»Lass dir zeigen, dass deine Bestimmung in mir liegt und du die wahre Macht nur bekommst, wenn du ihn tötest.«
Der zerbrechlich dünne Junge war von einer kalten Windbö aus seinem Stuhl geworfen worden. Jetzt mühte er sich wieder auf die Beine. Er zitterte und sein Atem ging in kurzen Stößen, als er auf den Stuhl zurückkletterte. Er warf dem Mann einen Blick zu – voll von Hoffnung, Angst und… merkwürdiger Entschlossenheit.
»Noch ist nicht alles verloren«, flüsterte er. Und trotz des Gelächters des Orcs und des Totenschädels, trotz des heulenden Windes vermochte der Mann ihn irgendwie zu verstehen.
TEIL I
Der Goldjunge
1
»Halt ihren Kopf, so geht das, Junge!«
Die Stute, deren weißes Fell mit Schweiß bedeckt war, verdrehte die Augen und wieherte. Prinz Arthas Menethil, der einzige Sohn von König Terenas Menethil II und künftiger Herrscher über das Königreich Lordaeron, hielt die Zügel fest umklammert und redete beruhigend auf das Pferd ein.
Das Tier warf wild den Kopf herum und traf dabei beinahe den neunjährigen Prinzen. »Ho, Brightmane!«, sagte Arthas. »Ganz ruhig, Mädchen, es ist ja alles gut. Du brauchst keine Angst zu haben.«
Jorum Balnir schnaubte vor Freude. »Ich bezweifle, dass du das noch glauben würdest, wenn etwas von der Größe eines Fohlens aus dir herauskäme, Junge.«
Sein Sohn Jarim kletterte neben seinen Vater und den Prinzen und lachte. Arthas fiel mit ein. Er kicherte ausgelassen, als der feuchtwarme Schaum aus Brightmanes Maul auf sein Bein tropfte.
»Nur noch ein Mal, Mädchen«, sagte Balnir und bewegte sich entlang des Pferdekörpers zu der Stelle, wo das Fohlen es bereits zur Hälfte hinaus in die Welt geschafft hatte.
Arthas hätte eigentlich nicht hier sein dürfen. Doch wenn er keinen Unterricht hatte, schlich er sich oft zu Balnirs Hof, um die Pferde, für deren Zucht Balnir bekannt war, zu bewundern und um mit seinem Freund Jarim zu spielen.
Beiden war klar, dass der Sohn eines Pferdezüchters, selbst wenn der regelmäßig Tiere für den königlichen Haushalt lieferte, für einen Prinzen nicht der »passende« Umgang war. Doch es kümmerte sie nicht und bislang hatte kein Erwachsener ihre Freundschaft beendet.
Also war er hier. Sie hatten Forts gebaut, mit Schneebällen geworfen und Räuber und Gendarm gespielt, als Jorum sie zu sich rief, damit sie das Wunder einer Geburt miterleben konnten.
Das »Wunder der Geburt« war eigentlich ziemlich eklig, fand Arthas. Er hatte nicht gewusst, dass derart viel… Schleim dabei im Spiel war. Brightmane schnaubte und presste erneut, ihre Beine waren steif und standen kerzengerade. Mit einem feuchten Geräusch kam ihr Fohlen in der glänzenden Haut auf die Welt.
Der schwere Kopf der Stute sank auf Arthas’ Schoß und sie schloss für einen Moment die Augen. Ihr Körper hob und senkte sich, während sie Atem schöpfte.
Der Junge lächelte, streichelte den feuchten Hals und die dichte, raue Mähne. Er blickte zu Jarim und seinem Vater, die sich um das Fohlen kümmerten. Zu dieser Jahreszeit war es kühl in den Ställen und nur der warme, feuchte Körper des Neugeborenen dampfte. Mit einem Handtuch und trockenem Stroh rieben Vater und Sohn die Reste der Geburtshaut von dem Fohlen ab, und Arthas merkte, wie sich sein Gesicht zu einem Lächeln verzog.
Feucht, grau, fast nur aus langen Beinen und großen Augen bestehend, sah sich das Fohlen um und blinzelte im dämmrigen Licht der Laternen. Die großen braunen Augen ruhten auf Arthas. Du bist wunderschön, dachte Arthas. Sein Atem stockte und ihm wurde zum ersten Mal bewusst, dass das allseits gerühmte »Wunder der Geburt« tatsächlich mehr als wundersam war.
Brightmane stellte sich auf die Füße. Arthas stand ebenfalls auf und drückte sich gegen die hölzerne Wand des Stalls, damit sich das große Tier umdrehen konnte, ohne ihn zu zerquetschen. Die Mutter und das Neugeborene beschnüffelten sich, dann schnaubte Brightmane und begann damit, ihr Fohlen mit der langen Zunge abzulecken und zu säubern.
»He, Junge, du siehst ein wenig mitgenommen aus«, sagte Jorum.
Arthas blickte an sich herab und sein Herz sank. Er war mit Stroh und Pferdespeichel bedeckt. Arthas zuckte mit den Achseln. »Vielleicht sollte ich in eine Schneewehe hüpfen, bevor ich zum Palast zurückgehe«, meinte er und lächelte. Während er sich säuberte, sagte er: »Keine Sorge. Ich bin schon neun, kein Baby mehr. Ich kann hingehen, wohin ich…«
Die Hühner gackerten und die dröhnende Stimme eines Mannes ertönte. Arthas entglitten die Gesichtszüge. Er straffte die schmalen Schultern, unternahm einen angestrengten, letztlich jedoch vergeblichen Versuch, das Stroh abzuklopfen, und trat aus der Scheune.
»Sire Uther«, sagte er in seiner besten Ich bin ein Prinz und das solltest du bedenken-Stimme. »Diese Leute waren sehr freundlich zu mir. Ich beschwöre Euch, zertrampelt nicht ihr Geflügel.«
Oder ihre Löwenmaulbeete, dachte er und blickte auf die schneebedeckten Haufen aufgeworfener Erde, wo die wunderschönen Blumen, die Vara Balnirs ganzer Stolz waren, in ein paar Monaten blühen würden. Er hörte, wie ihm Jorum und Jarim nach draußen folgten, doch er sah sich nicht um. Stattdessen erblickte er den Ritter, vollständig gekleidet in eine…
»Rüstung!«, schnappte Arthas. »Was ist geschehen?«
»Ich erzähle es Euch unterwegs«, sagte Uther grimmig. »Ich schicke jemanden, der Euer Pferd holt, Prinz Arthas. Steadfast ist schneller, selbst wenn er uns beide tragen muss.« Seine große Hand legte sich auf Arthas Arm und er zog den Jungen zu sich hinauf, als wöge er nichts.
Vara war beim Geräusch des herangaloppierenden Pferdes aus dem Haus gelaufen. Sie wischte die Hände an einem Handtuch ab und hatte Mehlreste an der Nase. Ihre blauen Augen waren weit aufgerissen, sie blickte besorgt zu ihrem Ehemann hinüber. Uther nickte ihr höflich zu.
»Wir reden später darüber«, sagte Uther. »Milady.« Er berührte seine Stirn mit der gepanzerten Hand zu einem höflichen Gruß, dann trieb er sein Pferd Steadfast an – das ebenso wie sein Reiter in voller Rüstung steckte – und das Tier preschte los.
Uthers Arm lag wie eine Stahlfessel um Arthas Hüfte. Angst stieg in dem Jungen auf, doch er unterdrückte sie, während er gegen Uthers Arm ankämpfte. »Ich weiß, wie man reitet«, sagte er, wobei seine Gereiztheit seine Besorgnis übertünchte. »Sagt mir, was los ist.«
»Ein Reiter ist von Süderstade gekommen. Er brachte schlechte Nachrichten. Vor ein paar Tagen sind Boote voll mit Flüchtlingen aus Sturmwind an unserer Küste gelandet«, sagte Uther. Er zog seinen Arm nicht zurück. Arthas gab den Kampf dagegen auf und reckte den Hals. Dabei lauschte er angestrengt. Seine meergrünen Augen waren aufgerissen, sein Blick hing an Uthers grimmigem Gesicht. »Sturmwind ist gefallen.«
»Was? Sturmwind? Wer steckt dahinter? Was…«
»Das werden wir in Kürze herausfinden. Die Überlebenden, darunter Prinz Varian, werden von einem der ehemaligen Helden Sturmwinds angeführt, Lord Anduin Lothar. Er, Prinz Varian und ein paar andere kommen in ein paar Tagen in die Hauptstadt. Lothar hat uns vorgewarnt, dass er beunruhigende Neuigkeiten überbringt – was offensichtlich ist, wenn Sturmwind zerstört wurde. Ich wurde ausgeschickt, um nach Euch zu suchen und Euch zurückzubringen. Ihr solltet Euch in dieser Situation Eure Zeit nicht mit dem gemeinen Volk vertreiben.«