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10

Mitte des nächsten Morgens kamen sie zu den verstreut liegenden Höfen. »Das Dorf ist nicht weit entfernt«, sagte Arthas und schaute auf die Karte. »Keiner dieser Bauernhöfe ist hier verzeichnet.«

»Das ist richtig«, bestätigte Falric, der sehr vertraut mit seinem Prinzen sprach – was daran lag, dass sich die beiden auch tatsächlich schon lange kannten. Arthas hatte sich an die Offenheit des Mannes gewöhnt und Falric war der Erste gewesen, der sich gemeldet hatte, um ihn zu begleiten. Jetzt schüttelte Falric den grauhaarigen Kopf. »Ich bin in dieser Gegend aufgewachsen, Sire, und die meisten Bauern hier sind von der unabhängigen Sorte. Sie bringen ihre Ernte und Tiere ins Dorf, verkaufen sie dort und gehen wieder heim.«

»Gibt es böses Blut?«

»Absolut nicht, Euer Hoheit. Es ist nur die Art und Weise, wie hier alles geregelt ist.«

»Wenn das hier so ist«, sagte Jaina, »dann haben sie vielleicht, als jemand krank wurde, keine Hilfe von außen geholt. Diese Menschen könnten infiziert sein.«

»Jaina spricht da einen guten Punkt an. Schauen wir mal, was wir von diesen Bauern erfahren können«, befahl Arthas, der auf seinem Pferd saß. Sie näherten sich dem Gehöft langsam und gaben den Bauern Zeit, von ihnen Notiz zu nehmen und sich auf sie einzustellen. Wenn es wirklich derartige Eigenbrötler waren und wenn die Seuche hier bereits zugeschlagen hatte, begegneten die Bauern großen Gruppen sicher mit Vorsicht.

Arthas’ Augen beobachteten die Gegend, als sie das Bauernhaus erreichten. »Seht«, sagte er und zeigte darauf. »Das Tor wurde zerschlagen und die Tiere sind fort.«

»Das ist kein gutes Zeichen«, murmelte Jaina.

»Es ist auch niemand herausgekommen, um uns zu empfangen«, sagte Falric. »Oder uns wenigstens herauszufordern.«

Arthas und Jaina tauschten Blicke miteinander. Arthas signalisierte der Gruppe anzuhalten.

»Seid gegrüßt!«, rief er mit lauter Stimme. »Ich bin Arthas, Prinz von Lordaeron. Meine Männer und ich wollen euch nichts tun. Kommt also heraus und redet mit uns – wir haben Fragen, die eure Sicherheit betreffen.«

Stille. Der Wind frischte auf und drückte das Gras nieder, das die Kühe und Schafe hätten fressen sollen. Das einzige Geräusch war ein schwaches Seufzen und das Knarren ihrer eigenen Rüstungen.

»Niemand hier«, sagte Arthas.

»Oder sie sind zu krank, um herauszukommen«, antwortete Jaina. »Arthas, wir müssen zumindest reingehen und nachsehen. »Sie brauchen vielleicht unsere Hilfe!«

Arthas blickte die Männer an. Sie wirkten nicht allzu erpicht darauf, in die Häuser zu gehen, die vielleicht von Opfern der Seuche bewohnt waren, und er war es auch nicht. Doch Jaina hatte recht. Es waren seine Untertanen. Er hatte geschworen, ihnen zu helfen. Und das würde er tun, was auch immer dazu nötig sein sollte.

»Kommt«, sagte er und stieg ab. Neben ihm tat Jaina es ihm gleich. »Nein, du bleibst hier.«

Ihre goldenen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich kein zerbrechliches Püppchen bin, Arthas. Ich bin hier, um die Seuche zu untersuchen, und wenn hier tatsächlich Opfer sind, muss ich sie schon selbst sehen.«

Er seufzte und nickte. »Nun gut.«

Er ging zu dem Bauernhaus. Sie waren fast am Garten angekommen, als der Wind drehte.

Der Gestank war schrecklich. Jaina bedeckte den Mund und selbst Arthas kämpfte gegen den aufkommenden Würgereiz an. Es war der kranke, süßliche Geruch eines Schlachthauses – nein, so frisch war er nicht, es war der Geruch nach Aas. Einer seiner Männer wandte sich ab und übergab sich. Es war reine Willenskraft, die verhinderte, dass Arthas es ihm gleichtat. Der Fäulnisgeruch kam aus dem Inneren des Hauses. Es war nun offensichtlich, dass den Bewohnern etwas zugestoßen war.

Jaina wandte sich Arthas zu, blass, aber entschlossen. »Ich muss es untersuchen…«

Schreckliche, erstickt klingende Schreie erfüllten die Luft, gepaart mit dem Gestank des Todes, als aus dem Innern des Bauernhauses und von dahinter Dinge mit alarmierender Geschwindigkeit auf sie zukamen.

Arthas’ Hammer begann plötzlich in einem so grellen Licht zu glühen, dass er die Augen schließen musste. Er wirbelte herum, hob den Hammer und sah direkt in die Augenhöhlen eines wandelnden Albtraums.

Er trug ein grob gewebtes Hemd, eine Latzhose und seine Waffe war eine Mistgabel. Einst war er der hiesige Bauer gewesen. Zumindest als er noch gelebt hatte. Jetzt war er offensichtlich tot, das graugrüne Fleisch löste sich vom Knochen, die verfaulenden Finger hinterließen verschmierte Reste auf dem Griff der Heugabel. Schwarze, klebrige Flüssigkeiten flossen aus Pusteln und das gurgelnde Gebrüll sprühte Eitertropfen auf Arthas’ ungeschütztes Gesicht. Der Prinz war derart schockiert, dass er kaum die Zeit fand, mit dem Hammer zuzuschlagen, bevor der Bauer ihn mit der großen Gabel aufspießte. Er riss die heilige Waffe gerade noch rechtzeitig hoch und schlug dem Mann das bäuerliche Arbeitsgerät aus der Hand. Dann ließ er den leuchtenden Hammer auf den Körper krachen. Das Monster blieb ausgestreckt liegen und rührte sich nicht mehr.

Doch andere nahmen seinen Platz ein. Arthas hörte ein zischendes Geräusch und das Knistern von Jainas Feuerblitzen. Dazu gesellte sich ein weiterer Geruch in dem Durcheinander. Der Gestank von brennendem Fleisch.

Um sich herum hörte er den Klang aufeinanderprallender Waffen, Männer, die Kriegsschreie ausstießen, und das Knistern der Flammen. Eine der Leichen stolperte ins Haus, ihr Körper und die Kleidung brannten. Ein paar Augenblicke später drang Rauch aus der offenen Tür.

Das war die Lösung…

»Alle Mann hier raus, sofort!«, rief Arthas. »Jaina! Brenn das Bauernhaus nieder! Brenn es bis auf die Grundmauern nieder!«

Trotz des Schreckens und der Panik, die die Männer durchdrang – allesamt ausgebildete Soldaten, aber nicht dafür ausgebildet –, wurden seine Befehle gehört. Die Männer wandten sich um und rannten von dem Haus weg. Arthas blickte zu Jaina. Ihre Lippen bildeten eine verbissene Linie und das Feuer knisterte so behaglich in ihren kleinen Händen, als wären die Flammen so harmlos wie Blumen.

Ein mannshoher Feuerball explodierte im Haus. Er zerbarst in einzelne Flammen und Arthas hob die Hand, um sein Gesicht vor der Explosion abzuschirmen. Mehrere der wiederbelebten Leichen waren darin gefangen.

Einen Moment lang starrte Arthas auf die Feuersbrunst, unfähig, seine Augen davon zu lösen. Dann zwang er sich wieder dazu, die restlichen Gegner abzuschlachten, die noch nicht Feuer gefangen hatten. Es dauerte nur wenige Augenblicke und dann waren alle diese Monster tot – wirklich tot.

Einen Augenblick lang herrschte Stille, mit Ausnahme des knisternden Geräuschs der Flammen, die das brennende Haus verzehrten. Mit einem tiefen Seufzer brach das Gebäude zusammen. Arthas war froh, dass er nicht sehen konnte, wie die Leichen sich in Asche verwandelten.

Er kam zu Atem und wandte sich an Jaina. »Was…«

Sie schluckte schwer. Ihr Gesicht war schwarz vor Ruß, außer dort, wo der Schweiß herunterrann. »Sie – sie werden Untote genannt.«

»Das Licht schütze uns«, murmelte Falric. Seine Augen traten hervor und sein Gesicht war bleich. »Ich habe immer gedacht, so was gibt es nur in Märchen, um Kinder zu erschrecken.«

»Nein, sie sind echt. Ich habe nur… nun, ich habe niemals einen gesehen. Und auch nicht damit gerechnet. Die…« Sie atmete tief ein und beruhigte sich. Dabei bekam sie ihre Stimme unter Kontrolle. »Die Toten verweilen manchmal noch, wenn ihr Ableben traumatisch war. Dadurch sind diese Geistergeschichten entstanden.«

Ihr Auftreten war nach den schrecklichen Ereignissen beruhigend. Arthas bemerkte, dass seine Männer ihr zuhörten, begierig zu verstehen, was zum Teufel ihnen gerade passiert war. Er war auch sehr dankbar für ihr Bücherwissen, mehr, als er es je zuvor gewesen war.

»Die… die Wiederbelebung von Leichen durch mächtige Nekromanten ist nichts Neues. Wir haben Beispiele davon, sowohl im Ersten als auch im Zweiten Krieg erlebt, als die sogenannten ,Todesritter’ auftauchten«, fuhr Jaina fort, als würde sie aus einem Buch zitieren, statt den Schrecken mit eigenen Worten zu erklären, den ihr Geist kaum fassen konnte. »Doch wie ich schon sagte – ich habe so etwas noch nie zuvor selbst gesehen.«