»Nun, jetzt sind sie wirklich tot«, sagte einer der Männer.
Arthas warf ihm einen aufmunternden Blick zu. »Das haben wir euren Schwertern, dem Licht und Lady Jainas Feuer zu verdanken«, ließ er sie wissen.
»Arthas«, sagte Jaina. »Hast du mal einen Moment?«
Sie gingen ein Stück weit, während die Männer sich reinigten und von dem verstörenden Kampf erholten. »Ich glaube, ich weiß, was du sagen willst«, begann Arthas. »Du bist hier, um herauszufinden, ob die Seuche magischer Natur ist. Und es sieht danach aus. Nekromantenmagie.«
Jaina nickte wortlos. Arthas blickte zu den Männern hinüber. »Wir haben noch nicht mal die Hauptdörfer erreicht. Ich befürchte, wir werden noch mehr dieser… Untoten sehen.«
Jaina verzog das Gesicht. »Ich vermute, du hast recht.«
Als sie die Gehöfte verließen, zügelte Jaina ihr Pferd und wartete.
»Wonach suchst du?« Arthas trat neben sie. Jaina wies auf etwas. Er folgte ihrem Blick und entdeckte ein Silo, der allein auf einem Hügel stand. »Der Kornspeicher?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein… das Land drum herum.« Sie saß ab, kniete sich hin und berührte den Boden. Sie nahm eine Handvoll des Staubs und toten Grases auf. Dann untersuchte sie es, stocherte in einem kleinen Insekt herum, dessen sechs Beine im Tod verkrampft waren, und siebte den Sand durch ihre Finger, als der leichte Wind die pulvrige Erde verwehte und in einer kleinen Staubwolke vergehen ließ. »Es ist, als ob das Land um den Kornspeicher herum… sterben würde.«
Arthas blickte von ihrer Hand auf den Boden. Sie hatte völlig recht, erkannte er. Mehrere Meter hinter ihm war das Gras grün und gesund, die Erde vermutlich saftig und fruchtbar. Doch unter seinen Füßen und in dem Bereich um den Kornspeicher war sie tot, als wäre es mitten im Winter. Nein, das war keine gute Analogie. Winter war, wenn das Land schlief. Doch dann steckte immer noch Leben darin, schlafend, aber bereit, im Frühling zu erwachen.
Hier war kein Leben.
Er schaute auf den Kornspeicher und seine meergrünen Augen verengten sich. »Wodurch könnte das ausgelöst worden sein?«
»Ich bin mir nicht sicher. Es erinnert mich daran, was mit dem Dunklen Portal geschah und den verwüsteten Landen. Als das Portal geöffnet worden war, drang etwas von der dämonischen Energie, die Draenor aussaugte, nach Azeroth. Und das Land rund um das Portal…«
»… starb«, vollendete Arthas den Satz. Ein Gedanke durchfuhr ihn. »Jaina – könnte das Korn selbst verseucht sein? Diese… dämonische Energie in sich tragen?«
Ihre Augen weiteten sich. »Das wollen wir doch nicht hoffen.« Sie wies auf die Kisten, die die Männer aus dem Kornspeicher trugen. »Diese Kisten tragen das Siegel von Andorhal, dem Verteilungszentrum für die nördlichen Bezirke. Wenn das Korn die Seuche zu verbreiten imstande ist, dann kann man unmöglich sagen, wie viele Dörfer bereits infiziert worden sind.«
Sie flüsterte die Worte beinahe und wirkte dabei blass und krank. Er sah ihre Hände an, bleich vom Staub des toten Landes. Plötzlich schoss die Angst durch Arthas und er umfasste ihre Hand. Er schloss die Augen und murmelte ein Gebet. Wärme erfüllte ihn und breitete sich von seinen Händen auf ihre aus. Jaina sah ihn an, zunächst verwirrt, dann blickte sie auf ihre eigenen Hände. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, angesichts dessen, was sie erst jetzt erkannte. Eine Gefahr, der sie vielleicht knapp entkommen war.
»Danke«, flüsterte sie.
Er schenkte ihr ein Lächeln, dann rief er seinen Männern zu: »Handschuhe! Alle tragen in diesem Bereich Handschuhe! Keine Ausnahmen!«
Sein Hauptmann hörte ihn, nickte und wiederholte den Befehl. Die meisten Männer steckten in voller Rüstung und trugen deshalb ohnehin schon Handschuhe. Arthas schüttelte den Kopf und verjagte die Besorgnis, die ihn immer noch quälte. Er hatte keinerlei Krankheit an Jaina bemerkt – dem Licht sei Dank.
Er presste ihre Hand an seine Lippen. Jaina war bewegt, errötete zuerst und lächelte dann. »Das war dumm von mir. Ich habe nicht nachgedacht.«
»Zu deinem Glück habe ich das ja gemacht.«
»Diesmal also vertauschte Rollen«, neckte sie ihn und gab ihm einen Kuss, um dem Ganzen den Stachel zu nehmen.
Ihr Auftrag war jetzt klar: Sie mussten das infizierte Korn finden und vernichten. Am nächsten Tag bekamen sie Hilfe, als Arthas’ Truppe auf ein paar Priester der Quel’dorei traf. Auch sie hatten die Verderbnis gespürt, die durch das Land zog, und waren gekommen, um zu helfen, wo sie konnten. Sie boten auch konkretere Hilfe an. Sie konnten Arthas den Weg zu einem Lagerhaus am Ende des Dorfes weisen, das sie gerade erreicht hatten.
»Da vorn sind ein paar Häuser, Sire«, sagte Falric.
»Nun gut denn«, sagte Arthas, »gehen…«
Ein plötzliches Krachen unterbrach ihn. Sein Pferd bäumte sich auf. »Was zum…?«
Er blickte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Kleine Gestalten standen dort, kaum zu erkennen. Doch es gab kein Vertun.
»Das ist Feuer aus Mörsern. Kommt!« Er bekam sein Pferd wieder unter Kontrolle, riss dessen Kopf herum und galoppierte auf die Quelle des Geräuschs zu.
Mehrere Zwerge sahen auf, als er eintraf. Sie waren genauso überrascht, Arthas zu sehen, wie umgekehrt. Er ließ seine Leute anhalten. »Worauf zum Teufel schießt ihr?«
»Wir erledigen die verdammten Gerippe. Dieses ganze brennende Dorf ist voll davon!«
Ein Schauder lief über Arthas’ Rücken. Er konnte die beinahe schon vertrauten Gestalten der Untoten erkennen, die in ihrem unverwechselbaren Gang heranschlurften. »Feuer!«, rief der Anführer der Zwerge und mehrere Skelette wurden in ihre Bestandteile zerlegt, sie stoben in alle Richtungen davon.
»Nun, ich könnte Eure Hilfe brauchen«, sagte Arthas. »Wir müssen ein Lagerhaus am Ende des Dorfes zerstören.«
Der Zwerg riss die braunen Augen auf. »Ein Lagerhaus?«, fragte er ungläubig. »Wir kämpfen hier gegen wandelnde Tote und Ihr macht Euch Sorgen um ein Lagerhaus?«
Arthas hatte für Diskussionen keine Zeit. »In dem Lagerhaus befindet sich etwas, das diese Menschen tötet«, zischte er und wies auf die Überreste der Gerippe. »Und wenn sie sterben…«
Die Augen des Zwerges weiteten sich. »Oh, kapiert. Kameraden! Vorwärts, wir müssen den Truppen dieses Jungen helfen!« Er blickte Arthas an. »Übrigens, wer genau seid Ihr eigentlich, Junge?«
Die diesbezügliche Neugier wirkte in dieser schrecklichen Lage derart unpassend, dass Arthas lachen musste. »Prinz Arthas Menethil. Und Ihr?«
Der Zwerg glotzte einen Augenblick lang, doch dann besann er sich schnell. »Dargal, zu Euren Diensten, Euer Hoheit.«
Arthas verschwendete keine Zeit mehr auf weitere Höflichkeitsfloskeln, stattdessen bemühte er sich, sein Pferd so weit zu beruhigen, dass es mit der sich nun bewegenden Truppe Schritt halten konnte. Das Pferd war ein Schlachtross, für den Kampf gezüchtet, und während es keinerlei Probleme beim Kampf gegen die Orcs gemacht hatte, mochte es offensichtlich den Geruch der Untoten nicht.
Arthas konnte es ihm nicht vorwerfen, doch die Lebhaftigkeit ließ ihn an Invincibles großes Herz und Furchtlosigkeit denken. Er unterdrückte den Gedanken, denn er lenkte ihn nur ab. Er musste sich anstrengen, damit er nicht um ein Tier trauerte, das noch toter war als die schlurfenden Leichen.
Jaina und seine Männer folgten ihm und trafen auf die Untoten, die noch nicht vom Mörserfeuer vernichtet worden waren und von allen Seiten auf sie zuströmten. Energie erfüllte ihn, durchfloss ihn, als er unermüdlich mit dem Hammer zuschlug. Arthas war dankbar für Dargals rechtzeitiges Eintreffen. Hier waren so viele dieser untoten Wesen, dass er sich nicht sicher war, ob seine Leute es mit allen aufnehmen konnten.