Sie wiesen auf Arthas, richteten den Glanz direkt auf ihn. Arthas’ Augen weiteten sich vor Verwunderung und er wartete darauf, dass ihn das herrliche Leuchten umgab.
Nichts geschah.
Der Augenblick zog sich hin.
Auf Arthas’ Stirn brach Schweiß aus. Was lief falsch? Warum durchflutete ihn das Licht nicht zum Zeichen der Segnung?
Und dann bewegte sich das Sonnenlicht, das durch die Fenster in der Decke einfiel, langsam auf den Prinzen in seiner strahlenden Rüstung zu und Arthas atmete erleichtert aus. Das musste das sein, wovon Uther gesprochen hatte. Das Gefühl, unwürdig zu sein, von dem Uther ihm versichert hatte, dass alle Paladine es erlebten. Es schien lediglich länger angedauert zu haben als üblich. Uthers Worte fielen ihm wieder ein. Niemand glaubt, dass er es verdient hat…es ist eine Gnade, so einfach ist das… doch das Licht liebt uns trotzdem.
Jetzt schien es auf ihn, in ihm, durch ihn und er musste die Augen gegen die fast schon blendende Helligkeit schließen. Zuerst wärmte sie, dann brannte sie und er bebte leicht. Er fühlte… sich gereinigt. Geleert, gesäubert, dann wieder gefüllt, und er spürte, dass das Licht in ihm anwuchs und dann auf ein erträgliches Maß zurückging. Er blinzelte und griff nach dem Hammer, dem Symbol des Ordens. Als seine Hand den Schaft umfasste, blickte er zu Erzbischof Faol, dessen gütiges Lächeln noch breiter geworden war.
»Erhebt Euch, Arthas Menethil, Paladin und Verteidiger von Lordaeron. Willkommen im Orden der Silbernen Hand.«
Arthas konnte nicht anders. Er lächelte, als er den riesigen Hammer nahm, der so groß war, dass er einen Augenblick lang glaubte, ihn nicht anheben zu können. Dann hob er ihn mit einem Schrei hoch.
Das Licht, so erkannte er, ließ den Hammer in seiner Hand leichter werden. Bei seinem Schrei brandete in der Kathedrale plötzlich Jubel und Applaus auf. Arthas wurde von seinen neuen Brüdern und Schwestern stürmisch umarmt und dann waren alle Förmlichkeiten vergessen, als sein Vater, Varian und einige andere in den Altarbereich liefen. Es gab viel Gelächter, als Varian versuchte, ihm auf die Schulter zu schlagen, wobei er sich die Hand verletzte, als sie auf das harte Metall der Schulterrüstung traf. Dann wurde Arthas irgendwie herumgedreht und schaute plötzlich in die blauen Augen und das lächelnde Gesicht von Lady Jaina Prachtmeer.
Sie waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, aneinandergedrängt und -gestoßen, mitten in dem Pulk, der sich irgendwie um das jüngste Mitglied des Ordens der Silbernen Hand gebildet hatte. Arthas wollte diesen einzigartigen Moment nicht ungenutzt verstreichen lassen. Fast augenblicklich legte sich seine linke Hand um ihre schlanke Hüfte und er zog sie zu sich heran. Sie wirkte erschreckt, aber nicht verärgert, als er sie drückte. Sie erwiderte die Umarmung, lachte, gegen seine Wange gepresst, schaute ihn an und lächelte immer noch.
Einen Augenblick lang verschwanden die frohen Geräusche der feiernden Menge an dem warmen Sommernachmittag und Arthas hatte nur Augen für dieses sonnengebräunte, lächelnde Mädchen. Durfte er sie küssen? Sollte er sie küssen? Ganz sicher wollte er es. Doch als er noch überlegte, löste sie sich und trat zurück. Und ihre blonde, mädchenhafte Gestalt wurde von einer anderen blonden, mädchenhaften Gestalt ersetzt. Calia lachte und drückte ihren Bruder herzlich.
»Wir sind alle so stolz auf dich, Arthas«, sagte sie. Er lächelte und erwiderte die Umarmung. Er war froh, dass seine Schwester da war, und bedauerte, dass er es nicht gewagt hatte, die Tochter des Admirals zu küssen. »Du wirst ein wundervoller Paladin sein, dessen bin ich mir sicher.«
»Gut gemacht, mein Sohn«, sagte Terenas. »Heute bin ich ein stolzer Vater.«
Arthas’ Augen verengten sich. Nur heute? Was sollte das bedeuten? War sein Vater an anderen Tagen nicht stolz auf ihn? Er war plötzlich wütend, ohne genau zu wissen, warum und auf wen.
Das Licht, das zu spät gekommen war… Jaina, die sich von ihm löste, als er sie küssen wollte… Terenas und seine Bemerkung.
Er zwang sich zu lächeln und begann sich den Weg durch die Menge zu bahnen. Er hatte genug davon, von den Leuten. Die wenigsten davon kannten ihn überhaupt und keiner verstand ihn.
Arthas war jetzt neunzehn Jahre alt. Im selben Alter hatte Varian schon ein Jahr lang als König gewirkt. Er war in einem Alter, in dem er tun konnte, was er wollte, und jetzt hatte er die Segnung der Silbernen Hand, die ihn leitete. Er wollte nicht einfach im Palast in Lordaeron herumsitzen oder langweilige Staatsbesuche machen. Er wollte etwas… Spaßiges tun. Etwas, was er sich durch seine Macht, seine Position und seine Fähigkeiten verdient hatte.
Und er wusste genau, was das sein sollte.
TEIL II
Die strahlende Lady
Zwischenspiel
Es war genau einer der Tage, die Jaina Prachtmeer nicht mochte – düster, stürmisch und bitterkalt. Während die Seewinde in den heilten Sommermonaten immer erfrischende Kühle nach Theramore brachten, drang der kalte Wind, der jetzt die Stadt erreicht hatte, bis tief in die Knochen ein. Außerdem regnete es auch noch. Die See war heftig aufgewühlt, der Himmel grau und bedrohlich. Und es gab keine Anzeichen von Besserung.
Draußen verwandelte sich das Übungsgelände in Matsch, Reisende suchten Schutz in den Gasthöfen und Doktor van Howzen musste darauf achten, dass sich die Verletzten, die er behandelte, nicht auch noch erkälteten. Jainas Wachen standen ohne Murren inmitten des Wolkenbruchs; fraglos fühlten sie sich schlecht.
Jaina befahl einem ihrer Diener, den Tee, den sie gerade für sich aufgebrüht hatte, den Wachen zu bringen, die ihren Dienst so tapfer ertrugen. Sie selbst konnte warten, bis auch sie von dem wohltuenden, dampfenden Gebräu etwas abbekam.
Ein Blitz zuckte und es donnerte. Jaina, die gemütlich in ihrem Turm saß, umgeben von den Büchern und Papieren, die sie so liebte, zitterte und zog ihren Umhang enger um sich. Dann wandte sie sich zu jemandem um, dem zweifellos noch unbehaglicher zumute war.
Magna Aegwynn, die ehemalige Wächterin von Tirisfal, Mutter des großen Magiers Medivh und einst mächtigste Frau der Welt, saß auf ihrem Stuhl, der nah am Feuer stand, und nippte an ihrem Tee. Ihre knorrigen Hände schlossen sich um den Becher und suchten die Wärme. Ihr langes Haar, weiß wie frisch gefallener Schnee, hing offen auf ihre Schultern herab. Sie blickte auf, als Jaina eintrat und ihr gegenüber Platz nahm. Ihren smaragdgrünen Augen entging nichts.
»Du denkst an ihn.«
Jaina blickte finster ins Feuer und versuchte, sich von den tanzenden Flammen ablenken zu lassen. »Ich wusste gar nicht, dass man als Wächterin auch Gedanken lesen kann.«
»Gedanken? Pah. Das lese ich in deinem Gesicht. Und deine Körperhaltung verrät dich vollends, Kind. Diese Stirnfalte bekommst du nur, wenn du über etwas nachdenkst. Außerdem bist du immer in dieser Stimmung, wenn das Wetter umschlägt.«
Jaina fühlte einen Kälteschauer. »Kann man mich wirklich so leicht durchschauen?«
Aegwynns harte Gesichtszüge wurden weicher und sie strich über Jainas Kopf. »Nun, ich hatte tausend Jahre Zeit, um zu üben. Ich durchschaue die Menschen ein wenig leichter als andere.«
Jaina seufzte. »Es stimmt. Wenn es kalt wird, denke ich oft an ihn. An alles, was geschehen ist. Dann überlege ich, ob ich irgendetwas hätte tun können.«
Aegwynn seufzte. »Tausend Jahre bin ich alt, doch ich glaube, ich war noch niemals richtig verliebt. Ich musste mich um zu vieles andere kümmern. Aber wenn es dir ein Trost ist – ich habe auch an ihn gedacht.«
Jaina blinzelte, überrascht und beunruhigt von dieser Bemerkung. »Du hast an Arthas gedacht?«
Die ehemalige Wächterin sah sie an. »Der Lichkönig und Arthas sind nicht dasselbe. Nicht mehr.«
»Daran musst du mich nicht erinnern«, sagte Jaina, einen Tick zu scharf. »Warum hast du…«
»Spürst du es nicht?
Langsam nickte Jaina. Sie hatte versucht, es auf das Wetter und die Anspannung zu schieben, die immer dann schlimm wurde, wenn es so feucht und ungemütlich war. Doch Aegwynn schien zu glauben, dass mehr dahintersteckte, und Jaina Prachtmeer, dreißig Jahre alt, Herrscherin über Theramore, wusste, dass die alte Frau recht hatte.