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Arthas musste sich beherrschen, um nicht vor Freude zujubeln. Er hielt sich zurück und bemerkte den gequälten, besorgten Ausdruck im Gesicht seines Vaters. Vielleicht, nur vielleicht, würde das Töten der rebellischen Grünhäute jeden Gedanken an Jainas erschreckten Gesichtsausdruck auslöschen, den sie gezeigt hatte, als er ihre Beziehung beendete.

»Danke, ich mache dich stolz.«

Trotz des Bedauerns in den blaugrünen Augen seines Vaters, die denen von Arthas so sehr ähnelten, lächelte Terenas. »Das, mein Sohn, ist meine geringste Sorge.«

9

Jaina rannte durch die Gärten. Sie würde zu ihrem Treffen mit Erzmagier Antonidas zu spät kommen. Es war ihr schon wieder passiert – sie hatte, die Nase in einem Buch vergraben, die Zeit vergessen. Ihr Meister schalt sie immer dafür, doch sie konnte es nicht ändern. Ihre Füße trugen sie durch die Reihen der Goldrindenapfelbäume, die Früchte waren schwer und reif. Jaina spürte einen kurzen Anflug von Trauer, als sie an das Gespräch dachte, das sie erst vor wenigen Jahren hier geführt hatte. Als Arthas hinter ihr erschienen war, die Hände über ihre Augen gelegt und geflüstert hatte: »Wer bin ich?«

Arthas. Sie vermisste ihn immer noch. Sie vermutete, dass sie das wohl tun würde, solange sie lebte. Das Zerwürfnis zwischen ihnen war unerwartet gekommen und nach wie vor schmerzvoll. Und der Zeitpunkt hätte nicht schlechter gewählt sein können. Sie dachte immer noch daran, wie sie den ganzen Ball am Winterhauchfest hindurch tun musste, als sei nichts geschehen. Doch als der erste Schreck verflogen war, hatte sie begonnen, seine Gründe zu verstehen. Sie waren beide jung, und wie er damals völlig richtig ausgeführt hatte, es galt, Verpflichtungen nachzukommen und eine Ausbildung zu beenden. Sie hatte ihm versprochen, dass sie immer Freunde bleiben würden, und sie hatte es auch so gemeint – damals und auch heute noch. Doch um dieses Versprechen einzuhalten, mussten die Wunden erst heilen. Und so war es auch geschehen.

Sicherlich war viel in der Zeit passiert, da sie so über die Maßen beschäftigt gewesen war und sich auf anderes konzentriert hatte. Vor fünf Jahren hatte ein mächtiger Zauberer namens Kel’Thuzad den Zorn der Kirin Tor auf sich gezogen, weil er mit der widernatürlichen Magie der Nekromanten herumexperimentierte. Er war plötzlich und auf rätselhafte Art verschwunden, nachdem er zuvor gemaßregelt und unmissverständlich dazu aufgefordert worden war, seine Experimente augenblicklich einzustellen. Dieses Rätsel war eins der vielen Dinge gewesen, die ihr geholfen hatten, sich während der zurückliegenden drei Jahre abzulenken.

Draußen vor den Toren der Stadt der Magier war ebenfalls manches geschehen, obwohl die Informationen darüber spärlich gesät und die Gerüchte verworren waren. Wie Jaina herausgefunden hatte, hatte der geflohene Orc Thrall, der sich nun Kriegshäuptling der Horde nannte, begonnen, die Internierungslager anzugreifen und die gefangenen Orcs zu befreien. Später war Durnholde von dem selbst ernannten Kriegshäuptling zerstört und in Schutt und Asche verwandelt worden. Dazu erweckte Thrall etwas, das Jaina als alte Schamanenmagie seines Volkes kennengelernt hatte.

Schwarzmoor war ebenfalls gefallen, doch um ihn wurde nicht lange getrauert. Obwohl sie besorgt war, was diese neue Horde für ihr Volk bedeuten mochte, tat es Jaina um den Verlust der Lager nicht leid. Nicht nach allem, was sie dort gesehen hatte.

Stimmen drangen an ihr Ohr, eine vor Wut erhoben. Das war an diesem Ort so unüblich, dass Jaina augenblicklich stehen blieb.

»Wie ich Terenas bereits gesagt habe, sind Eure Leute Gefangene in ihrem eigenen Land. Ich wiederhole es – die Menschheit ist in Gefahr. Die Wogen der Finsternis sind wieder da und die ganze Welt steht am Rande eines Krieges!«

Es war eine männliche Stimme, wohlklingend und stark. Doch Jaina erkannte sie nicht.

»Ah, jetzt weiß ich, wer Ihr seid. Ihr seid der herumziehende Prophet, den König Terenas in seinem letzten Brief erwähnt hat. Und ich interessiere mich für Euer Geschwätz genauso wenig wie er.«

Der andere war Antonidas und er sprach so ruhig wie der Fremde eindringlich. Jaina wusste, dass sie sich diskret zurückziehen sollte, bevor man sie bemerkte. Doch dieselbe Neugierde, die das Mädchen gemeinsam mit Arthas zum Erkunden des Orc-Lagers getrieben hatte, drängte sie nun dazu, sich mit einem Zauber unsichtbar zu machen und zuzuhören.

Sie trat, so nah es ging, heran. Sie konnte jetzt beide sehen. Der erste Sprecher, den Antonidas sarkastisch als »Prophet« betitelt hatte, trug einen Umhang mit Kapuze, die mit schwarzen Federn geschmückt war. Ihr Meister saß auf dem Rücken eines Pferdes. »Ich dachte, Terenas wäre recht deutlich gewesen in Bezug auf Eure Vorhersagen.«

»Ihr müsst schlauer als der König sein! Das Ende ist nah!«

»Ich habe es Euch schon zuvor gesagt, ich habe kein Interesse an diesem Blödsinn.« Kurz gefasst, ruhig, endgültig. Jaina kannte diesen Tonfall.

Der Prophet war einen Augenblick lang still, ehe er seufzte: »Dann habe ich hier meine Zeit verschwendet.«

Vor Jainas erschrecktem Blick verschwamm die Gestalt des Fremden. Sie zog sich zusammen und veränderte sich, und wo eine Sekunde zuvor noch ein Mann in einer Mönchskutte gestanden hatte, befand sich nun ein großer, schwarzer Vogel. Mit einem frustrierten Krächzen sprang er hoch, schlug mit den Flügeln und war verschwunden.

Ihr Blick lag immer noch auf dem Eindringling, der nun ein verschwindender Punkt am blauen Himmel war. Antonidas sagte: »Du kannst jetzt rauskommen, Jaina.«

Jainas Gesicht wurde heiß. Sie murmelte einen Gegenzauber und trat vor. »Es tut mir leid, dass ich zugehört habe, Meister, aber…«

»Es ist deine Neugierde, auf die ich mich verlassen kann, mein Kind«, sagte Antonidas und lachte. »Der alte Narr ist davon überzeugt, dass die Welt bald enden wird. Er nimmt diese ganze Sache mit der ,Seuche’ meiner Meinung nach ein wenig zu ernst.«

»Seuche?«, fragte Jaina.

Antonidas seufzte, stieg ab und schickte sein Pferd mit einem Klaps weg. Das Pferd tänzelte ein wenig, dann trottete es gehorsam zu den Ställen, wo sich ein Stallknecht darum kümmern würde. Der Erzmagier winkte die Schülerin zu sich heran, die vortrat und seine ausgestreckte, knorrige Hand ergriff. »Du wirst dich daran erinnern, dass ich vor kurzer Zeit einige Boten in die Hauptstadt geschickt habe.«

»Ich dachte, das wäre wegen der Sache mit den Orcs.«

Antonidas murmelte eine Beschwörung und einige Augenblicke später materialisierten sie in seinen privaten Gemächern. Jaina liebte diesen Ort, liebte die Unordnung, den Geruch nach Pergament, Leder, Tinte und die alten Stühle, auf denen man es sich gemütlich machen und sich in Wissen verlieren konnte. Antonidas bedeutete ihr, Platz zu nehmen, und mit der Krümmung eines Fingers ließ er für sie beide Nektar aus einem Krug eingießen.

»Nun, darum ging es auch ursprünglich. Doch meine Abgesandten glauben, dass eine ernsthaftere Gefahr aufzieht.«

»Schlimmer als die Neubildung der Horde?« Jaina streckte die Hand aus und ein kristallener Kelch mit einer goldenen Flüssigkeit glitt zwischen ihre Finger.

»Mit Orcs könnte man vielleicht reden. Mit einer Krankheit kann man das nicht. Es gibt Berichte von einer Seuche, die sich in den Nordländern ausbreitet. Ich glaube, dass die Kirin Tor sich darum kümmern müssten.«

Jaina schaute ihn an. Eine Furche bildete sich auf ihrer Stirn, während sie trank. Normalerweise gehörten Krankheiten zum Bereich der Priester, nicht der Magier. Es sei denn… »Ihr denkt, sie ist irgendwie magischer Natur?« Er nickte mit seinem kahlen Schädel. »Das ist gut möglich. Und das ist der Grund, Jaina Prachtmeer, warum ich möchte, dass du in diese Länder reist und die Sache untersuchst.« Jaina verschüttete beinahe ihren Nektar. »Ich?« Er lächelte freundlich. »Ja, du. Du hast beinahe alles gelernt, was ich dir beibringen kann. Es ist an der Zeit, dass du diese Fertigkeiten außerhalb der Sicherheit dieses Turmes anwendest.« Wieder blitzte es in seinen Augen. »Und ich weiß auch schon, wer dir dabei helfen wird.«