Doch das war Arthas auch und er gab dabei sein Bestes.
Momentan war das alles jedoch unwichtig, verglichen mit der unglaublich heißen Rüstung und dem nagenden Gedanken, dass er die Ehre, die ihm verliehen werden sollte, nicht verdiente.
In einem seltenen Moment der Vertrautheit hatte Arthas mit Uther über seine Gefühle gesprochen. Der furchterregende Paladin, der, solange Arthas zurückzudenken vermochte, der Inbegriff felsenfester Unerschütterlichkeit zum Licht war, hatte den Prinzen mit seiner Antwort erschreckt.
»Junge, niemand fühlt sich je bereit. Niemand glaubt, dass er es verdient hätte. Und wisst Ihr, warum? Weil niemand es hat. Es ist eine Gnade, so einfach ist das. Wir sind von Natur aus unwürdig, allein schon, weil wir Menschen sind. Und alle menschlichen Wesen – und Elfen, Zwerge und alle anderen Völker – stecken voller Fehler. Doch das Licht liebt uns trotzdem. Es liebt uns dafür, was aus uns in seltenen Momenten werden kann. Es liebt uns dafür, dass wir anderen helfen. Und es liebt uns, weil wir seine Botschaft hinaustragen, indem wir uns jeden Tag darum bemühen, seiner würdig zu sein, selbst wenn wir wissen, dass wir das niemals schaffen werden.«
Er hatte Arthas eine Hand auf die Schulter gelegt und ihm eins seiner seltenen Lächeln gewährt. »Also geht heute dorthin, wie ich es getan habe, und fühlt Euch, als ob Ihr diese Ehre nicht verdient hättet. Doch seid Euch dabei bewusst, dass Ihr an demselben Ort steht, an dem jeder andere Paladin auch gestanden hat.«
Das tröstete Arthas ein wenig.
Er straffte die Schultern, schob den Sichtschutz zurück, lächelte und winkte der Menge zu, die ihn so froh an diesem warmen Sommertag bejubelte. Sie warfen Rosenblätter über ihn und von irgendwoher erklangen Trompeten.
Sie hatten die Kathedrale erreicht. Arthas stieg vom Pferd und ein Diener führte das Schlachtross weg. Ein anderer Diener trat vor, um ihm den Helm abzunehmen, den Arthas abgesetzt hatte. Sein blondes Haar war feucht vor Schweiß. Schnell strich er sich mit der gepanzerten Hand darüber.
Arthas war nie zuvor in Sturmwind gewesen und er war beeindruckt von der Verbindung aus Heiterkeit und Macht, die die Kathedrale ausstrahlte. Langsam ging er die teppichbelegten Stufen hinauf, dankbar für die plötzliche Kühle im steinernen Innern. Der Geruch des Weihrauchs war beruhigend und vertraut. Es war derselbe, den auch seine Familie in der kleinen Kapelle benutzte.
Drinnen gab es kein schwindelerregendes Gedränge, nur Stille, die Sitzreihen voll mit prominenten Personen und dem Klerus.
Arthas erkannte mehrere Gesichter: Genn Graumarn, Thoras Trollbann, Admiral Daelin Prachtmeer…
Arthas blinzelte, dann verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. Jaina! Sie war unbestreitbar in den Jahren seit ihrem letzten Treffen erwachsen geworden. Nicht ganz eine umwerfende Schönheit, aber hübsch. Die Lebhaftigkeit und die Intelligenz, die er schon als Junge geschätzt hatte, strahlten von ihr wie von einem Leuchtfeuer aus. Sie blickte Arthas an, lächelte zurück und neigte ihren Kopf respektvoll.
Arthas wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Altar zu, auf den er zuging. Doch er fühlte, wie ein wenig der Angst sein Herz verließ. Er hoffte, dass er die Gelegenheit erhielt, später, wenn die Feierlichkeiten vorbei waren, mit ihr reden zu können.
Erzbischof Alonsus Faol wartete am Altar auf ihn. Der Erzbischof erinnerte Arthas eher an Altvater Winter als an einen der Herrscher, die er bislang getroffen hatte. Er war klein und kräftig, trug langes wehendes, schneeweißes Haar und hatte leuchtende Augen. Selbst mitten in einer feierlichen Zeremonie strahlte Faol Wärme und Herzlichkeit aus. Der Erzbischof wartete, bis Arthas herangekommen war und respektvoll vor ihm kniete, bevor er ein großes Buch öffnete und sprach.
»Im Lichte versammeln wir uns, um unseren Bruder aufzunehmen. In seiner Gnade wird er erneuert. In seiner Kraft soll er die Menschen ausbilden. In seiner Stärke soll er die Schatten bekämpfen. Und in seiner Weisheit soll er seine Brüder zu den ewigen Freuden des Paradieses führen.«
Zu seiner Linken standen mehrere Männer – und ein paar Frauen, wie Arthas bemerkte – in langen, fließenden Gewändern. Einige hielten Gefäße in den Händen, die beinahe hypnotisch schaukelten. Andere trugen große Kerzen. Ein Mann hielt eine bestickte blaue Stola in der Hand. Arthas waren viele dieser Menschen vorher vorgestellt worden, doch er stellte fest, dass die Namen allesamt aus seinem Kopf verschwunden waren. Das war für ihn ungewöhnlich – er wollte stets wissen, wer für ihn arbeitete und ihm diente. Dabei bemühte er sich immer, sich alle Namen zu merken.
Erzbischof Faol bat die Kleriker, Arthas zu segnen. Das taten sie. Der Mann mit der blauen Stola trat vor, legte sie dem Prinzen um den Hals und salbte seine Stirn mit heiligem Öl.
»Durch die Gnade des Lichts mögen deine Brüder geheilt werden«, sagte der Kleriker.
Faol wandte sich den Männern zu Arthas’ Rechten zu. »Ritter der Silbernen Hand, wenn Ihr diesen Mann für würdig erachtet, dann gebt ihm Euren Segen.«
Im Gegensatz zur ersten Gruppe kannte Arthas diese Männer alle sehr gut, die in Habachthaltung und strahlenden Rüstungen warteten. Es waren die ursprünglichen Paladine der Silbernen Hand und es war das erste Mal, dass sie sich seit der Gründung des Ordens vor vielen Jahren zusammengefunden hatten. Uther gehörte natürlich dazu. Tirion Fordring war alt, aber immer noch kräftig. Jetzt war er der Herrscher von Herdweiler. Der beinahe zwei Meter große Saidan Dathroban war genauso anwesend wie der fromme, rauschbärtige Gavinrad.
Einer fehlte allerdings – Turalyon, die rechte Hand von Anduin Lothar im Zweiten Krieg, der mit einer Gruppe von Kriegern und Magiern durch das Dunkle Portal gegangen war. Seit dieser Zeit, als Arthas zwölf Jahre alt gewesen war, galt er als verschollen.
Gavinrad trat vor und trug einen riesigen, schweren Hammer. Der silberne Kopf war mit Runen bedeckt und der stabile Schaft in blaues Leder gewickelt. Er legte den Hammer vor Arthas, dann trat er zurück, um bei seinen Brüdern zu stehen. Es war Uther, der Lichtbringer persönlich, Arthas’ Mentor im Orden, der als Nächster vortrat. In seiner Hand trug er zwei zeremonielle Schulterstücke. Uther war der beherrschteste Mann, den Arthas je kennengelernt hatte, und dennoch waren seine Augen jetzt feucht, als er die Rüstung auf Arthas breite Schultern legte. Er sprach mit einer Stimme, die kraftvoll war und doch vor Emotionen bebte.
»Durch die Stärke des Lichts mögen deine Feinde vernichtet werden.« Seine Hand blieb einen Moment auf Arthas’ Schulter liegen, dann trat auch er zurück.
Erzbischof Faol lächelte den Prinzen freundlich an. Arthas begegnete dem Blick gelassen und mittlerweile ohne Besorgnis. Er erinnerte sich jetzt an alles.
»Erhebt Euch und seid aufgenommen«, forderte Faol ihn auf.
Arthas tat es.
»Willst du, Arthas Menethil, schwören, die Ehre und den Kodex des Ordens der Silbernen Hand aufrechtzuhalten?«
Arthas blinzelte, er war ein wenig überrascht, dass sein Titel nicht genannt wurde. Natürlich, erklärte er es sich, ich werde als Mann aufgenommen, nicht als Prinz. »Das will ich.«
»Schwörst du, in der Gnade des Lichts zu wandeln und seine Weisheit unter den Menschen zu verbreiten?«
»Das will ich.«
»Schwörst du, das Böse zu bekämpfen, wo immer du es findest, und die Unschuldigen mit deinem eigenen Leben zu beschützen?«
»Das wi… Bei meinem Blut und meiner Ehre, das will ich!«
Das war knapp gewesen, er hätte es beinahe vermasselt.
Faol gab ihm ein beruhigendes Zeichen, dann wandte er sich sowohl an die Kleriker als auch an die Paladine. »Brüder und Schwestern, ihr, die ihr euch versammelt habt, um Zeugnis abzulegen, erhebt die Hände und lasst das Licht diesen Mann erleuchten.«
Die Kleriker und Paladine hoben alle ihre rechten Hände, die nun von einem sanften, goldenen Leuchten durchzogen waren.