Die vereinten Streitkräfte von Menschen und Zwergen arbeiteten sich langsam, aber unaufhaltsam auf das Lagerhaus zu. Die Zahl der Untoten stieg beim Näherkommen an, und als sie die Silos in der Ferne erkennen konnten, waren es noch viel mehr geworden. Arthas sprang von seinem unglücklichen Pferd ab und stürzte sich mitten unter sie. Dabei hielt er seinen Hammer fest umschlossen, der von der Macht des Lichts erfüllt glühte.
Nachdem der erste Schock und die Schrecken vorbei waren, stellte Arthas fest, dass es sich noch besser anfühlte, diese Monster zu töten, als gegen Orcs zu kämpfen. Vielleicht waren die Orcs, wie Jaina es gesagt hatte, tatsächlich vernunftbegabte Wesen – Individuen. Diese Dinger hingegen waren nichts anderes als Leichen, herumzuckende Marionetten, die von einem verderbten Nekromanten erschaffen worden waren. Sie fielen auch wie Marionetten, denen man den Faden durchtrennt hatte, und er lächelte wild, als zwei Untote unter demselben Schlag seiner mächtigen Waffe vergingen.
Viele der wandelnden Leichen schienen schon seit längerer Zeit tot zu sein. Denn die Ausdünstungen, die sie verströmten, waren nicht so intensiv und die Körper waren bereits mumifiziert. Mehrere von ihnen waren wie die Untoten der ersten Angriffswelle: Skelette, an deren knochigen Körpern Reste von Kleidung oder behelfsmäßiger Rüstung hingen und die nun Arthas und seinen Männern entgegenstürmten.
Der beißende Gestank nach verbranntem Fleisch griff seine Geruchsnerven an, doch er lächelte, dankbar für Jainas Anwesenheit, und kämpfte weiter. Arthas blickte zu ihr hinüber und keuchte. Bislang hatte er nicht einen Mann verloren und auch Jaina, obwohl bleich vor Anstrengung, war unverletzt.
»Arthas!« Jainas Stimme drang klar und deutlich durch den Lärm. Arthas erledigte das Gerippe, das gerade versuchte, ihn mit einer Sense zu enthaupten, und blickte während einer kurzen Kampfpause zu ihr. Sie deutete nach oben, Feuer loderte bereits auf ihren Handflächen und umzüngelte ihre Finger. »Sieh nur!«
Er folgte ihrem Blick und seine Augen verengten sich. Oben stand eine Gruppe von Menschen – offensichtlich lebendige Menschen, wie man an ihren Bewegungen erkennen konnte –, alle schwarz gekleidet. Sie vollführten Gesten und koordinierten die Angriffe der Untoten, die ihnen entgegengeworfen wurden.
»Dorthin! Nehmt sie ins Visier!«, rief Arthas.
Die Kanonen wurden herumgedreht und seine Männer griffen an, bahnten sich den Weg durch die Untoten. Ihre Blicke waren auf die lebenden Männer in den schwarzen Gewändern gerichtet. Jetzt haben wir euch, dachte Arthas mit wilder Freude.
Doch sobald sie unter direktes Feuer gerieten, stellten die Männer ihre Aktivitäten ein. Die Untoten, die sie kontrolliert hatten, blieben plötzlich stehen, kämpften zwar noch, wurden aber nicht mehr geleitet. Sie waren leichte Ziele für die Zwergenartillerie und Arthas’ Männer, die sie niederstreckten und vorwärtsdrängten. Die Magier versammelten sich und ein paar begannen, Zauber zu wirken. Ihre Hände bewegten sich und Arthas erkannte das vertraute Bild von wirbelndem Raum, das darauf hindeutete, dass sie ein Portal erschufen.
»Nein! Lasst sie nicht entkommen!«, brüllte er und zerschmetterte mit seinem Hammer die Brust eines Skeletts. In hohem Bogen holte er erneut aus, um einem schlurfenden Zombie den Kopf abzuschlagen. Von einem Ort, den nur das Licht kannte, beschworen die Zauberer weitere lebende Tote – Skelette, verfaulende Leichname und etwas, was groß und bleich war und über viel zu viele Gliedmaßen verfügte. Über den madenweißen, glänzenden Körper zogen sich Nähte, die so groß waren wie Arthas’ Hand. Dadurch wirkte das Monster wie die Vorstellung eines geisteskranken Kindes von einer Stoffpuppe. Es überragte alle anderen und entsetzliche Waffen lagen in seinen drei Händen. Es fixierte Arthas mit dem einzigen sehenden Auge.
Jaina war irgendwie an Arthas’ Seite gelangt und rief: »Beim Licht – diese Kreatur sieht aus, als wäre sie aus anderen Leichen zusammengenäht worden!«
»Studieren wir sie, nachdem wir sie getötet haben, in Ordnung?«, rief Arthas und griff an. Das entsetzliche Experiment kam heran, stieß gutturale Laute aus und schlug mit einer Axt zu, die so groß war wie Arthas. Er sprang aus dem Weg, rollte sich ab und kam schnell genug wieder auf die Beine, um das Monster von hinten attackieren zu können. Drei seiner Männer, zwei davon mit Lanzen bewaffnet, taten dasselbe und das scheußliche Ungeheuer war rasch erledigt.
»Verdammt«, brüllte Arthas. Eine Hand legte sich auf seinen Arm und er zog ihn zurück. Seine Gesichtszüge glätteten sich, als er Jaina erkannte. Er war nicht in der Stimmung für Trost oder Erklärungen und er musste etwas tun, irgendetwas, um sich wieder abzuregen, denn die Männer in den schwarzen Gewändern waren entkommen. »Zerstört das Lagerhaus, sofort!«
»Aye, Euer Hoheit! Auf geht’s, Kameraden!« Die Zwerge drängten vorwärts, so bestrebt wie er, irgendeinen Sieg zu erringen. Die Kanonen rollten über tote Männer und die tote Erde hinweg, bis sie in Reichweite waren.
»Feuer!«, rief Dargal. Gleichzeitig entluden sich die Geschütze und Arthas spürte siedend heiße Befriedigung, als der Kornspeicher unter dem Angriff einstürzte.
»Jaina! Brenn nieder, was noch übrig ist!«
Sie hatte bereits ihre Hände erhoben, bevor er zu sprechen begonnen hatte. Sie arbeiteten gut zusammen und der Kornspeicher und sein Inhalt entzündeten sich augenblicklich.
Jaina und Arthas warteten und behielten den Brand im Auge, damit das Feuer sich nicht ausbreitete. So ausgetrocknet, wie das Land war, konnte ein Feuer schnell außer Kontrolle geraten.
Arthas fuhr sich mit der Hand durch das verschwitzte Haar. Die Hitze, die der brennende Kornspeicher abgab, war drückend und er sehnte sich nach etwas Wind. Er ging ein kurzes Stück weit und trat mit dem gepanzerten Stiefel vor das bleiche Monster. Sein Fuß sank in das weiche Fleisch ein und er rümpfte die Nase. Jaina folgte ihm. Bei näherer Betrachtung schien sie recht gehabt zu haben – das Ding war tatsächlich aus anderen Körperteilen zusammengenäht worden.
Arthas unterdrückte ein Schaudern. »Die Magier – die schwarz gekleideten…«
»Ich… ich fürchte, es waren Nekromanten«, sagte Jaina. »Die, von denen ich erzählt habe.«
»Was nun?« Dargal war hinter sie getreten und beäugte den getöteten Albtraum mit Abscheu.
»Nekromanten. Magier, die sich mit dunkler Magie beschäftigen – die die Toten wiederbeleben und lenken können. Offensichtlich stecken sie, und wem immer sie auch dienen mögen, hinter dieser Seuche.« Sie richtete ihre ernsten blauen Augen auf Arthas. »Vielleicht sind dämonische Energien darin verwickelt. Doch ich glaube, es ist klar, dass wir uns auf dem falschen Weg befunden haben.«
»Nekromanten… die eine Seuche erschaffen, um Soldaten für ihre unheilige Armee zu rekrutieren«, murmelte Arthas und blickte zu den nunmehr rauchenden Überresten des Kornspeichers. »Ich will sie kriegen. Nein – nein, ich will ihren Anführer kriegen.« Seine gepanzerten Hände ballten sich zu Fäusten. »Ich will diesen Bastard haben, der meine Untertanen abschlachtet!« Er dachte an die Kisten, die sie schon vorher gefunden hatten, und das Siegel, das darauf prangte. Er hob den Blick und sah die Straße hinunter. »Und ich glaube, wir finden ihn und die Antworten auf unsere Fragen in Andorhal…«
11
Arthas trieb seine Leute zu sehr an und er wusste es. Doch die Zeit war zu wertvoll, um sie zu vergeuden. Er spürte ein leichtes Schuldgefühl, als er sah, wie Jaina, ohne zu rasten, auf Trockenfleisch kaute. Ihn hatte das Licht während des Kampfes erfrischt. Doch Magier bezogen ihre Energie aus einer anderen Quelle. Er wusste, dass Jaina nach den überragenden Erfolgen der letzten Tage erschöpft sein musste. Aber sie hatten keine Zeit zum Pausieren, nicht wenn Tausende Leben davon abhingen.
Seine Aufgabe war gewesen, herauszufinden, was vor sich ging – und es zu beenden. Das Rätsel schien sich zu lösen, doch er bezweifelte, dass er die Seuche aufhalten konnte. Nichts war so einfach, wie es zunächst gewirkt hatte. Doch Arthas würde nicht aufgeben. Konnte nicht aufgeben. Er hatte geschworen, alles Notwendige zu tun, um die Seuche zu beenden. Er würde sein Volk retten.