schließlich Invincibles Kampf ums Überleben verlangsamte. Er lag auf dem Schnee, seine Flanken hoben und senkten sich, seine Augen verdrehten sich vor Schmerz.

Arthas konnte weder das Gesicht noch die Glieder spüren. Doch irgendwie schaffte er es, sich dem Tier zu nähern. Jeder Atemzug war eine Qual und er hieß den Schmerz willkommen. Es war sein Fehler gewesen. Sein Fehler.

Er legte den großen Kopf des Pferdes in seinen Schoß und für einen kurzen, barmherzigen Moment saß er nicht im Schnee mit einem verwundeten Tier, sondern in einem Stall, wo eine Zuchtstute ein Fohlen gebar. In diesem Moment begann alles gerade erst und kam nicht zu diesem entsetzlichen, fürchterlichen, vermeidbaren Ende.

Seine Tränen fielen auf die breiten Wangen des Pferdes. Invincible zitterte, seine braunen Augen waren weit aufgerissen vor nunmehr stummer Qual. Arthas zog die Handschuhe aus und strich mit der Hand über das rosagraue Maul. Dabei spürte er die Wärme von Invincibles Atem an seiner Hand. Dann nahm er langsam den Kopf des Pferdes von seinem Schoß, stand auf und griff mit seiner warmen Hand nach dem Schwert. Er sank in die rote Lache geschmolzenen Schnees ein, als er sich über das gestürzte Tier beugte.

»Es tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir so leid.«

Invincible betrachtete ihn ruhig, vertrauensvoll, als würde er irgendwie verstehen, was geschehen würde und dass es sein musste. Das war mehr, als Arthas ertragen konnte, und einen Augenblick lang ertrank die Welt erneut in Tränen. Er kämpfte darum, sie zu unterdrücken.

Arthas hob das Schwert und stieß damit zu.

Er machte es richtig, immerhin, wenigstens das konnte er. Er durchstieß Invincibles großes Herz mit einem einzigen Stoß, mit Armen, die dafür eigentlich zu ausgekühlt hätten sein müssen.

Er spürte, wie das Schwert Haut und Fleisch durchdrang, an den Knochen schabte und sich in den Boden darunter bohrte. Invincible krümmte sich einmal, dann erzitterte er und bewegte sich nicht mehr.

Jorum und Jarim fanden Arthas einige Zeit später, nachdem der Schneefall nachgelassen hatte, angeschmiegt an den auskühlenden Körper des einst herrlichen Tiers, das vor Leben und Kraft nur so gestrotzt hatte. Als der ältere Mann sich zu ihm herabbeugte, schrie Arthas vor Schmerz auf.

»Tut mir leid«, sagte Jorum, seine Stimme war fast unerträglich freundlich. »Weil ich Euch wehgetan habe und wegen des Unfalls.«

»Ja«, sagte Arthas schwach, »der Unfall. Er hat den Halt verloren.«

»Das ist kein Wunder bei diesem Wetter. Der Sturm kam sehr schnell. Ihr habt Glück, dass Ihr noch lebt. Kommt – wir bringen Euch nach drinnen und schicken jemanden zum Palast.«

Als er sich im festen Griff des Pferdezüchters befand, sagte Arthas: »Begrabt ihn… hier. Damit ich ihn besuchen kann.«

Balnir warf seinem Sohn einen Blick zu, dann nickte er. »Aye, natürlich. Er war ein edles Pferd.«

Arthas drehte sich um und betrachtete das tote Tier, das er Invincible getauft hatte. Er würde sie alle in dem Glauben lassen, dass es ein Unfall gewesen war, denn er konnte es nicht ertragen, jemandem die Wahrheit zu sagen.

Dann tat er einen Schwur. Sollte je jemand Schutz brauchen oder mussten je Opfer für das Wohl anderer gebracht werden, dann würde er dazu bereit sein.

Ganz egal, was es mich kosten wird, dachte er.

5

Der Sommer stand in voller Blüte, und die Sonne brannte unbarmherzig auf seine königliche Hoheit Prinz Arthas Menethil herab, der durch Sturmwinds Straßen ritt. Er war schlechter Laune, obwohl er sein ganzes Leben auf diesen Tag gewartet hatte. In der Rüstung war es kaum auszuhalten vor Hitze und Arthas fürchtete, zu Tode geröstet zu werden, noch bevor er die Kathedrale erreichte. Auf seinem neuen Schlachtross musste er immerzu daran denken, dass sein Pferd – obwohl kraftvoll, gut ausgebildet und wohlerzogen – nicht Invincible war, der vor wenigen Monaten gestorben war und den er schmerzlich vermisste. In ihm war plötzlich eine gewaltige Leere und ihm wollte nicht einmal mehr einfallen, was er bei der Zeremonie zu tun hatte.

Neben ihm ritt sein Vater, dem die Irritation seines Sohnes offenbar entging. »Auf diesen Tag haben wir lange gewartet, mein Sohn«, sagte Terenas und blickte Arthas lächelnd an.

Trotz der Hitze und dem Gewicht des Helms war Arthas froh, ihn zu tragen. Er verbarg sein Gesicht und Arthas war sich nicht sicher, ob er jetzt ein Lächeln hätte vortäuschen können. »Das stimmt, Vater«, antwortete er und bemühte sich, seine Stimme ruhig klingen zu lassen.

Es war eine der größten Feiern, die Sturmwind je erlebt hatte. Außer Terenas waren viele andere Könige, Adelige und berühmte Personen gekommen. Sie ritten über die weißen Kopfsteinpflaster der Stadt zur riesigen Kathedrale des Lichts, die während des Ersten Krieges beschädigt worden war. Inzwischen hatte man sie aber wiedererrichtet und sie wirkte herrlicher als zuvor.

Arthas’ Freund aus Kindertagen, Varian, der König von Sturmwind, war jetzt verheiratet und frischgebackener Vater. Er hatte allen zu Besuch gekommenen Königen und deren Gefolge seinen Palast geöffnet. Bei Varian zu sitzen, Honigwein zu trinken und zu reden, war für Arthas bislang der Höhepunkt der Reise gewesen. Der verletzte, traumatisierte Junge von vor einem Jahrzehnt war zu einem selbstsicheren, gut aussehenden und ausgeglichenen König gereift.

Irgendwann am frühen Morgen, lange nach Mitternacht und noch vor Sonnenaufgang, waren sie in die Waffenkammer gegangen, hatten sich hölzerne Übungsschwerter genommen und eine lange Zeit miteinander gekämpft, dabei gelacht und alte Erinnerungen aufgefrischt. Ihr Können hatte dabei nur ein wenig unter dem Alkohol, den sie getrunken hatten, gelitten. Varian, der bereits seit frühester Kindheit trainierte, war schon immer gut gewesen, aber nun war er nahezu perfekt.