Sie sahen und rochen den Rauch, lange bevor sie die Tore von Andorhal erreichten. Arthas hoffte, dass, wenn schon die Stadt niedergebrannt zu sein schien, bei der Gelegenheit wenigstens auch das Korn vernichtet worden war.
Doch dann wurde ihm die Rohheit dieses Gedankens bewusst. Er verdrängte ihn, trieb sein Pferd an und ritt durch die Tore. Dabei erwartete er jeden Augenblick, angegriffen zu werden.
Um sie herum brannten die Gebäude. Dicker schwarzer Qualm stieg ihnen in die Augen. Manche von ihnen mussten husten. Durch tränende Augen blickte er sich um. Hier waren keine Bewohner, aber auch keine Untoten. Was war –
»Ich glaube, Ihr seid hier, weil Ihr nach meinen Kindern sehen wolltet«, sagte eine sanfte Stimme. Wind kam auf und trieb den Rauch davon. Arthas konnte jetzt die Gestalt in dem schwarzen Gewand erkennen, die nicht weit entfernt vor ihm stand. Er spannte sich an. Das war also der Anführer.
Der Nekromant lächelte, sein Gesicht war gerade noch unter der Kapuze erkennbar. Das Lächeln des Magiers schien Arthas das Gesicht zu versengen. Neben ihm standen zwei seiner untoten Diener. »Ihr habt mich gefunden. Ich bin Kel’Thuzad.«
Jaina keuchte, als sie den Namen hörte, und hielt sich die Hand vor den Mund. Arthas warf ihr einen schnellen Blick zu, dann richtete er wieder seine volle Aufmerksamkeit auf den Sprecher, umfasste seinen Hammer fest.
»Ich bin hier, um Euch eine Warnung zu überbringen«, sagte der Nekromant. »Verschwindet von hier. Eure Neugier wird Euer Tod sein.«
»Ich wusste doch, dass mir diese verderbte Magie bekannt vorkommt!« Das war Jaina, ihre Stimme bebte vor Empörung. »Genau für diese Art von Experimenten seid Ihr in Ungnade gefallen, Kel’Thuzad! Wir haben Euch gesagt, dass dieser Weg direkt ins Unglück führt. Und Ihr habt nichts daraus gelernt!«
»Lady Jaina Prachtmeer«, säuselte Kel’Thuzad. »Offensichtlich ist Antonidas’ kleine Schülerin erwachsen geworden. Und natürlich gilt genau das Gegenteil, meine Liebe… wie Ihr sehen könnt, habe ich einiges dazugelernt.«
»Ich habe die Ratten gesehen, mit denen Ihr experimentiert habt!«, schrie Jaina. »Das war schon schlimm genug… doch das hier…«
»Ich habe meine Forschungen vorangetrieben und sie perfektioniert«, hielt Kel’Thuzad dagegen.
»Seid Ihr verantwortlich für diese Seuche, Nekromant?«, rief Arthas. »Ist dieser Kult Euer Werk?«
Kel’Thuzad wandte sich ihm zu. Seine Augen leuchteten im Schatten seiner Kapuze. »Ich habe dem Kult der Verdammten befohlen, das verseuchte Korn zu verteilen. Doch das ist nicht allein mein Verdienst.«
Bevor Arthas etwas sagen konnte, platzte es aus Jaina heraus: »Was soll das bedeuten?«
»Ich diene dem Schreckenslord Mal’Ganis. Er befehligt die Geißel, die dieses Land säubern und ein Paradies der ewigen Finsternis errichten wird.«
Ein eisiger Schauder lief Arthas über den Rücken, trotz der Hitze der sie umgebenden Feuer. Er wusste nicht, was ein Schreckenslord war, doch die Bedeutung von »Geißel« war ihm klar. »Und was genau soll diese Geißel… säubern?«
Der dünnlippige Mund unter dem weißen Schnurrbart verzog sich erneut zu einem grausamen Lächeln. »Die Lebenden natürlich. Sein Plan wird bereits ausgeführt. Ihr findet ihn in Stratholme, wenn Ihr noch einen weiteren Beweis benötigt.«
Arthas hatte genug von den stichelnden Andeutungen und Beleidigungen. Er knurrte, umfasste den Schaft des Hammers fester und stürmte vor. »Für das Licht!«, brüllte er.
Kel’Thuzad hatte sich nicht bewegt. Er blieb stehen und dann, in allerletzter Sekunde, verschwamm die Luft um ihn herum – und er war fort! Die beiden Kreaturen, die stumm neben ihm gestanden hatten, umklammerten Arthas mit ihren Armen und versuchten ihn zu Boden zu ziehen. Ihr übler Gestank wetteiferte mit dem Rauch darum, den Prinzen zum Husten zu bringen. Er kämpfte sich frei und schlug einem von ihnen mit einem starken, sauber geführten Schlag auf den Kopf. Der Schädel splitterte wie ein Stück Glas, Hirn verteilte sich über den Boden und der Untote brach zusammen. Mit dem zweiten wurde Arthas ebenso leicht fertig.
»Zum Kornspeicher!«, brüllte er, lief zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. »Los!«
Die anderen saßen auf und sie ritten durch das brennende Dorf die Hauptstraße hinunter. Die Kornspeicher ragten vor ihnen auf. Sie waren noch unberührt vom Feuer, das durch den Rest von Andorhal zu rasen schien.
Arthas zügelte sein Pferd scharf und sprang ab. So schnell er konnte, lief er zu den Gebäuden. Er riss die Tür auf und hoffte verzweifelt, hoch übereinandergestapelte Kisten zu finden. Trauer und Wut tobten in ihm, als er nur leere Kammern vorfand – leer, bis auf wenige Reste von Korn und tote Ratten auf dem Boden.
Er schaute sich um, fühlte sich einen Augenblick lang schlecht, dann rannte er zum nächsten Speicher und dem übernächsten, riss überall die Türen auf, obwohl er genau wusste, was er finden würde.
Sie waren alle leer. Und waren es auch schon eine ganz Weile, wenn man die Staubschicht und die Spinnweben in den Ecken betrachtete.
»Die Ladungen sind bereits verschickt worden«, sagte er gebrochen, als Jaina neben ihn trat. »Wir sind zu spät.« Er schlug mit der gepanzerten Faust gegen die Holztür und Jaina sprang zurück. »Verdammt!«
»Arthas, wir haben unser Bestes…«
Er wirbelte wild zu ihr herum. »Ich werde ihn finden. Ich werde diesen leichenverliebten Bastard finden und ihm alle Knochen einzeln herausreißen! Soll er doch jemanden finden, der ihn dann zusammennäht.«
Zitternd stürmte er hinaus. Er hatte versagt. Das Korn war bereits verschickt worden und das Licht allein wusste, wie viele Menschen deshalb sterben mussten.
Wegen ihm.
Nein. Das würde er nicht zulassen. Er würde seine Leute schützen. Und wenn er dabei sterben würde. Arthas ballte die Hände zu Fäusten.
»Nach Norden«, sagte er zu den Männern, die hinter ihm kamen und es nicht gewohnt waren, ihren ansonsten gutherzigen Prinzen derart wütend zu erleben. »Dorthin wird er als Nächstes ziehen. Wir vernichten ihn wie Ungeziefer. Denn nichts anderes ist er.«
Er ritt wie ein Besessener, galoppierte nach Norden, schlachtete beinahe mechanisch die schlurfenden Wracks ehemals menschlicher Wesen ab, die ihn aufzuhalten versuchten. Doch nicht mehr die Angst und Sorge um seine Untergebenen trieb ihn an. Er sah im Geiste nur den Mann, der dahintersteckte, den scheußlichen Kult, der für das alles verantwortlich war. Die Toten würden noch früh genug ruhen. Arthas musste sicherstellen, dass es keine weiteren mehr gab.
Plötzlich traf er auf eine große Ansammlung von Untoten. Beinahe gleichzeitig hoben sie ihre verfaulenden Hände und wandten sich gegen Arthas und seine Männer.
Arthas brüllte: »Für das Licht!«, trieb sein Pferd an, ritt mitten in sie hinein und drosch mit dem Hammer auf sie ein. Er ließ seiner Wut und Frustration freien Lauf.
In einer Kampfpause sah er sich um.
In Sicherheit und weit entfernt vom Schlachtfeld, wo sie alles überblicken konnte und dennoch nichts riskierte, stand eine hochgewachsene Gestalt in einem flatternden schwarzen Gewand, als wartete sie auf ihn.
Kel’Thuzad.
»Da!«, rief er. »Da ist er!«
Jaina und seine Männer folgten ihm. Jaina schuf eine Gasse, indem sie Feuerball um Feuerball abfeuerte, und seine Männer erschlugen die Untoten, die Jainas Angriff überlebten. Arthas spürte, wie gerechter Zorn seine Adern durchfloss, als er sich dem Nekromanten immer weiter näherte. Sein Hammer hob und senkte sich scheinbar mühelos, und dabei sah er die, die er tötete, nicht einmal. Seine Augen waren auf einen Mann fixiert, der für all das verantwortlich war. Wenn er ihm den Kopf abschlug, würde diese Bestie sterben.